Jetzt kam Marcantonio mit einer Kanne Wein und zwei silbernen Bechern zurück. Er schwenkte die Becher mit Malvasier aus, den er auf die Veranda sprengte, und trank dem Junker auf das Glück seiner Ehe zu, aber er selbst nippte nur, während Veit den Wein auf einen Zug hinunterstürzte und, durch den raschen Trunk nur durstiger geworden, noch einen zweiten Becher leeren mußte. Beim Schein der Lampe fiel ihm auf, wie bleich sein Wirt war: er schien jählings gealtert, und seine Brust keuchte. Kein Wunder, denn die Schwüle in dem Gemach war fast erstickend. Veit eilte wieder auf die Veranda hinaus und drückte seinen blonden Krauskopf trunken und liebesselig gegen das kühle Laubgeschlinge.
Marcantonio folgte ihm und sagte mit einer Anwandlung von Mitleid: »Wie wäre es, Herr Ritter, wenn Ihr mir noch heute den Kodex zeigtet, damit ich Euch gleich morgen mit meinem schwachen Urteil zur Seite stehen kann?«
»Verzeiht«, war des Junkers unumwundene Antwort, »ich habe geschworen, ihn durch niemand berühren zu lassen, ehe ich ihn in Herrn Bernardos eigene Hände gebe. Des Tages ruht er sicher auf meiner Brust, bei Nacht lege ich ihn unter mein Kopfkissen«, fügte er lachend hinzu.
Marcantonio Rucellai war ein reinlicher Mann und liebte es nicht, seine Hände mit Blut zu beflecken. Er würde auch gerne des Jünglings Leben geschont haben, hätte er nur eine andere Möglichkeit gesehen, ihn unschädlich zu machen. Er bebte innerlich vor der Tat zurück, ja, er wäre bereit gewesen, das Manuskript mit dem Opfer seines Vermögens zu erkaufen, aber er sah wohl, daß an einen gütlichen Ausweg nicht zu denken war.
Er schüttelte seinem Gast die Hand.
»Einen langen, festen Schlaf und süße Träume unter meinem Dach«, wünschte er und entfernte sich, indem er die Türe nach der Treppe angelehnt ließ.
Veit wurde es plötzlich zu Mut, als ob tausend kleine Flämmchen über seinen Körper huschten. Er riß das Wams auf, zog die Papierrolle heraus, die ihn jetzt belästigte, und warf sie achtlos auf den Tisch. Seine Gedanken verwirrten sich, das Zimmer ging mit ihm im Kreise, und er mußte sich mit wankenden Knien an den Pfosten der Verandatüre klammern. Sonderbar, daß zwei armselige Becher Wein eine so berauschende Wirkung auf ihn übten! Junker Veit war sich doch bewußt, auch beim Glase seinen Mann zu stellen.
»Aber freilich, dieser Griechenwein, der unter Florentinischer Sonne reift, ist auch ein anderer Held als unser zahmes Neckargewächs«, dachte er. »Ein Glück, daß sie mich nicht so sehen kann.«
Und erschrocken zog er sich in das Innere des Zimmers zurück, als wäre zu fürchten, daß die Augen der Geliebten ihn noch durch die Dunkelheit in so unwürdigem Zustand erblicken könnten.
Er tastete sich nach dem Lager, auf das er, angekleidet wie er war, niedersank. Doch nach einiger Zeit hob er mühsam den Kopf, denn es kam ihm vor, als ob die Tür geknarrt habe und die Strohmatte knistere.
Da erblickte er eine Gestalt, die ihn trotz seiner Müdigkeit zum Lächeln reizte. Lucius Rufus war auf den Zehenspitzen hereingeschlichen, seinen schmächtigen Leib mit dem langen dünnen Hals im Gehen einziehend und wieder ausreckend, wie jene Raupe, die man Spanner nennt. Jetzt stand er vor dem Lager.
»Was willst du, Lutz?« fragte der Jüngling in schläfrigem Tone.
»Ah, Herr Ritter, Ihr seid noch nicht in Orpheus’ Armen?« flüsterte der Rote. »Ich kam, um zu sehen, ob Ihr nichts bedürfet.«
Dabei horchte er mit vorgeneigtem Ohr nach dem Wäldchen hinaus.
»Nichts, ich danke dir«, sagte Veit mühsam. Die Anstrengung des Sprechens riß ihn ein wenig aus der Betäubung. Er richtete sich auf.
»Was macht dein Fräulein, Lutz? Hat sie zuweilen meiner gedacht, während ich ferne war?«
»O Herr, sie seufzte nach Euch wie die getreue Helena!«
Veit rüttelte aufs neue an den Fesseln des Schlummers, die ihn schon wieder umstricken wollten.
»Die getreue Helena?« sagte er befremdet.
»Ja, Herr, wie die getreue Helena, da sie dem abwesenden Gatten Ulysses das Strumpfgewand wob. Von ihr habt Ihr nichts zu besorgen.«
Veit war zu müde, um zu lächeln, er sank nur beruhigt mit dem Kopf aufs Kissen zurück.
»Hört Ihr mich, Herr Ritter?« begann Lucius ängstlich aufs neue. »Das Fräulein will Euch wohl, aber die Luft hier ist Euch nicht ganz gesund, denn schon mancher Fremdling fiel in des Verderbens Schlingen, statt in den Schoß der Liebe.«
Lucius hätte gerne den Jüngling durch einen versteckten Wink gewarnt, ohne sich selber bloßzustellen, denn Marcantonios übergroße Beflissenheit gegen den ahnungslosen Nebenbuhler schien ihm unnatürlich und gefährlich. Aber Veits Schlaftrunkenheit und seine eigene schwülstige Redeweise, die er bei Gefahr seines Lebens nicht zu ändern vermocht hätte, hinderten ihn, sich verständlich zu machen.
»Was willst du sagen?« gähnte Veit.
»Daß Ihr umlauert seid von der tausendköpfigen Mitra des Verrats«, flüsterte der Rote keuchend. »Herr, man hat Euch liebevoll und gastfrei aufgenommen, aber mir fällt dabei ein, was der lateinische Poet sagt – wie sagt doch der lateinische Poet? Hm, es fällt mir jetzt nicht ein – aber es würde sehr gut hierher passen.«
»Laß den lateinischen Poeten, guter Lutz«, murmelte Veit. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, so tu es, aber ohne Zitate und Schnörkel werk, denn ich bin müde.«
»Herr, möchtet Ihr Euch wach halten – ach, da nickt er schon wieder. Herr Ritter, trennt Euch nicht von Eurem Schwert! – Er hört mich nicht!«
Lucius bückte sich und suchte in heftiger Beängstigung nach des Jünglings Schwert, das er an seine Seite legte, ohne ihn durch seinen flüsternden Zuruf mehr erwecken zu können. Er sah sich ratlos um. Vom Haine her meinte er Geräusch zu hören. Er lauschte.
»Nein, es ist alles still. Aber mir ist so bange. Was bin ich doch für ein Hasenfuß! Und der schöne Anfang meines Gedichtes ist auch weggeblasen. Was mische ich mich denn in fremde Angelegenheiten!«
Er wollte sich zurückziehen, da fiel sein Blick auf den Tisch. Hier lag die Schriftrolle, das goldene Vlies, das dem Hause Rucellai unerhörte Opfer gekostet hatte. Er konnte es nicht lassen, liebkosend mit den Fingern darüberzufahren, der klassische Kitzel siegte über seine Furchtsamkeit, er hielt die Rolle gegen das Licht und betrachtete ehrfurchtsvoll die Schnüre, womit sie umwunden war.
Plötzlich fuhr er zusammen, er hörte ein leises Wehen und Schleichen auf der Treppe und dann einen deutlichen Schritt. Darauf wurde es ganz still, als ob der späte Schleicher an seinem eigenen Geräusch erschrocken sei und den Atem verhalte. Dem Roten sträubten sich die Haare auf dem Kopf. Jetzt schlich es wieder und noch leiser als zuvor, aber es war schon viel höher oben auf der Treppe. Da stürzte Lucius, ohne noch einmal nach dem preisgegebenen Schläfer zu blicken, in sinnloser Angst auf das offene Fenster zu, schwang sich hinaus und kletterte behend und leise wie ein Eichhorn auf das Dach des Schuppens und von da auf den Waldboden hinab. Es war völlig dunkel; Lucius kam erst ein wenig zur Besinnung, als er auf seiner raschen Flucht mit Heftigkeit gegen einen knorrigen Olivenstamm rannte. Sein Herz klopfte so laut, daß er fast