Er trat zu ihr, streichelte ihren schwarzen Scheitel und suchte sie zu trösten, indem er ihr wiederholt erzählte, welch warme Fürsprache der erlauchte Lorenzo für den Junker eingelegt habe, und daß der deutsche Graf ihr ein zweiter Vater sein wolle. Auch legte er kein geringes Gewicht auf die Herkunft des Jünglings, der, wie er der Tochter erzählte, eines Stammes sei mit jenem gewaltigen Schwabengeschlecht, das Italien seine großen Kaiser gegeben habe.
»Soll ich dir noch mehr vertrauen?« fuhr er flüsternd fort. »Du weißt, ich verachte den Aberglauben, aber es gibt ein Orakel, das mich nie getäuscht, das mich immer recht beraten hat. Und siehe, wunderbar! Derselbe Götterspruch, der in Latium an den König Latinus erging, hat heute auch mir geboten, den Fremdling zum Eidam zu nehmen.«
So endigte das Gespräch zwischen Bernardo und seiner Tochter. Diese stand noch lange am offenen Fenster ihres Schlafgemachs und blickte in die duftatmende Frühlingsnacht mit der unermeßlichen Sternenfülle, unter der die ersten Leuchtkäferchen schwirrten. Sie dachte ängstlich an jenes kalte, finstere Barbarenland, wo es weder eine rechte Sonne gab, noch rechte Sterne, geschweige denn die goldenen Leuchtkäferchen, die flatternden irdischen Sterne. Träne um Träne rann, ohne daß sie es beachtete, über ihre Samtwangen. Der junge Fremdling schien ihr jetzt bei weitem nicht mehr so hübsch wie zuvor, sie fand sogar, daß er mit seinem starkgliedrigen, schweren Wuchs und den barbarischen Stößen, denen niemand standhielt, neben den eleganten Florentinern einem Wilden geglichen habe. Auch deuchte es ihr grausam und unbarmherzig, daß der eigene Vater ihre blühende Jugend gegen ein altes Pergament verhandelte, und doch war der Entschluß, sich dem harten Gebot kindlich zu unterwerfen, nicht ohne stille innere Befriedigung. Sie trocknete ergeben ihre Tränen ab und suchte den Schlummer, um nicht am anderen Tag ein übernächtiges Gesicht zu zeigen, denn wieviel sie auch an dem barbarischen Werber mäkeln mochte, er sollte seinerseits an ihrer Erscheinung keinen Tadel finden.
Junker Veit gehörte zu den glücklichen Naturen, denen es der Herr im Schlafe gibt. Mit seinem munteren Sinn, seiner anerkannten Tapferkeit, seiner männlichen Gestalt war er überall eines günstigen Eindrucks gewiß. Nie hatte er sich noch über den Ausgang eines Unternehmens Sorge gemacht, und so fand er es nicht mehr als billig, daß ihm auch jetzt die reife Frucht nur so in den Schoß fiel.
Als Reuchlin ihm die Vermutungen und Wünsche klargemacht, die sich an seine Person knüpften, hatte er es frischweg gewagt, den Grafen, der selbst in einer italienischen Heirat sein Glück gefunden, um Vermittlung anzugehen, und der Graf hatte mit väterlicher Güte durch den erlauchten Lorenzo den überraschenden Antrag gestellt: die junge Lucrezia um den alten Tullius.
Veit zeigte vor dem Grafen so große Zuversicht, daß darüber die Stimme des Zweifels in seinem eigenen Inneren verstummte. Im stillen aber pflog er mit sich selber Rat und zwang sein Gedächtnis zu ungeheurer Anstrengung, um jeden Punkt hervorzusuchen, der zu Bernardos Begehren stimmte. Nur das unaufgeklärte Ende des älteren Rucellai schuf ihm Bedenken, des Manuskriptes glaubte er sicher zu sein. Doch wenn er erst an Ort und Stelle war, wollte er schon den unsichtbaren Faden finden, der sich von dem einen zum anderen spann. Denn daß es im Grunde doch vermessen war, dem Zufall so unerhörte Güte zuzutrauen, das zu denken fiel ihm gar nicht ein.
Über Sankt Blasien konnte er genaue Auskunft geben, denn es war einst ein Schirmkloster seines Vaters gewesen, und ein Zweig der Familie Rechberg hatte dort ehedem die Grablege gehabt. Nicht gar weit von Stauffeneck, dem Witwensitz seiner Mutter, war die Stelle, wo einst das Kloster stand; jetzt waren längst die Trümmer abgetragen, und der Pflug ging über den Ort. Zur Zeit des Städtekrieges nämlich, während sein Vater mit dem Grafen Ulrich von Württemberg vor Eßlingen zog, hatten die raublustigen Gmünder, die es mit den Städtern hielten, auf rechbergischem Grund und Boden viel Schabernack verübt und auch jenes wehrlose Klösterlein überfallen und niedergebrannt. Der Prior von Sankt Blasien, ein alter gebrechlicher Mann, hatte sich nach dem nahen Stauffeneck geflüchtet, wo er aber infolge des Schrecks und der erhaltenen Verletzungen starb. Die Truhe, welche Peter gesehen hatte, mochte also wohl die von dem Prior gerettete Klosterbibliothek enthalten, denn der Junker entsann sich gut, daß er einst als kleiner Junge von einer Magd gehört hatte, im Burgkeller sei der Schatz von Sankt Blasien vergraben, den ein schwarzer Hund mit feurigen Augen hüte.
Noch eine andere Erinnerung aber, weit unheimlicher und schauerlicher als diese, tauchte ihm zugleich aus seiner Kinderzeit auf. Im Örtchen Salach am Fuße von Stauffeneck war außerhalb der Kirchhofmauer ein kleiner Hügel, wohl durch Anhäufung von Scherben und allerlei Unrat entstanden, aber seit langer Zeit mit üppigstem Grün bekleidet, und unter dieser Erhöhung, so flüsterte man im Volke, sei der »schwarze Mann« begraben. Dorfkinder mieden den Ort, obwohl hier immer die ersten Primeln blühten und zur Veilchenzeit ein wunderbarer Duft von der Stelle ausging. Auch Veit hatte es in seinen Knabenjahren, wenn er nach Stauffeneck kam, als keine geringe Leistung betrachtet, in der Dunkelheit allein an dieser Kirchhofecke vorüberzugehen, und er tat es nur mit zugedrückten Augen und beschleunigtem Schritt.
Wer der schwarze Mann war, wußte er nicht, denn nach Kinderart war es ihm nie eingefallen, sich um Dinge zu kümmern, die so weit vor seiner Zeit lagen, nur ging im Dorf die halbverschollene Sage, derselbe sei ein schrecklicher Zauberer und Schatzgräber gewesen. Auch spielten zuweilen die älteren Leute auf irgendeinen schauerlichen Vorfall an, der mit dem »Schwarzen« zusammenhing.
Diesen Nekromanten hatte nun die Phantasie der Schloßkinder mit dem Schatz im Kellergewölbe in Verbindung gebracht, und sie pflegten sich zu erzählen, daß nächtlicherweile der schwarze Mann aus seinem Hügel steige und nach dem Burgverlies schleiche, um dort den Schatz zu heben, der ihm auch im Grab keine Ruhe lasse, daß er aber jedesmal von dem Hund mit den feurigen Augen zurückgetrieben werde. Oder war es doch nicht die eigene Einbildungskraft gewesen, welche jene beiden Gegenstände so eng in seiner Vorstellung verwob? Hatte er vielleicht einmal erzählen hören, dieser Schatzgräber habe nach dem Klostergut von Sankt Blasien gestrebt und sei darüber ums Leben gekommen? Hier wurden seine Erinnerungen so dunkel und ungewiß, daß dem angestrengten Gedächtnis mit aller Mühe nichts weiter abzuringen war.
Als der Junker sich festgesetztermaßen in Reuchlings Gesellschaft bei Herrn Bernardo einfand, traf er dort nebst den Söhnen und anderen Verwandten des Hauses auch den unvermeidlichen Marcantonio, der ihn mit dem kalten Blick stillen Hohnes maß. Junker Veit hatte zwar nach den deutschen Begriffen von dazumal eine für seinen Stand ausreichende Bildung genossen, konnte sich auch zur Not im Lateinischen ausdrücken, aber bei all der Gelehrsamkeit, welche die Florentiner Herren zu seinen Ehren verpufften, wurde ihm heiß und kalt, und er war herzlich froh, sich unter die Fittiche des Geheimschreibers ducken zu können, besonders gegen den berühmten Marcantonio, der sich ein Vergnügen daraus machte, ihn in gefährliche Satzbildungen zu verstricken und vor dem künftigen Schwäher zu Fall zu bringen. Doch Reuchlin war dem Italiener völlig gewachsen, und der Gelehrte fing mit dem funkelnden Schwert seines Geistes manchen Hieb auf, der dem Kriegsmann gegolten hatte, wofür ihm dieser erst viele Jahre später, da Reuchlin von den Dunkelmännern seiner Heimat umlagert war, den schuldigen Dank und Gegendienst entrichten konnte.
Allgemach kamen die Verhandlungen nach langem Hin- und Widerreden, das den Florentinern einen aufrichtigen Genuß gewährte, zu gedeihlichem Abschluß, und der Heiratskontrakt wurde Punkt für Punkt zu Papier gebracht. Jetzt erschien auch das Fräulein morgenfrisch und züchtig erglühend ohne eine Spur der nächtlichen Tränen, und Herr Bernardo trat in die Mitte der Anwesenden, die Tochter an der einen, den Junker an der anderen Hand, und hielt, nachdem die Ringe getauscht waren, eine schöne lateinische Verlobungsrede über das Wesen der Treue, die mit dem Tode des Regulus begann und mit der Zerstörung von Karthago endigte. Glückwünsche wurden nach antikem Muster getauscht, und auch Marcantonio stattete den seinigen ab, ohne durch eine Miene zu verraten, daß ihm der lästige Zwischenfall einen altgehegten Wunsch durchkreuzte.
Indes die breiten Wogen der Dialektik, jetzt völlig zum Selbstzweck entfesselt, das Gemach durchrauschten, stand Junker Veit neben seiner Verlobten in einer Fensternische, von dem mächtigen Teppichvorhang halb verdeckt, und suchte sich mit ihr durch Blicke und leisen Druck der Hand zu verständigen, bei welcher Sprache er der Hilfe