Bräutigam und Braut. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711472910
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fortan allein vorzustehn.

      Wieder einsam und verlassen im Leben, wenn nicht die kleine Jehovana voll kindlichster Zärtlichkeit an der Pflegemutter gehangen hätte, der wunderliebe Sonnenschein in all den trüben Tagen, welche die sowieso schon einsiedlerisch beanlagte Frau noch weltscheuer wie zuvor machte. Nach der vorgeschriebenen Frist ward das Testament Friedrich Karl Rösings, welches er anlässlich seiner Verheiratung gemacht, eröffnet.

      Dasselbe nannte seine Gattin Gerda geborene Freienfeld zur Universalerbin mit unbeschränkten Rechten, — ehelich geborenen Kindern ward bis zum Ableben der Mutter eine hohe Rente ausgesetzt, das Gut Nudgerhaf sollte als eine Art Familiensitz Allgemeineigentum sein, um jedem Mitglied der Rösings bis zu den Enkelkindern des Erblassers herab, eine gesicherte Wohnung oder Sommeraufenthalt zu bieten.

      Dieser letzte Wille war sehr klar und kurz gefasst, und da der Verblichene keine Leibeserben hinterliess, ging das grosse Vermögen in unbeschränkten Besitz mit freiem Verfügungsrecht an das Weib des Verewigten über.

      Überseeische Geschäfte erfordern viel Kraft und Wissen, und die Freunde Friedrich Karls, welche es für ausgeschlossen hielten, dass eine so welt- und handelsfremde Frau derartigen Betrieb leiten könnte, schlugen ihr vor, das Geschäft in Aktiengesellschaft umzuwandeln, um so mehr, da ja doch kein Sohn da sei, später das Erbe des Vaters anzutreten.

      Gerda überlegte nicht lange.

      Schon das bedeutende Privatvermögen hatte reichlich genügt, ihr und Jehovana Lya eine glänzende Existenz zu sichern. Nudgerhaf kam noch dazu; da war es entschieden — schon im allgemeinen Interesse des Exports und Imports — richtiger, wenn sie das Geschäft in tatkräftigere Hände übergehen liess.

      Sie wandelte es daher in eine Aktiengesellschaft um, liess sich ihren Anteil auszahlen und behielt von all der früheren Herrlichkeit im Haag nur das grosse, altehrwürdige Patrizierhaus, in welchem sie gewohnt, in ihrem Besitz.

      Jehovana Lya war auf ihrem Schoss eingeschlafen, nachdem sie voll jauchzenden Entzückens der Mutter zum erstenmal ganz selbständig aus der kleinen deutschen Kinderfibel vorgelesen.

      Sie hatten dann noch ein wenig geplaudert, von dem lieben, guten Vater, welcher nun droben in dem Himmel wohnt und gewiss allezeit auf sie herabschaut, ob sein Blondköpfchen, sein kleiner Liebling auch fleissig Deutsch lerne, brav und fromm sei und bald die schöne Reise in die Heimat, auf welche sich alle schon so freuten, antreten zu können!

      Ja, die Reise in die Heimat!

      Gerda sehnte sich danach, sie nach so langer Zeit wiederzusehn.

      Sie hatte nun ihre Pflichten hier in dem fremden Land erfüllt, sie war frei und einsam, was Wunder, wenn sie gern einmal nach Deutschland, dem herrlichen, alten zurückkehren möchte!

      Draussen fegte der kalte Seewind den Schnee durch die Strassen, es dämmerte in dem niederen dunkelgetäfelten Zimmer, und Jehovana Lya wurde von dem Kuckuck aufgeweckt, welcher aus seinem geschnitzten Holzhäuschen heraus meldete, dass es Zeit zur Nachmittagsvesper sei.

      Die sehr junge Erzieherin, Fräulein Betty, stand auch schon auf der Schwelle, die Kleine abzuholen, und als Frau Rösing allein zurück blieb, da flogen ihre Gedanken immer sehnsuchtsvoller nach der Heimat, und kurz entschlossen stand sie auf und setzte sich an den Schreibtisch nieder.

      Nur ein paar Worte an den Vater! Ihm nur mitteilen, dass sie den Gatten hergeben musste und gern einmal, wenn auch nur zu kurzem Besuch, in das Vaterhaus zurückkehren möchte.

      Der Rechnungsrat hatte sich zwar nie mehr um seine Tochter bekümmert, ebensowenig die Stiefmutter, — nur einmal war eine Postkarte gekommen mit dem stolzen „Aufschrei“ der Mama: „Kannst uns gratulieren, Gerda! Papa ist eben Oberrechnungsrat geworden!“

      Das hatte sie auch getan, — auf Wunsch ihres Mannes aber nur telegraphisch, denn Herr Rösing empörte sich nicht zum erstenmal über die Lieblosigkeit, mit welcher sein Weib aus dem Elternhaus gestossen war. Und doch! Jetzt, in aller Trauer, mit dem weichen, versöhnungswehen Herzen! Da vergass sie alles, was zwischen ihnen lag und schrieb die wenigen Worte, dass sie gern im Lauf des kommenden Sommers mit Kind und Kegel die Heimat wiedersehen möchte!

      Sie brauchte nicht lange auf Antwort zu warten.

      Ihre Stiefmutter schrieb auf schwarzgerändertes Papier:

      „Liebe Gerda! Wollte Dir gerade schreiben, als Dein Brief kam. Papa ist nun doch noch in Davos gestorben, nachdem sein langes Siechtum den kleinen Rest unsres Vermögens verschlang und mich sogar mit Schulden zurück liess. Hoffentlich geht es Dir nicht auch so, — muss Dir sonst im voraus sagen, dass ich nicht helfen kann. Will mir nun mein Brot allein verdienen, wie gut, dass ich die Jahre über mich so gründlich für die Laufbahn einer Bühnensängerin ausbilden konnte! Natürlich im Ausland, — hier hängt mir die Geheimratstochter zu sehr an. Was ich mit Amadeus anfangen sollte, machte mir anfänglich Kopfzerbrechen. Einen Jungen, der in die Schule muss, kann ich nicht dauernd in der Fremde mit herumschleppen, — stört ja auch rasend. — Sein Onkel und Pate Amadeus, welcher ihm ja zur Taufe das so ‚generöse‘ Geschenk seiner ständigen Freundschaft machte, kann den Kleinen zu sich nehmen und ihn erziehen, solch unnützer Hagestolz hat ja sonst nichts weiter auf der Welt zu tun. Ein wenig ‚überspahnig‘ soll der nunmehrige Herr Major allerdings sein, — macht nichts, — mein Sohn ist ein lieber, artiger und kluger Junge, er wird sich schon in ihn fügen lernen. Hoffentlich fordert der teure Onkel nicht eine Pension für den Kleinen — ist ja erst acht Jahre alt! — Das wäre ein bittrer Schlag in das Almosen, welches ich als Witwenpension beziehe, — kann so schon nicht damit fertig werden! — Also, liebe Gerda, es tut mir recht leid, dass Du auch den Krepphut aufsetzen musst! Aber denk’ nur immer, dass die goldene Freiheit auch nicht zu verachten ist! Sonst weiss ich Dir keinen Rat, Hilfe erst recht nicht. Ich reise schon im Laufe der nächsten Woche ab, kommst vor verschlossne Türen, wenn Du etwa überraschen willst, denn ich löse hier alles auf. — Adio! Deine verwitwete Frau Oberrechnungsrat

      Freienfeld! —

      Die Leserin starrte lange regungslos auf den Brief nieder.

      Dann strich sie über die Stirn: „Vater — Mutter — Schwestern — Brüder — hab’ ich auf der Welt nicht mehr—“ tönte es wie eine wehmütige Erinnerung in leisem Klang durch ihren Sinn, — und sie faltete die Hände, trat vor das Bild ihres Mannes und flüsterte: „ja, dann wär’s in sel’gen Höhn wohl das schönste Wiedersehn!“

      Und wieder zogen die Jahre dahin. Mit Vorliebe weilte Gerda auf Nudgerhaf, für dessen naturschöne Einsamkeit auch Jehovana Lya eine innige Zuneigung fühlte.

      Den Winter über lebte die kleine Familie in der Stadt, damit das heranwachsende Kind in allem gebildet werden konnte, was Kunst ins landläufige, auch für Frauen, „mundgerechte“ Wissenschaft war.

      Das ernste Wesen der Mutter und ihr Hang zur Einsamkeit teilte sich jedoch dem frühreifen Kinde gar bald mit, und da Gerda, je älter sie wurde, auch desto schärfer urteilte, so sprach sie der Pflegetochter manche Ansicht aus, welche wie Schatten, tiefe, nächtige Schatten auf all den Glanz und Schimmer ihres jungen Lebens fielen.

      Wie viel Heuchler, wie viel Egoisten, wie viel kalte, herzlose Zahlenmenschen kreuzen täglich unsern Weg! Wie viele von ihnen drängen sich ungerufen heran, Unruhe und Qual in den Frieden ihrer Mitmenschen zu tragen.

      Je mehr Jehovana Lya heranreifte, desto angstvoller beobachtete es Gerda, wie schon jetzt viel feine Netze und Fädchen gesponnen werden sollten, das Goldfischchen beizeiten einzufangen.

      Da gab es kein besseres Mittel, als dem Kind die Augen zu öffnen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, und dass ein reiches Mädchen oft die Ärmste von allen wird, wenn sie nur um des Geldes willen den Freier findet.

      Jehovana Lya hörte aufmerksam zu, und mit der schwärmerischen Übertreibung des Backfischchens witterte sie bald in jedem Tanzstundenverehrer nur den Harpagon, welcher sich beizeiten nach einem gespickten Portemonnaie umsieht. Immer scheuer zog sie sich von ihren Jugendgespielen zurück, und da bald nur ihre Mutter und die Erzieherin, welche nun schon seit vierzehn Jahren ihre Schritte lenkte, der einzige Umgang für