Und Hottjepottje bekam extra eine halbe Leberwurst für den ungerechten Fusstritt, den er für den vermeintlichen Kirschendieb in Empfang genommen hatte.
Man feierte sehr schöne Verlobung: das Brautpaar stillvergnügt, mit gutem Appetit, Frau Eliza in strahlender Laune, für alle übermütig, was ihren Mann nun nicht mehr zu extravaganter Tischordnung veranlasste.
Gerda hatte ihre Verlobung dem Vater angezeigt, ohne näheres Kommentar über den Bräutigam, und gefragt, ob sie eine Hochzeitseinladung schicken solle?
Als Antwort kam ein Telegramm. Kühl und zurückhaltend. — „Haben uns gefreut, dass du versorgt bist. Reise unmöglich. Besten Glückwunsch. Freienfeld.“ —
„Um so besser!“ lachte Friedrich Karl ungeniert.
Die Hochzeit ward nicht im Haag gefeiert, sondern auf der Besitzung Rösings, einem idyllisch in der Nähe des Meeres gelegenen Landgut, welches der vielbeschäftigte Mann dadurch auch einmal kennen lernte, und welches auf Gerda einen besonderen Reiz ausübte. — So gern wie hier in der köstlichen Ruhe holländischer Behaglichkeit war sie noch nirgends gewesen; wenn ihr Gatte die Reise über See machte, hoffte sie längere Zeit hier in Nudgerhaf Aufenthalt nehmen zu können.
Im Haag wurden die Festlichkeiten nachgeholt, und Friedrich Karl konnte es voll Genugtuung konstatieren, dass ein verheirateter Mann lange nicht mehr so beansprucht bei Spiel und Tanz ist wie ein Heiratskandidat, und das gab ihm vollends ein Gefühl — so angenehm sicher wie bei einem Mann, welcher fürchtete, es gäbe nach dem Ball nur ein ungemütliches Büfett, und hört plötzlich, dass es zum Souper geht, mit vernünftigem „Beine unter dem Tisch!“
Welch eine glückliche Ehe!
Eins lebte nur für die Interessen des andern, — nie laute Worte, nie Uneinigkeit, nie Vorwürfe oder Klagen. Dabei keine Indolenz.
Theater, Konzerte, Reisen, — alles bot reiche Abwechselung, und das Gefühl, welches beide Gatten bei allem stets neu beseelte, war das einer gegenseitigen grossen Dankbarkeit.
Nur eins fehlte. — Zwar nur etwas ganz Kleines, — aber es gehörte doch zur Hauptsache. — Die Ehe blieb kinderlos.
Friedrich Karl war anfänglich recht unglücklich darüber, denn einen Erben für sein Geschäft und Geld hätte er doch ganz gern gehabt.
Wenn er aber nach Esten kam, wo fast alljährlich ein neuer, kleiner Flachskopf ein helles Juchhe! in die Welt schrie, dann rieselte es ihm doch kalt über den Rücken, und er eilte voll Grausen aus dem Bereich dieses Mordsspektakels, wo die Kinderstube törichterweise in das Wohnhaus eingebaut war!! Warum nicht abseits auf dem Hofe wie die andern Kückenstuben?
Warum so viel unnötige Trommelfelldefekte?!
Warum so viel Holderdipolder auf den Treppen, dass alle Vierteljahr neue Juteläufer gelegt werden mussten, wie der verblendete Vater noch voll höchsten Triumphes versicherte?
Und womöglich noch Zwillinge im Kinderwagen, eins mit dem Kopp nach hüben — und eins mit dem Kopp nach drüben! Solch schiebbare Storchennester deuchten Herrn Rösing denn doch Missbrauch an den guten Gaben Gottes.
Da tröstete er sich denn schnell und versicherte es auch seiner lieben Frau, dass solch ein Glück im Dutzend einen nervösen Mann zur lachenden und weinenden Verzweiflung bringen müsse!
Eines Tages aber stand Gerda so recht allein und wohl auch etwas wehmütig in Nudgerhaf auf der weinumwachsenen Veranda und harrte auf die Rückkehr ihres Gatten, welchen eine Depesche zur Beerdigung seiner Kusine gerufen hatte.
Seufzend hatte er sich in das Unvermeidliche gefügt.
Frau Nina Rösing war Witwe, lebte mit ihrem Kindchen in einem Sanatorium und hatte niemand mehr auf der Welt, dem sie ihr Testament hinterlassen konnte, als ihrem einzigen Anverwandten Friedrich Karl.
Es war im Juni, die Rosen blühten, und die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht.
Auf der Chaussee rollte ein Wagen, dann knirschte der Kies unter eiligen Schritten, und als Gerda von ihrer Handarbeit aufblickte, sah sie ihren „Hausherrn“ unter den hohen Lindenwipfeln daherkommen.
Aber nicht allein.
Hinter ihm kam eine hohe, knochige Holländerin im Nationalkostüm, die trug auf dem Arm ein kleines Mädchen.
„So, Gerda — da bin ich wieder — und wie du siehst, habe ich mich verdreifacht! — Da ist Julie, die Amme von dem kleinen Waisenkind, welches nirgends mehr ein Plätzchen hatte, wo es bleiben konnte. Weil es bei uns nun doch ein bisschen reichlich still in den letzten Jahren geworden ist, dachte ich, es ist ein ganz hübsches Geburtstagsgeschenk für dich, Frauchen! — Auf ein paar Treppenläufer kommt es uns ja nicht an, — na und so zwei winzige Füsschen und solch ein Groschensmäulchen machen nicht viel Raddau! — Komm mal her, kleen Poppje, auf meinen Arm! Siehst du, Gerda, es fürchtet sich nicht vor mir, schreit auch nicht, ist sehr lieb und artig! Und nach seiner alten Familienchronika ist es getauft: Jehovana Lya! — Schöner Namen, was? — Na — nimm’s hin! Ich schenke es dir, liebe Frau, und hoffe, dass es uns, wenn wir alt — oder besser noch älter geworden sind, all den Sonnenschein der Jugend wieder ins Haus trägt!“
Wie ein Zittern der Aufregung und des tiefsten, wehmütigsten Entzückens ging es durch die Seele der einsamen Frau. Sie trat an die Seite des Gatten und blickte auf das Kindchen nieder, welches mit grossen, wundervollen Blauaugen so sanft und geduldig wie ein kleiner Engel zu ihr aufschaute.
Ein blasses, zartes Gesichtchen, umrahmt von lichtblonden Löckchen, dass Gerda das Lied einfiel: „Die Sonne lag auf ihrem Haar — als sei sie dort zu Haus!“
„Willst du zu mir kommen, Jehovana Lya?“ fragte sie freundlich und hob die Arme nach der Kleinen!
Einen Augenblick ein ängstlich scheues Forschen in dem süssen Gesichtchen, — dann reichten die Händchen verlangend nach der fremden Frau, und Friedrich Karl sagte mit einem Seufzer der Erleichterung und höchsten Genugtuung: „Siehste? Sie will! Na, Mäuschen, halt dich mal fest an ihr! Da sitzest du weich und warm im Nestchen!“
Gerda küsste das Kind, und obwohl ihr Wesen ebenso besonnen und ruhig blieb wie zuvor, war es ihr doch plötzlich, als habe sich der Himmel zum zweitenmal über ihr aufgetan, um eine Botschaft der Liebe zu ihr herabzusenden.
Ein neues Leben tat sich ihr auf.
„Ja, sie soll mein eigen sein!“ nickte sie feierlich: „Kleine Jehovana Lya — hast wieder eine Mutter gefunden!“
Das empfand das Kind gar bald in allem Guten, denn Frau Rösing hatte viel freie Zeit, und die widmete sie nun alle ihrer „Einzigsten“! Leib und Seele wurden treulich gepflegt, aber es war unvermeidlich, dass ein so zartes Körperchen in seiner Eigenart beharrte, denn obwohl Jehovana Lya am liebsten in Nudgerhaf in wohliger Freiheit bei viel köstlicher Milch, Butter und Eiern und allem, was sonst einem Kinderschnäbelchen behagt, aufwuchs, blieb sie doch so zierlich und schlank und rank wie eine Elfe, und wenn auch die grossen Vergissmeinnichtaugen sehr heiter in die Welt lachen konnten, blickten sie doch oftmals so tiefinnerlich, als sei ein Stück Himmel in sie hineingesenkt!
Die Zeit eilte dahin und erfüllte sich an Friedrich Karl Rösing.
Abermals trieb ihn das Pflichtgefühl, wie so oft schon, hinaus in die Kolonien, und als Gerda ihn bereits auf der Heimreise wähnte, traf im Haag die erschütternde Nachricht ein, dass der prächtige holländische Passagierdampfer „Oranien“ auf der Rückkehr von Sumatra, nachdem er noch verschiedene Häfen angelaufen, den heimtückischen Stürmen auf der Höhe von Biscaya zum Opfer gefallen. — Das Unglück sei nachts geschehen und derart plötzlich gekommen, dass von den Passagieren, so viel bis jetzt bekannt, nur ein kleiner Bruchteil gerettet werden konnte.
Voll ängstlicher Sorge harrte Frau Gerda auf die Bestätigung solcher Hiobspost, und als dieselbe tatsächlich amtlich bekanntgegeben wurde und auch die Liste der Verunglückten den Namen ihres Gatten