»Wie kommst du darauf?« Daniel schenkte zwei Tassen Tee ein und reichte eine davon seiner Frau.
Sie dankte ihm mit einem Lächeln.
»Er hat mir vorhin sein Herz ausgeschüttet.«
Ohne seine Frau aus den Augen zu lassen, trank Daniel einen Schluck.
»Was hat er gesagt?«
»Dass er den Eindruck hat, dass sie nicht nur an ihm interessiert wäre, sondern auch an anderen Kollegen.«
»Zum Beispiel?«
»An Reinhart Witt, Theo Gröding.« Sie machte eine Pause. »Und an meiner Wenigkeit.«
Die letzte Bemerkung brachte Daniel zum Schmunzeln.
»Du meinst, Sie hätte dir den Hof gemacht?« Mit seiner Tasse kehrte er an den Schreibtisch zurück.
Fee setzte sich auf die Tischkante. Nachdenklich drehte sie die Tasse in den Händen.
»Nicht so, wie du mit deiner schmutzigen Männerfantasie jetzt denkst«, witzelte sie, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich sie gestern auf dem Flur getroffen habe.«
»Ich bin ihr jetzt noch dankbar, dass sie dich getröstet hat.«
Felicitas stellte die Tasse auf den Schreibtisch und verschränkte die Finger ineinander. Sie sah ihren Mann fragend an.
»Findest du es nicht komisch, dass sie mich noch am selben Abend zu Hause besucht hat? Ich will ja nicht undankbar sein, und ihre Anteilnahme hat mir wirklich gutgetan.« Sie erinnerte sich an Matthias’ Bemerkung über Laurenz. »Aber so im Nachhinein ist es schon komisch. Bis vor ein paar Tagen hat sie mich kaum eines Blickes gewürdigt. Und plötzlich tut sie so, als wäre ich ihre beste Freundin.« Sie seufzte. »Irgendwas ist faul an der Sache.«
»Schon möglich«, räumte Daniel ein, ehe er seine Tasse leerte. »Könnte dein Eindruck aber auch daran liegen, dass du seit dem Unfall extrem angespannt bist?«, stellte er eine berechtigte Frage, über die Fee gründlich nachdachte.
»Ich fürchte, du hast recht«, seufzte sie endlich und rutschte von der Tischkante. »Wenn ich nämlich ganz ehrlich bin, finde ich nicht nur die Sache mit Sandra komisch. Auch Lenni ist meiner Ansicht nach irgendwie anders.« Sie winkte ab und küsste ihren Mann zum Abschied. »Offenbar sehe ich wirklich an jeder Ecke Gespenster.«
»Sorgen solltest du dir erst machen, wenn aus den Gespenstern weiße Mäuse werden«, scherzte Daniel und brachte sie zur Tür.
»Mach dich nur lustig über mich«, beschwerte sie sich, und sofort wurde Daniel ernst.
»Das würde ich niemals tun«, raunte er in ihr Ohr und küsste sie. »Ich will dich nur zum Lachen bringen. Dich so verzweifelt zu sehen, ist das Schlimmste für mich.«
Sie rieb ihre Wange an der seinen.
»Ich liebe dich«, sagte sie leise, wohlwissend, dass diese drei Worte noch nicht einmal ansatzweise das auszudrücken vermochten, was sie wirklich für ihn empfand.
*
Wie ein Luchs lauerte Andrea Sander darauf, dass Felcitias Norden das Büro des Chefs endlich verließ. Den Stimmen, die von drinnen zu ihr hallten, entnahm sie, dass der Abschied kurz bevorstand.
Als Fee die Tür öffnete, lag Andreas Hand schon auf der Klinke.
»Sie haben es aber eilig.« Fee lachte belustigt auf.
»Die Zeit des Chefs ist so knapp, dass man jede Minute nutzen muss«, erwiderte die Chefsekretärin mit gewichtiger Miene. »In genau fünf Minuten muss er sich schon wieder auf den Weg zur nächsten Besprechung machen.«
Fee drehte sich zu ihrem Mann um und lachte.
»Hoffentlich muss ich jetzt kein schlechtes Gewissen haben, zu viel von deiner kostbaren Zeit vergeudet zu haben.«
»Von vergeuden kann überhaupt keine Rede sein.« Daniel zwinkerte seiner Frau zu, ehe er Andrea Sander hereinbat. »Wir sollten uns nicht immer so sehr von Terminen bedrängen lassen, sondern uns auch ab und zu Zeit nehmen und durchatmen«, erklärte er und kehrte auf seinen Chefsessel zurück. »Schließlich haben wir alle nur dieses eine Leben.«
Andrea trat an den Schreibtisch. Mit einem Mal schien sie es gar nicht mehr so eilig zu haben. Obwohl sie sich genau überlegt hatte, wie sie ihren Chef auf Lennis Gesundheit ansprechen sollte, wusste sie in diesem Augenblick nicht mehr, wie sie das Gespräch beginnen sollte, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Schließlich entschied sie sich für einen Umweg.
»Sie haben ja so recht«, seufzte sie und knetete verlegen ihre Finger. »Umso schlimmer stelle ich es mir vor, einem Patienten ins Gesicht sagen zu müssen, dass er schwer krank ist.«
Dr. Norden nickte.
»Der Tod ist leider unser ständiger Begleiter. Wer sich mit dieser Tatsache nicht anfreunden kann, hat den falschen Beruf gewählt.«
Nachdenklich wischte Andrea Sander über die blanke Ecke des Tisches.
»Besonders schwierig ist es sicher, wenn man einem Bekannten oder gar Freund eine schlechte Botschaft überbringen muss.«
Diese Bemerkung erinnerte Daniel an Laurenz und Melanie Grün.
»Da haben Sie recht.« Er hatte kaum ausgesprochen, als das Telefon klingelte. »Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, was ich für Sie tun kann.«
»Ach, schon gut.« Andrea Sander winkte ab. »Gehen Sie nur an den Apparat.«
Verwundert sah Daniel Norden ihr nach, wie sie aus seinem Büro eilte. Dann griff er nach dem Hörer, bevor der Anrufer die Geduld verlor und wieder auflegte.
*
»Was mir Sorgen macht, ist die Tatsache, dass Sie die Beine immer noch nicht bewegen können«, erklärte Dr. Lekutat, nachdem sie Laurenz Grün einer weiteren Untersuchung unterzogen hatte. »Bei einem Dickerchen würde ich ja nichts sagen. Aber bei einem sportlichen, hübschen Kerl, wie Sie einer sind … Jammerschade.«
Laurenz traute seinen Ohren kaum. Selbst wenn Christine Lekutat eine schlanke Schönheit gewesen wäre, hätte er für diese Worte kein Verständnis aufgebracht. Dass sie das genaue Gegenteil war, brachte das Fass zum Überlaufen.
»Was erlauben Sie sich! Ich werde mich bei Dr. Norden beschweren.«
»Meine Güte, da macht man schon mal ein Kompliment und dann so was.« Beleidigt presste Dr. Lekutat die Lippen aufeinander und setzte ihre Tests schweigend fort.
Sie hatte ihre Arbeit beendet, als sich Daniel Norden zu ihnen gesellte.
»Hallo, Laurenz, wie geht es dir?«
»Frag mich das lieber, wenn ich wieder laufen kann und unser Kind gesund auf der Welt ist.«
Daniel nickte stumm. Was hätte er dazu auch sagen sollen? Sein fragender Blick wanderte weiter zu seiner Kollegin.
»Wie sieht es aus?«
»Der junge Mann leidet immer noch unter einer Parese der unteren Extremitäten. Er spürt seine Beine nicht. Sie zeigen weder eine Reaktion auf Reize noch reagieren sie auf Reflexe.«
Daniel Norden ging hinüber zum Schreibtisch und rief die Aufnahmen von Laurenz im Computer auf. Nachdenklich studierte er die Bilder.
»Merkwürdig. So wie es aussieht, ist der Eingriff gelungen. Es gibt keinen offensichtlichen Grund, warum die Lähmungserscheinungen nicht zurückgehen.«
Schweigend hatte Laurenz gelauscht.
»Was schlägst du vor?«, fragte er, obwohl er nicht sicher war, ob er die Antwort hören wollte.
»Offensichtlich liegt eine Blockade vor, deren Grund wir herausfinden müssen.« Daniel erhob sich und kehrte zu seinem Freund zurück. »Deshalb