Den Bauern drückte es schier das Herz ab, zu erfahren, ob der Oberst wohl allein das Gut bewirtschaften werde? —
Claasen hatte endlich den Mut, ihn nach langem Räuspern darum zu befragen.
Koltitz schien gern über seine Pläne zu sprechen. Er griff die Frage hastig auf und erzählte, dass er als Offizier zu wenig Erfahrung besitze, um ohne zuverlässige Stütze ein solches Risiko wagen zu können. Der Zufall komme ihm dabei zu Hilfe. Ein entfernter Vetter von ihm sei gelernter Landwirt, habe mit grossem Geschick ein Gut bewirtschaftet und sei erbötig, Ellerndörp auch für ihn zu verwalten und in Schwung zu bringen. Das solle dann die Lehrzeit für den Obersten sein. Ein Gestüt einzurichten, reize ihn persönlich unendlich. Er sei passionierter Pferdefreund und Züchter, habe als Kavallerist die nötigen Kenntnisse und erachte Ellerndörp als ganz besonders geeignet dazu.
Das solle sich aber alles erst mit der Zeit finden. Fürs erste lechze er nach Ruhe und Frieden, wolle vor allen Dingen den nächsten Winter behaglich hinter dem Ofen sitzen und zuhören, was der Seesturm draussen zu erzählen habe! —
Der alte Herr rieb sich schmunzelnd die Hände. Welch eine Wohlthat wird das sein, wenn es nicht alle zehn Minuten klingelt, um eine Visite zu melden! Welche Erquickung, wenn die Klatschbasen seine arme Frau nicht permanent mit Ungeheuerlichkeiten aufregen, wenn nicht mehr aller Augen voll ängstlicher Spannung an der Stirn des Divisionärs hängen, ob dieselbe Sturm oder Sonnenschein prophezeit! — Nun wird er sich nicht mehr auf Bällen und Diners langweilen, wird nicht mehr stundenlang bei Wind und Wetter in der Droschke sitzen, um Visiten zu fahren, wird sich nicht mehr die Gelbsucht an den Hals ärgern, wenn giftig süsse Teilnahme ihn fragt: „Herr Oberstleutnant, fühlen Sie sich denn jetzt etwas wohler? Ich hörte, Sie hatten einen neuen Anfall Ihres Leidens?!“ —
Nein, nun ärgert man ihn nicht mehr. Er hat den bunten Rock ausgezogen, den ein letztes Almosen noch mit dem Titel und Charakter des „Oberst“ geschmückt. Ein Oberst ohne Regiment; ein Reiter ohne Pferd. — Er wird’s vergessen. —
Still, ganz still und wundervoll gemütlich soll es in dem Gutshaus von Ellerndörp werden.
Mutterchen wird ihn hegen und pflegen, sie werden Freiherrn sein und endlich einmal thun und lassen können, was ihnen beliebt. Erika aber trägt Sonnenschein ins Stübchen, sie wird singen und lachen, wird Blumen pflegen und den Hühnerhof befehligen, sie wird sich mit Vetter Wigand gut, sehr gut vertragen, so gut ... dass ...
Ja, wenn die Gedanken des alten Herrn bis zu diesem Punkt gelangt waren, dann strich er jählings mit der Hand über die Augen und schmunzelte, sprang auf und rannte mit verklärtem Lächeln im Zimmer auf und ab. — Seine Pläne, seine Pläne! über alle andern sprach er, über diesen letzten nicht, aber er war ihm der liebste von allen.
Die Sonne sank tiefer. Blutrote Lichter flammten über die Heide. Da rollte und quietschte die gelbe Postchaise langsam wieder im Sande herzu.
Der Oberst sprang auf, er schüttelte reihum die Hände, derbe, rauhe, ehrliche Hände. „Treibt, Kinder! treibt die Arbeiter, dass das Haus wächst!“ nickte er zum Abschied. Und dann stieg er in die Post.
Die Bauern standen, die Mützen in der Hand, und schauten ihm nach.
„He is doch düchtig abstännig un’ klappricht!“ nickte Peter Claasen nachdenklich vor sich hin, „dat is nich gaud, wann so’n oller, miserablichter Kierl noch ’n Hus upricht!“
„Nee, dat duht nich gaud.“
„Un worüm nich, Vadder Claasen?“
Der Bauer machte eine kurze Bewegung mit der Hand, setzte die Mütze auf und wandte sich schweigend zum Gehen.
Da fragte keiner mehr, wussten sie doch alle, was er meinte. Nein, es thut nicht gut, die Erde aufzureissen und ein Haus zu bauen, ’s ist ein Aberglauben dabei. Eins aus der Familie muss in die offene Erde hinein. — Das gnä’ Frölen ist ein junges Blut und die Gutsfrau gesund und rüstig, — im Herbst aber fällt welkes Laub — und der Alte ist welk und morsch, wie ein Blättlein am Lebensbaum, welches ein Frost getroffen. —
Die Bauern von Ellerndörp gingen schweigsam nach Hause. Sie hatten heute mehr gehört und erfahren, wie sonst in einem Jahr. Das lastete auf ihnen. Ihr armer Verstand konnte es nicht ergründen, ob dem Obersten ein Unrecht geschehen, sie begriffen nur, dass er ein kranker Mann war, dem ein Leid widerfahren, und weil er nun zu ihnen gehörte, so war sein Kummer auch der ihre. — Das Gutshaus wuchs empor und die Bauern von Ellerndörp schüttelten ernst die Köpfe, — beim Richtfest war die Krone herabgestürzt, das bedeutet nichts Gutes.
II.
Schnee lag über der Heide.
In wundervoller Reine und Klarheit leuchtete das flache Land, so weit der Blick reichte, wenn die Sonne am Himmel stand und die ruhige Luft vor Kälte flimmerte; schöner aber noch war es, wenn Himmel und Erde verschmolzen in grauen Schleiern, wenn ein geheimnisvoll falbes Licht seine Schatten um die Rüstern und Schlehdornbüsche malte, — wenn die Raben mit melancholischem Schrei einsam die matten Schwingen regten.
Dann stand der Oberst am Fenster und starrte stundenlang hinaus in den Wirbeltanz der Flocken, hinüber zu den Dächern des Dorfes, welche wie spitze Schneehaufen emporragten. Wenn die bläulichen Rauchfahnen darüber hinkräuselten, wusste er, dass nun Modder Fieken oder Mutting Hanne die Suppe auf dem Feuer hatte. Und wenn das gedämpfte Bellen eines Hundes von der Dorfstrasse herüberklang, ein Bellen, welches von Haus zu Haus zu vollerem Akkord anwuchs, schrill und tieftönig, cholerisch und sanguinisch, kläffend und grollend, dann sah Koltitz nach der Uhr und nickte zufrieden vor sich hin. Die Post fuhr ein. Manchmal summte er dann in den Bart: „Und hat sie keinen Brief für dich, — mein Herz — mein Herz!“ und er rieb sich behaglich die Hände dazu und nickte ingrimmig vor sich hin: „Fehlte auch noch! Briefe! Zeitungen! Verfluchter Kram, der einem nur die Ruhe stört. Ich mag nicht wissen, wie’s draussen aussieht, ich habe die Brücke hinter mir abgebrochen. Mögen sich die Menschen raufen oder vertragen, mögen sie sich herumzanken, sich hassen oder lieben, — mich ficht es nicht mehr an. Hier hört die Welt auf, hier verklingt ihr Lärm. — Ah — und das ist schön, wunderbar schön. Narren sind alle, die es so haben könnten und sich dennoch zu Lasttieren der Welt machen. Was trägt’s ihnen ein, ihr Rennen, Jagen und Hasten, der wilde unbarmherzige Kampf um Phantome? Sie reiben sich auf, sie überstürzen ihre kurzen Lebenstage, sie haben keine Zeit, um glücklich zu sein. Narren sind sie, Narren! — Hier ist’s still, und wenn es einmal stürmt und braust, so ist’s draussen vor dem Haus, über die Schwelle weht kein Gifthauch mehr.“
Und gerade den Sturm, den rauhen, wilden Nordlandsturm liebte Koltitz über alles. Er nannte ihn sein Hoforchester, seine göttliche Kapelle, welche einzig und allein für ihn die zaubervollen Märchenweisen der Unendlichkeit spielte. Dann sass er im behaglichen Lehnstuhl am Fenster und lauschte.
Die Bäume im Garten ächzten und stöhnten, es pfiff und schrillte um die Fenster und wenn ein neuer Windstoss daherfuhr, klang es, als rolle sich das Weltmeer brausend über die Heide heran.
Das Feuer prasselte im Kamin, Funken stoben um die dicken Eichkloben, wenn sich Erikas rotüberflammtes Gesichtchen neigte, die Glut übermütig anzublasen und zu schüren! —
Ja, Erika! Sie liebte ihn auch über alles, den wilden, unhöflichen Gesellen, den Schneesturm, welcher ihr so ungalant das blonde Köpfchen zauste und ihr die wunderlichsten Geschichten erzählte! Der Vater hörte nur Melodieen aus ihm hervorklingen, das junge Mädchen aber verstand Worte, Lieder, Märchen — tausenderlei närrische Dinge, welche sie andern Tags weitererzählte, der Modder Dörten und dem Liesing, wenn sie am Spinnrad sassen und gar nicht satt werden konnten, des gnä’ Frölens wundervolle „Läuschen und Riemels“ anzuhören.
Wenn der Kuckuck in der Schwarzwälderin viermal seinen Namen gerufen, wurde der Oberst schon ungeduldig.
„Jettchen! liebes Jettchen — es schlägt schon viere? Wo bleibt das Rackerzeug wieder mit dem Kaffe? Verdammte