Vae Victis - Band II. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448267
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man längst zu Grabe gelegt, stehen lebendiger auf, denn je, und gaukeln uns Bilder vor das innere Auge, welche uns selig und traurig zugleich machen!“

      Der Sprecher beobachtete heimlich die Wirkung seiner Worte in Bonaventuras Antlitz, welches sich allerdings voll träumerischen Ernstes der mondlichten Ferne zuwandte. „Du bist doch sonst kein Spielverderber, Völkern, warst die längste Zeit deiner Ehe fast der tollste Lebemann unter uns — aber heute bist du wieder Primaner — und siehst du, mir geht es just wie dir! — Es muss in der Luft liegen, die solchen Einfluss hat!“

      Bonaventura atmete tief auf; es klang wie fast ein Seufzer, als er antwortete: „Wie sprichst du so wahr! Wir sind jetzt acht Wochen in Luxor, ich habe den vollen Zauber dieses wunderbaren Erdenfleckchens kennen gelernt, und mir ist es, als ob seine Schönheit eine Sehnsucht bei mir auslöse, welche ich nicht begreifen und kaum noch beherrschen kann!“

      Heym setzte bedächtig eine neue Zigarette in Brand und tat ein paar tiefe Züge.

      „Völkern —“ sagte er flüsternd und neigte den Kopf plötzlich tief zur Brust, „glaubst du wohl, dass ich dieselbe unbegreifliche, schier unheimliche Sehnsucht kenne — und mich vor ihr fürchte?“

      „Vor ihr fürchte?“ wiederholte der Baron mit grossen Augen: „du Rolf-Valerian? Das verstehe ich nicht.“ „Wohl möglich — welch ein Menschenkenner vermöchte in der Seele eines einsamen, ruhelosen, übersättigten Mannes noch die Lyrik eines Gymnasiasten zu lesen? Auch der beste nicht. — Siehst du, Völkern, solch eine Nacht, wie die heutige, löst die Zunge — du bist wohl der einzige hier, der mich versteht, wenn ich dir versichere, dass ich vor solch sehnsüchtigen Stimmungen monatelang nach Monte Carlo flüchtete, dass ich auch heute wieder Teufels Gebetbuch aufschlagen wollte, um die leise Stimme meines Herzens zu übertönen!“

      Bonaventura rückte näher und legte, aufs höchste betroffen, die Hand auf den Arm des Schwagers. „Rolf-Valerian — bist du verliebt?“ —

      Das rotblonde Haupt mit den spärlichen Scheiteln war noch tiefer auf die Brust gesunken. „Wohl möglich,“ murmelte er; „denn die Sehnsucht in meinem Herzen schreit nach einem Weib, das ich liebe und mit welchem ich wohl unaussprechlich glücklich geworden wäre!“ —

      „Wie sehr überraschst du mich! Und warum stillst du dieses Sehnen nicht, da es doch dein Leben krönen würde?“ —

      „Unmöglich!“

      Völkern fuhr beinahe ungestüm auf: „Ein Mann, der, wie du, über Millionen verfügt, kann doch wählen, wen er will!“

      „Glaubst du? — Irre dich nicht. — Ich, der reiche, steinreiche Mann habe mir von dem Weib meiner Liebe .... einen Korb geholt!“

      Bonaventura zuckte jäh zusammen, wie ein Erbleichen ging es über seine Züge.

      „Kenne ich sie?“ fragte er gepresst.

      Wieder sog Heym wie in durstigen Zügen den feinen Zigarettenrauch ein.

      „Und ob du sie kennst! Wohl keiner so gut, wie du!“

      „Malva?“

      „Malva.“

      „Sie wies dich ab?“ Der Baron stiess es fast atemlos hervor. „O, das war eine Marotte von ihr, eine etwas schwärmerische Überspanntheit! Ich will dir den Grund offen und ehrlich sagen. Sie scheut sich, das Weib eines Monisten zu werden! Eine Ehe ohne kirchliche Trauung wäre ihr unerträglich gewesen!“ — —

      Die kleinen, rotumränderten Augen blinzten mit wunderlichem Ausdruck zu dem Sprecher auf. „Du irrst abermals!“ sagte er sehr ruhig, „auch ich glaubte, in dieser unserer religiösen Meinungsverschiedenheit den Grund für Malvas schroffe Ablehnung zu erkennen, und darum liess ich ihr mitteilen, dass meine Liebe zu jedem Opfer, selbst dem einer Sinnesänderung, bereit sei. — Ich wollte unsere Ehe auf durchaus christlichem Fundament aufbauen und erachte eine kirchliche Trauung für selbstverständlich.“

      Völkern hatte sich aufgerichtet; er stützte sich schwer mit beiden Händen auf die Balustrade und starrte den Sprecher aus weitoffenen Augen an.

      „Und ihre Antwort?“ stammelte er.

      Rolf-Valerian strich umständlich die Zigarettenasche ab — in seinen Augen lag der Ausdruck einer Katze, welche mit grösstem Genuss ein armes Mäuslein martert.

      „Solltest du Glücklicher diese Antwort nicht besser wissen?“ seufzte er tief auf.

      „Ich?!“

      „Wen anders wie dich hätte Malva so unbeschreiblich tief und innig geliebt, dass sie um dieser treuen Liebe willen die Hand des reichsten Mannes im ganzen Lande ausschlug?“

      „Um ihrer Liebe .. um meinetwillen?!“ Das klang wie ein halberstickter Schrei.

      Bonaventura taumelte gegen die Blütenkulisse der Balustrade zurück und hob die Hand gegen die Stirn, als wolle er sich überzeugen, dass er nicht träume.

      „Um meinetwillen?“ wiederholte er noch einmal.

      Heym schien die Wirkung seiner Worte gar nicht zu beachten.

      Mit halbgeschlossenen Augen lag er im Sessel, und seine edelsteinfunkelnde Hand hielt mechanisch den glimmenden Tabak. —

      „Nun natürlich! Die Antwort war so deutlich, dass ich gar nicht zweifeln konnte. Du hattest ihr doch auf Tod und Leben den Hof gemacht, und ihre süssen Veilchenaugen ruhten ja mit einem Ausdruck auf dir, Beneidenswerter, dass ein Blinder sehen musste: dies süsse Kind würde eher einen tausendfachen Tod sterben, ehe es die Liebe zu dir aus dem Herzen risse! — Na, es ist überwunden, Bonaventura. Ellinor feierte ihren Sieg über die arme Kleine, und ich musste mich in das Unvermeidliche fügen. Ich warf mich toller als je in den wilden Strudel der Lust, um zu vergessen! Aber wenn eine so weiche, milde Vollmondnacht all die kleinen Liebesgötter entfesselt, wenn es dort über dem Nil so glänzt und duftet, als flüsterten sie uns ganze Psalter der zärtlichsten Wonne ins Ohr — dann .. ja dann steigt die Erinnerung wieder herauf — und ich träume, ich sässe dort in dem Kahn, hielte das süsseste blonde Weib mit den blauen Enzianaugen im Arm und hätte Welt und Zeit vergessen!“ —

      Sekundenlang war alles still, nur Völkern war tief in den Schatten des Lorbeers und der Myrten zurückgewichen, und von seinen Lippen klang es wie das leise Aufstöhnen eines zu Tode Getroffenen.

      Heym sprang jäh auf und schleuderte mit scharfem Auflachen die Zigarette in den Garten hinab: „Zum Teufel mit solch sentimentalen Anwandlungen!“ rief er; „ich hasse diese Mondscheinnächte am Nil, weil sie immer einen Waschlappen aus mir machen! Wenn man sich vor Reminiszenzen schützen will, soll man trinken, spielen und schöne Weiber lieben, welche mehr Donna — als Madonna sind! Komm, alter Junge, wir wollen das Leben geniessen und mal sehen, wem von uns beiden die Coeurdame zuspringt! Meine Malva — deine Malva!“ —

      Wieder lachte er frivol auf und wollte Völkerns Arm fassen; — dieser trat von ihm zurück und schüttelte beinahe heftig den Kopf.

      „Ich habe weder Durst nach Wein, Gold oder Frauengunst! Aber es reizt mich, den Zauber dieser geheimnisvollen Nacht zu erproben, ob er dieselbe Wirkung auf mich, wie auf dich hat! Ich mache noch einen Spaziergang nach jener kleinen Moschee droben auf dem Hügel — —“

      „Ah — das Grab des grossen Scheichs!! Das ist die rechte Staffage, du Schwärmer! Wo träumt man von verlorenem Glück wohl schmerzlicher, als gerade dort —!“ Und voll feinen Spottes erhob er die Hand und sang mit heiserer Stimme — Scheffel variierend:

      „O Nubierin — was schauest du

      Mich an mit sengenden Blicken?

      Dein Aug’ ist schön, doch nimmer wird’s

      Den deutschen Mann berücken!

      Jenseits des Niles liegt ein Grab —

      Gegraben am grünen Rheine

      Drei weisse Rosen blühen darauf —

      Meine Liebe liegt