Von Gottes Gnaden - Band I. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711469972
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Jettchens schmächtige kleine Gestalt versank in dem hohen Polstersessel am Ofen. Ihr Kopf, schlicht frisiert und mit schwarzer Spitzenbarbe belegt, neigte sich Tag für Tag mit gleicher Emsigkeit über die feine Leinenstickerei, als sei Erikas Hochzeit bereits in nächster Woche, als müsse die Ausstattung über heut und morgen fertig sein.

      Frau Oberst Koltitz war eine sehr sympathische Erscheinung, die verkörperte Güte und Sanftmut, still, aber reich an schönen und idealen Gedanken, welche sich in jedem Urteil über Welt und Menschen ebenso liebevoll und verklärend ausdrückten, wie ihr Mann sie voll schwärzesten Pessimismus verdammte. Wo er hasste, verzieh und liebte sie; wo er anklagte, wusste sie zu entschuldigen; wo er Verrat und Schlechtigkeit sah, enthüllte sie immer noch eine gute Seite, fand stets Gründe, das wirklich Schlechte selbst nachsichtig und mitleidig zu beurteilen.

      Ihrem Mann gegenüber war sie etwas schüchtern, beinahe ängstlich. Sie fürchtete seine Heftigkeit und suchte sie durch liebevollen Vorwurf zu entkräften. Der Kosename „Maus“ hatte früher in der Garnison viel Heiterkeit erregt und die so gern lästernde Welt hatte schnell die Komik der Gegensätze herausgefunden. Wenn der leicht gereizte Gatte, grimmig wie ein Nussknacker, in kräftigster Weise losschimpfte, nichts weniger wie allerliebst anzuschauen in solchem Augenblick, gab es wohl keine verblüffendere Entgegnung seitens der Gemahlin, als ihr zärtliches „Aber Maus, sei doch nicht so niedlich!“ Und ebenso scherzhaft wirkte dieser nämliche Einwurf, wenn Koltitz, in guter Laune, die bedenklichsten Geschichten auftischte, bei deren saftiger Pointe Frau Jettchen jedesmal hold errötend lispelte: „Aber Maus, sei doch nicht so niedlich!“ Die kleine Frau war entschieden überzeugt von ihren Worten, aber die Schandmäuler der Gesellschaft hatten die „niedliche Maus“ bald zum geflügelten Wort gemacht.

      Wie stets, beruhigte sich der Oberst auch diesmal schnell. Er zog sich einen Stuhl neben den Sessel seiner Frau und trommelte ihr liebevoll mit den Fingern auf den Rücken.

      „Mache keinen Spektakel, Alte! Ist doch nicht meine Schuld, dass der donnerwettersche Kuckuckskasten vorgeht! Die Liese soll übrigens sofort zum Uhrmacher laufen —“

      Der Sprecher verstummte unter dem eigentümlichen Aufblick der Gattin.

      „Zum Uhrmacher? Bei diesem Schneesturm vier Meilen weit in die Stadt laufen? Ich fürchte, Väterchen, sie findet keinen, der heute abend noch mit ihr heraus watet!“

      „So, so; Teufel ja, vergesse immer noch, dass wir ja Gott sei Lob und Dank in einer Atmosphäre atmen, die auf Meilen weit keine Stadtlust verpestet. Famos, Jettchen! gar zu gemütlich. Hör’ mal, wie es draussen heult, man könnte sich einbilden, es wären Wölfe; und jetzt prasseln wieder ein paar Ziegeln vom Dach — ausgezeichneter Sturm! Frisch und gesund! Der pustet mal kräftig durch und schleppt keine Bacillen und keinen Strassenstaub mit sich ’rum! Und wie kuschelig ist’s hier im warmen Stübchen! Keine verfluchte Corridorklingel, die einem alle Minuten auf die Nerven geht! Keine Ordonnanzen, keine Visiten, ich brauche nicht alle zehn Minuten in den kalten Uniformsrock zu fahren, weil so ein paar wurstige Menschen die Stuben voll Schneewasser trampeln wollen! Nicht wahr, Jettchen, du findest das auch ein molliges Leben? Jettchen, Herzchen ..... Himmelschockdonnerwetter, warum antwortest du denn nicht?!“

      „Aber Maus!“ — Jettchen zog den erregten Mann liebevoll wieder auf den Stuhl, von welchem er aufgesprungen, nieder. „Ich zählte doch gerade die Kreuzchen hier — siehst du ... dieses Muster bedingt Aufmerksamkeit, — ein, zwei Kreuzchen ... Stich ... ein, zwei Kreuzchen ... Doppelstich —“

      „Verdammte Kreuzchen! wirf sie in die Ecke, Jettchen, dieses monotone Gezähle kann einen ja rasend machen! Also hör ’mal, Jettchen, dass dich die Frau Generalin .. und der Gelbschnabel von einer Majorsprotze hier nicht mehr ärgern können, und dass der Hauswirt keinen Skandal mehr macht, weil die Frauenzimmer die Wäsche unausgerungen auf den Boden hängten und das Wasser bei Kalkulators durchtrippte ... he, Jettchen, kommst du dir nicht vor wie im Himmel?“

      Frau Koltitz fädelte ueues Garn in die Nadel. „Gewiss, Mäuschen, es ist reizend, du weisst, dass ich mir eine solche Idylle wie die hiesige mein Leben lang brennend gewünscht habe! Ich habe dich ja, Väterchen, dich! und ich weiss dich glücklich und zufrieden, das ist die Hauptsache. Aber ...“

      „Alterchen, gieb mir ’n Schmatz!“ — Koltitz nahm in derber Liebkosung den Kopf der kleinen Frau zwischen beide Hände und küsste sie voll Dankbarkeit. „So; und was meinst du nun mit deinem „Aber?“

      Ein leiser Seufzer. „Die Erika, Männchen! Das arme Wurm ist noch zu jung für diese klosterhafte Einsamkeit.“

      „Papperlapap! — sieht das Mädel etwa aus, als ob sie sich langweilt und wegsehnt? Freut sich ihres Lebens wie ein Fisch im Wasser! Jung! ja, sie ist noch jung an Jahren, aber ein merkwürdig ausgereifter Charakter. Ich sage dir, Jettchen, das Kind weiss die Menschen besser noch zu beurteilen wie wir! Die hat den Schwindel und die Komödie da draussen in der grossen Welt durchschaut, die pfeift was auf diesen gleissnerischen Klimbim, hinter dessen schöner Aussenseite kein Körnchen von Aufrichtigkeit steckt —“

      „Nein, nein, Väterchen! Erika war gern unter Menschen, sie hat sich immer gut amüsiert und denkt ohne jede Erbitterung an die Vergangenheit zurück. Dass sie die Feste und Vergnügungen der Residenz nicht vermisst, ist eben eine der goldenen Absonderlichkeiten ihres anspruchslosen, treuen Gemüts. Sie liebt uns und fügt sich heiter und ohne Murren in unsern Willen, aber gerade diese Selbstlosigkeit des guten Kindes rührt mich, und ich empfinde es als Schuld —“

      „Schnickschnack! Du ahnst gar nicht, Jettchen, wie gern die Erika hier ist!“ — Koltitz blinzelte geheimnisvoll und stiess die sehr überrascht aufblickende Gattin leise mit dem Ellenbogen an.

      „Aber Väterchen ...“

      „Ja, ja, Väterchen!“ höhnte der Oberst, sie persiflierend. „Das Väterchen ist nicht so dumm und so egoistisch, wie du denkst! He, Alte — mach mal ein bisschen die Augen auf, wenn unsere Kleine neben dem Goldjungen, dem Wigand, sitzt —“

      Frau Henriette schüttelte ernsthaft den Kopf. „Einbildung!“ entgegnete sie sehr entschieden, „du siehst, weil du sehen willst. Es gibt keine grössere Gleichgültigkeit als die zwischen Erika und Wigand!“

      „Potz Hagelkreuzdonnerwetter — das Mädel sollte ihm nicht gefallen?! Da soll doch ...“

      „Aber Maus! Maus! schrei doch nicht so! Nein, ich glaube nicht, dass Erika diejenige ist, welche den so sehr hausbackenen, poesielosen Mann erobern wird. Wigand ist ein grundbraver, vortrefflicher Mensch, aber ich taxiere ihn auf einen Geschmack, welcher lediglich in einer sehr schlichten, nur wirtschaftlich prosaischen Frau sein Ideal findet. Unser Kind hat aber zu lange schon die elegante Grossstadtluft geatmet, Erika ist ja fleissig und tüchtig, aber der Grundzug ihres Wesens ist eine sinnige, zarte Schwärmerei, für welche ein derber Landmann nie Verständnis haben wird!“

      Koltitz lachte, allerdings ein wenig ärgerlich. „Das ist ja alles Nebensache, Jettchen! Die Verhältnisse passen dafür desto brillanter! Was könnte dem armen, mittellosen Jungen besseres passieren, als sich in ein schuldenfreies, schönes Gut hineinzusetzen, als eine Frau finden, die ihm alles, was er braucht, auf dem Präsentierteller zuträgt!“

      „Wigand ist ein viel zu ehrlicher und treuer Mann, um zu berechnen, und was würde ihm auch alle Berechnung helfen, wenn er keine Gegenliebe findet?“

      Koltitz fuhr sich entrüstet mit beiden Händen in die grauen Haare. „Keine Gegenliebe?! ich schlage das Mädel tot, wenn sie so einfältig ist —“

      „Maus, sei doch nicht so niedlich!“

      Der Oberst stiefelte mit Riesenschritten im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er stehen und wühlte in Frau Henriettes sorglich geordnetem Arbeitskorb, als wolle er Salat mengen. „Dummheiten, wir zanken uns um Kaisers Bart. Abwarten, Jettchen, die Einsamkeit hat schon manch trocknen Stab in Myrthen grünen lassen! So, und nun Maul halten, Alte — draussen klirren endlich die Kaffeetassen.“

      Die Thüre öffnete sich mit jenem eigenartig langsamen Rücken, welches unverkennbar verrät, dass die Klinke unter erschwerenden Umständen mit dem