Punkt - Punkt - Sommer - Strich. Roy Jacobsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Jacobsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711451953
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      Nachdem ich diese naheliegenden Gedanken gedacht habe, und Katrine sich immer noch mit dem beschäftigt, womit sie sich nun eben beschäftigt, während die Kinder desgleichen tun, und nachdem ich auch beschlossen habe, daß mein elender Roman mich noch immer weniger interessiert als diese blöde Mordgeschichte von vor fünfundzwanzig Jahren, schlendere ich in den Werkzeugschuppen, suche den Rasenmäher und mache mich ans Rasenmähen, bei einem Rasen, der gut und gern ein Achtel des Grundstücks bedeckt, das heißt, mehr als einen halben Dekar, und das ist eine enorme Arbeit. Ich bewahre mir den Flecken über der zweigeteilten Leiche bis ganz zum Schluß auf, und ich mähe ihn sehr sorgfältig, ich rasiere ihn bis zur Kopfhaut, bis zu einer kränklich grünen Moosschicht, mache ein paar tastende Schritte, stehe, wo ich glaube, daß die Leiche gelegen haben muß, wippe auf den Fußballen auf und ab, wie, um die Konturen von irgend etwas zu spüren. Ich spüre durchaus keine Konturen von irgend etwas, das ist ja auch kein Wunder, und stapfe vergrätzt zum Haus zurück.

      Dort dusche ich, und als ich aus dem Badezimmer komme, ist zum Glück Katrine wieder da. Ich stehe im Flur und höre, wie unten die Tür geöffnet wird, ich höre Schritte in der Küche, höre Schranktüren, die geöffnet und geschlossen werden; ich höre eine Reihenfolge von Geräuschen, die ich normalerweise nicht mit Katrines Eintritt in die Küche nach einer Einkaufsrunde verbinde, normalerweise wird nämlich zuerst das, was dort hineingehört, im Kühlschrank untergebracht, danach das, was in die anderen Schränke soll. Jetzt ist die Reihenfolge umgekehrt; das denke ich, als ich die knarrende Treppe hinuntergehe und die Küche betrete.

      »Hallo«, sagt Katrine. »Wie geht’s?«

      »Doch, doch, es geht schon irgendwie.«

      »Was machst du denn für ein Gesicht!«

      Also sagt sie das, wovon ich weiß, daß sie es sagen wird, nämlich, wie ich aussehe, und ich weiß auch, wie Katrine mein Äußeres liest:

      »Du hast angerufen?«

      »Ja«, seufze ich, erleichtert, trotz allem. »Und er hat mir eine nicht gerade nette Geschichte erzählt.«

      Ich seufze wieder und setze mich und weiß im selben Moment, daß mein Geseufze ganz und gar fehl am Platz ist. Es verrät nämlich nicht nur etwas über die Geschichte, sondern auch, daß ich persönlich diese unheimliche Angelegenheit wichtiger finde, als es für den Familienfrieden gut ist. Meine Deutung der Dinge ist für Katrine nämlich viel wichtiger als ihr Eigenwert, falls sie überhaupt einen haben. Deshalb lasse ich meine Stimme lässiger klingen, als ich nun vom Mord erzähle, ja, ich erzähle die Geschichte so, wie ich eine Geschichte von einem ganz anderen Ort, einem ganz anderen Haus erzählen würde, und ich finde eigentlich, daß ich meine Sache gut mache. Katrine findet das nicht:

      »Das ist doch kein Grund zum Lächeln.«

      »Herrgott, das ist doch fünfundzwanzig Jahre her, Katrine.«

      »Das spielt keine Rolle – einen Menschen zu zersägen!«

      »Ja, das hat er gesagt.«

      »Das hättest du mir nicht zu erzählen brauchen!«

      »Wie meinst du das denn nun? Gestern hast du noch herumgenervt, wir sollten uns alles erzählen!«

      »Es heißt ja wohl nicht ›alles erzählen‹, wenn du dasitzt und darüber lachst, daß ein Mensch zersägt worden ist.«

      Ich verdrehe die Augen.

      »Ja, soll ich vielleicht weinen? Ich habe das doch nicht getan!«

      »Das hat ja auch niemand behauptet! Was ist eigentlich in dich gefahren?«

      Ja, wenn ich das wüßte. Denn jetzt sage ich tatsächlich: »Ach, vergessen wir das Ganze und essen wir ein bißchen, ich habe einen Bärenhunger.«

      »Essen?«

      »Ich habe den ganzen Nachmittag lang Rasen gemäht, ich habe Hunger, es ist mir schnurz, ob hier irgendwer umgebracht worden ist, es ist mir auch schnurz, ob sie in zwei oder in zehn Teile zersägt worden sind ...«

      Worauf Katrine die Küche verläßt, mit einer offenen Schranktür, und das ist so ungewöhnlich, daß ich um den Tisch herumgehen und für sie die Tür schließen muß, ehe ich sie wieder öffnen und Brot und Brotschneidebrett herausnehmen kann. Ich öffne auch den Kühlschrank, der zum falschen Zeitpunkt geöffnet und geschlossen wurde, suche nach Aufschnitt und setze mich zum Essen hin. Mit gutem Appetit und in aller Gemütsruhe verleibe ich mir sechs Scheiben Graubrot mit Käse und Wurst ein und trinke auch eine Flasche Bier – mit derselben Gemütsruhe. Gleichzeitig durchdenke ich die zersägte Leiche und alle Varianten des Themas, die mein Gehirn nur hergibt. Ich weiß nicht, ob mein Kohldampf nun von dem makabren Mord oder meinem Krafteinsatz hinter dem Rasenmäher herrührt, so wenig, wie ich an körperliche Arbeit gewöhnt bin – normalerweise besteht die bei mir nämlich nur aus einem täglichen Spaziergang zum Kiosk, wo ich mir eine Zeitung und eine Tüte Gummibärchen kaufe (die ich in aller Heimlichkeit in meinem Arbeitszimmer verzehre). Nach vollendeter Mahlzeit bin ich noch genauso gut in Stimmung. Ich räume Essen und Reste weg, wische den Tisch ab, pfeife und reiße noch ein Bier aus dem Kühlschrank an mich, als Katrine wieder hereinkommt.

      »Wo haben sie sie noch begraben?«

      »Willst du das wirklich wissen?«

      »Nein, aber ich muß. Ich kann nicht den Sommer hier verbringen, ohne ...«

      »Der Wahrheit ins Auge zu blicken?«

      »Nenn es, wie du willst. Ich muß jedenfalls fertig damit werden.«

      »Okay.«

      Wir gehen hinaus, Katrine und ich, in die hinterste Ecke des Gartens, hinter den letzten Apfelbaum, wo ich ihr die bestrasierte Stelle des ganzen Grundstücks zeige und sage:

      »Da!«

      Wir stehen nebeneinander und betrachten eine Weile dieses anonyme Stück Erde, lassen es auf uns einwirken, sehen uns an, schütteln den Kopf, und Katrine sagt:

      »Warum in aller Welt mußten sie sie bloß zersägen?«

      »Sie hätten Rücksicht auf die Feriengefühle eines Ehepaars mittleren Alters fünfundzwanzig Jahre später nehmen sollen, meinst du?«

      »Daß du so morbide sein kannst!«

      Darüber lache ich nur, trinke einen Schluck aus der Bierflasche und biete sie ihr ebenfalls an, lasse sie mein Angebot ablehnen und höre sie dieselben phantasielosen Möglichkeiten murmeln, die mein eigenes Gehirn gerade durchgegangen ist und verworfen hat, daß es da unten vielleicht so viele Wurzeln gibt, daß nicht genug Platz für eine ganze Leiche war, nur für zwei Hälften, daß auch sie diese Hypothese verwirft, wie auch ich, da schließlich vier Dekar zur Verfügung stehen, lasse sie sich also durch die bereits behandelten Varianten einer zersägten Leiche hindurcharbeiten. Dann verlassen wir den kränklich grünen und wohlfrisierten Flecken unten im Garten hinter einem Apfelbaum in Drøbak und begeben uns zur Küche zurück, wo Katrine eine ebenso überwältigende Mahlzeit zu sich nimmt wie ich.

      3

      Und in Drøbak regnet es tatsächlich auch einmal, einen weichen und anhaltenden Juniregen. Die Familie muß im Haus bleiben, und das ist gut, so durchgegrillt, wie wir schon sind, die drei von uns jedenfalls, die sich hier unter der brennenden Sonne dieser südlichen Breitengrade nackt am Strand aufgehalten haben. Der Verfasser dieser Zeilen hat sich dem nicht ausgesetzt, nicht nur, weil das, was seine rötliche Haut einst an Pigmenten hatte, von neun langen Jahren unter dem Polarstern zerstört worden ist, sondern auch, weil er Felsen, Strände und müßige Tagedieberei in weißem Sand noch nie ausstehen konnte. Aber jetzt regnet es also, und wir sind im Haus. Die Kleine hört zusammen mit der ältesten Tochter des Spielgerätemannes auf ihrem Zimmer Platten. Thomas sitzt mit Mutter und den zwei Söhnen des Nachbarn, einer elf, einer dreizehn, sowie fünf Yatziwürfeln im Wohnzimmer. Katrine ist fabelhaft in dieser Hinsicht, sie kann Stunde um Stunde beim idiotischsten Spiel sitzen, für sie ist nur wichtig, daß die Kinder erhalten, was ihnen zusteht, und zwar an Erziehung, Beschäftigung und befriedigten