Vae Victis - Band II. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448267
Скачать книгу
Aeroplan? — Welches System wählst du: Blériot, Farman, Grade, Eulner, Antoinette oder Wright? Man hat ja jetzt eine famose Auswahl!“

      Ellinor zerbiss das vergoldete Mundstück ihrer Zigarette wie in nervösem Spiel.

      „Danke — zu meinen Höhenflügen brauche ich keine fremde Hilfe — die unternehme ich nach eignem System!“ —

      „Hut ab! — Wer wird auch andere Meister anerkennen, wenn man jede Dimension so meisterlich beherrscht, wie du!“

      Wollte er sich mokieren, wie Rolf-Valerian stets seine kleinen Piken für sie bereit hatte?

      Nein! Mit demselben ehrlichen und offenen Gesicht wie stets schlürfte der Sprecher lachend den starken Kaffee und krönte ihn mit einem Schluck Benediktiner.

      „Namentlich die vierte!“ stimmte sie heiter ein. „Die guten und bösen Geister haben einen derartigen Respekt vor mir, dass sich keiner blicken liess, als ich scherzeshalber einmal der Séance eines vielgenannten Spiritisten beiwohnte!“

      „Ah — das tatest du? Wie interessant! Und es geschah nichts Aussergewöhnliches?“

      „Nein, einen Heidenspektakel abgerechnet, welcher von einem unterirdischen Orchester gut in Szene gesetzt war. — Etwas Reelles zu sehen oder zu fühlen gab es natürlich nicht.“

      Bonaventura sah plötzlich sehr nachdenklich aus. „Und doch sind so viele Menschen fest und steif von der Existenz unsichtbarer Wesen überzeugt,“ sagte er langsam; „sogar der Pfarrer, welcher mich konfirmierte, antwortete auf meine diesbezügliche Frage: ‚Selbstredend glaube ich an alle Geister, von welchen in der Bibel die Rede ist — gute und böse. — Wer ihre Existenz ableugnen will, straft die ganze Bibel Lügen, denn die Begegnung des gekreuzigten Erlösers nach seinem Tode mit den Jüngern ist nichts anderes als eine Geistererscheinung!‘“

      Baronin Völkern lachte scharf auf: „O, du naives Kind!“ sagte sie voll mitleidigen Spottes und klopfte ihn dabei auf die Wange, wie einem Baby. „Das hat der Herr Pastor gesagt? Ja, sieh mal, wenn diese Herren schon selber an ihrem Dogma rütteln wollten, so schnitten sie sich höchst eigenhändig den Lebensfaden durch und brächten sich um ein gutes, sicheres Brot, welches viele eifrige Gläubige so dick mit Wurst und Schinken belegen! — Schon aus lauter Egoismus und Klugheit muss sich der Herr Pfarrer vor dem schwarzen Mann und polternden Popanz fürchten, damit auch seine brave Lämmerherde nicht das Zittern verlernt! Es ist dieselbe Sache mit den Pastoren wie mit den Fürsten! Diese predigen Hölle und Fegefeuer, Himmel und Gericht, damit ihre Gemeinde ja nicht zusammenschmilzt, und die andern impfen den kleinen Buben schon in der Klippschule den Patriotismus ein, damit sie begeisterte Soldaten und Hurraschreier grossziehen, wenn das liebe Vaterland um irgendeiner Bagatelle willen mit Blut begossen werden muss!“

      Zum erstenmal wollte das Blut des verabschiedeten Offiziers heiss und leidenschaftlich emporwallen. Aber er würgte die sehr heftige Antwort herunter und sagte sich: „Es sind ja Weiberhände, welche dein Allerheiligstes antasten, mit denen kannst du nicht abrechnen, wie mit derben Männerfäusten.“ — Auch hatte er sich fest vorgenommen, es nie zu einem Streit zwischen Ellinor und sich kommen zu lassen.

      So füllte er sich den kleinen Goldbecher abermals voll Likör und trank ihn langsam, wie ein Beruhigungsmittel aus.

      „Aber Liebchen! Das klingt ja ganz sozialdemokratisch!“ rief er anscheinend sehr amüsiert.

      Seine Gattin lehnte den Kopf mit sehr ernstem Gesicht gegen das japanische Seidenkissen zurück.

      „Gewiss, ich bin auch Sozialdemokratin!“

      „Potz Wetter!“

      Ihr kalter Blick schien förmlich zu erstarren. „Wundert dich das?“

      „Ehrlich gestanden, ja!“

      „Und warum?“

      „Weil sonst den Besitzern von Millionen und Grossgrundbesitz unsere sicheren, behaglichen Zustände unter dem kaiserlichen Zepter angenehmer sein dürften, als die Anarchie!“

      Die junge Frau zuckte die Achseln. „Eine solche egoistische Kirchturmpolitik treibe ich nicht. Ebenso wie Staat und Kirche stets Hand in Hand gehen werden, ebenso sagen wir Freidenker, welche rücksichtslos gegen alles Front machen, was die geistige und kulturelle Entwicklung von Mensch und Volk hemmt: ‚Ni Dieu, ni maître!‘ und erkennen weder einen Gott noch Herrn an, weil beide nur unnatürliche und despotische Gewalten verkörpern, welche jeder freien Entfaltung den Hemmschuh anlegen!“

      Völkern wurde es immer unbehaglicher; er bot alle Energie auf, um ruhig zu bleiben. „Bekenntnisse einer schönen Seele!“ scherzte er abermals; „ich verstehe nicht, wie du dich mit solchen in einer Hofgesellschaft wohl fühlen kannst!“

      „Ich ziehe ja auch jeden Tag ein Kleid an, von welchem ich mir sage, dass sein Schnitt mordsgarstig, geschmacklos und höchst unbequem ist, wie jede Modenarrheit — aber man fügt sich der Tyrannei, weil sie eben Mode ist! Und ebenso marschiert man nachgiebig in der grossen, gesellschaftlichen Herde mit, weil es momentan noch Mode ist, den Kurs zu nehmen, welchen der Leithammel einschlägt!“

      „Sehr richtig! Und über den Kurs fällt mir wieder das Kursbuch und unsere soeben projektierte Abreise ein! — Du bleibst also bei deinem Wunsche, in die Residenz zurückzukehren?“

      „Sobald wie möglich; dieser traute Herd zur Winterszeit ist derart, dass selbst der unmusikalischste Mensch ein Klagelied anstimmen könnte!“

      Bonaventura atmete auf. Er nahm abermals ihre zierliche, magere Hand und drückte sie in der seinen.

      „Herr Walther von der Vogelweide und sein Schüler Stolzing sangen Liebeslieder!“

      „Sie lebten vor mehreren Jahrhunderten!“

      „Ellinor!“

      Sie lachte abermals, nahm seinen Kopf in beide Hände und hauchte einen kühlen Kuss auf seine Wange.

      „Gut, gut, dear boy! Dort steht der Flügel! ‚Sing mir dein Lied im Dämmerschein‘ und lass mich unsere schrecklich prosaische Jetztzeit vergessen!“

      Die amerikanische Villa warf durch die rotseidenen Fenstervorhänge wieder ihre Purpurlichter auf die weissverschneiten Parkwege und verriet es durch das unruhig in ihr pulsierende Leben, dass das junge Paar von der Hochzeitsreise heimgekehrt sei. Mit geteilten Gefühlen hatte die Dienerschaft sie kommen sehen.

      Die Trauung ohne kirchliche Feier war selbstverständlich bis zur Erschöpfung besprochen. Die noch guten und rechtschaffenen Elemente unter dem grossen Tross der Haushaltung hatten voll Empörung solch ein gotteslästerliches Beginnen getadelt, die Leichtsinnigen und Schlechtbeanlagten fanden es ausgezeichnet, gerade das, was ihnen in den Kram passte, denn sie kalkulierten sehr logisch: „Wenn die Herrschaft weder an Gott glaubt, noch seine Strafe und Vergeltung fürchtet, wenn sie selber Gut und Böse nicht anerkennen und nur das tun, was ihnen behagt, so können sie von ihrer Umgebung unmöglich Gewissensbisse verlangen, wenn dieselbe ebenso denkt und sich die weitgehensten Freiheiten auf dem Gebiet von „mein und dein“ gestattet! Warum noch ehrlich, treu, sparsam oder moralisch sein, wenn solche Tugenden gar nicht anerkannt werden?

      Gibt es keinen Gott — so gibt es auch keinen Richter und kein Gewissen — man muss sich nur mit einer irdischen Behörde abzufinden verstehen und sorgsam das einzig wahre und praktische alte Gebot halten: „Lass dich nicht erwischen!“

      Diese Philosophie war gut, und man amüsierte sich weidlich darüber, weil die Herrschaft mit ihren eignen Waffen geschlagen ward. Wie behaglich war es nun, die Millionäre nach der Möglichkeit zu beschwindeln!

      Einer arbeitete dem andern in die Hand, und die anfänglich Guten wurden durch das tägliche Beispiel bald schlecht.

      Da ward ein Samen ausgestreut, welcher bald üble Frucht trug, denn auf abschüssiger Bahn geht es rapid bergab, und wer anfangs aus Eigennutz und Schlauheit gottlos schien, der ward es bald voll und ganz aus Überzeugung, denn was könnte dem Laster wohl besseren Vorschub leisten, als die bequeme Versicherung: „Erlaubt ist, was gefällt.“ —