Caspar hustete und musste sich räuspern, ehe er fortfuhr.
»Er wusste ganz genau, dass ich großen Wert auf seine Meinung lege. Ich habe ihm vertraut und ihm alles erzählt. Auch, dass ich bei dir im Hotel anfangen soll.« Sein Atem ging stoßweise. Caspar regte sich so sehr auf, dass ihm Schweißperlen auf die Stirn traten. »So ein hinterhältiger Mistkerl! Er ist doch nur hinter unserem Hotel her. Und du gehst ihm auch noch auf den Leim.«
»Aber … aber …« Leonie wusste nicht, was sie denken, fühlen und schon gar nicht, was sie sagen sollte.
Ihr Zögern weckte nur neue Verdachtsmomente in Caspar.
»Schon gut, gib dir keine Mühe. Wahrscheinlich steckt ihr sogar beide unter einer Decke. Was für ein scheinheiliges Spiel!« Angewidert und voller Hass musterte er seine Mutter. »Du warst dir noch nicht mal zu blöd dazu, mir auch noch eine Management-Position anzubieten. Dabei wusstest du schon von Moritz, dass ich in Kambodscha unterschrieben habe.«
Diese Vorwürfe machten Leonie sprachlos.
»Was redest du denn für dummes Zeug? Das muss die Krankheit sein.«
»Krank ist, was ihr zwei da macht«, fauchte Caspar. »Wie lange geht das schon zwischen euch?«
»Ich habe dir doch gesagt … «, wollte Leonie beteuern. Doch Caspar ließ sie nicht ausreden.
»Lass mich in Ruhe! Ich will euch nie mehr wiedersehen. Keinen von euch.« Er hatte sich so sehr in seine Enttäuschung hineingesteigert, dass er immer schlechter Luft bekam. Das Rasseln in seinen Lungen alarmierte Leonie. Schon wollte sie sich nach seinem Befinden erkundigen, als sich Caspars Augen vor Angst weiteten. Seine Lippen wurden blau. Er griff nach seinem Hals und röchelte furchterregend. In diesem Moment wusste Leonie, dass sie handeln musste. Mit zitternden Fingern drückte sie den Notknopf. Ein paar Augenblicke später stürmte eine Schwester ins Zimmer. Ein Blick auf den Patienten genügte, um zu wissen, dass höchste Gefahr in Verzug war.
»Gehen Sie ins Schwesternzimmer und lassen Sie Dr. Kayser und Dr. Norden holen«, befahl sie, bevor sie sich über Caspar beugte. Leonie zögerte kurz. Dann lief sie los, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her.
*
Als Gregor der Hilferuf seiner Frau ereilte, drückte er den Nachbarn Babyfon und Hausschlüssel in die Hand und machte sich auf dem direkten Weg auf in die Klinik. Er fand Magdalena vor der Radiologie, wo sie nervös auf und ab ging und auf die Ergebnisse wartete.
»Gregor!«
Aufschluchzend stürzte sie in seine Arme und weinte hemmungslos. »Wie … Wie konnte das nur passieren? Es ging ihm doch so gut.«
Gregor hatte eine vage Ahnung, und sein schlechtes Gewissen wog tonnenschwer. Sollte er seiner Frau von dem Gespräch mit Dr. Norden erzählen? Ehe er eine Antwort auf diese Frage gefunden hatte, öffnete sich die Tür, und Felicitas Norden kam heraus. Behutsam schob er Magdalena von sich.
»Wie geht es unserem Sohn?«, fragte er heiser.
»Im Augenblick ist sein Zustand stabil«, erwiderte Fee sehr ernst. »Jetzt müssen wir die Bilder abwarten, um den Grund für diesen Anfall herauszufinden.«
Gregor fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
»Das ist alles meine Schuld. Ihr Mann hat das nur getan, weil ich so einen Druck gemacht habe. Es tut mir so leid. Das hätte ich nie von ihm verlangen dürfen.«
Schon wieder diese ungeheuerliche Behauptung! Und noch immer hatte Fee keine Ahnung, um welches Medikament es ging. Sie musste dringend mit Daniel sprechen. Doch dazu war im Augenblick keine Zeit.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, erwiderte sie der Einfachheit halber. »Aber ich bin sicher, dass mein Mann sich nicht unter Druck setzen lässt. Er würde niemals gegen sein Gewissen handeln.« Sie hatte kaum ausgesprochen, als sich die Tür erneut öffnete und Dr. Lammers auftauchte. Er sah alles andere als zufrieden aus.
»Und?«, fragte Fee ungeduldig.
»Der Bengel hat einen linksseitigen Pneumothorax«, knurrte er. »Ich operiere.« Er drückte ihr die CD mit den Untersuchungsergebnissen in die Hand und verschwand wieder.
Erschrocken sah Magdalena ihm nach.
»Einen Pneumothorax?«, wandte sie sich dann an Fee.
»Dabei handelte es sich um eine Luftansammlung zwischen dem inneren und äußeren Lungenfell. Dort sollte sich normalerweise keine Luft befinden«, erklärte sie den Eltern. »Dort behindert sie die Ausdehnung eines oder beider Lungenflügel. In Niklas’ Fall handelt es sich um den linken Flügel, der dadurch für die Atmung nicht oder nur noch eingeschränkt zur Verfügung steht.«
Gregor hatte aufmerksam zugehört.
»Wie passiert so was?«, verlangte er zu wissen.
»Die Medizin unterscheidet vier verschiedene Ursachen. Aufgrund seiner Vorerkrankung tippe ich bei Niklas auf einen symptomatischen Pneumothorax. Durch die Anaphylaxie wurde die Lunge in Mitleidenschaft gezogen.«
»Dann haben die Medikamente, die Ihr Mann unserem Sohn gegeben hat, nichts damit zu tun?«
Fee schüttelte den Kopf.
»Das ist allein eine Folge der schweren Allergie.«
»Und wie geht es jetzt weiter?«, stellte Magdalena eine berechtigte Frage.
»Zum Glück haben Sie sofort Hilfe gerufen. Der Kollege Lammers wird eine Thoraxdrainage legen, um die Luft schonend abzusaugen.« Sie lächelte. »Niklas ist ein tapferer kleiner Kerl. Ich bin sicher, dass er es schaffen wird.« Sie versuchte, so zuversichtlich wie möglich zu klingen. Doch es gelang ihr nicht, die Eltern zu überzeugen.
»Ich ertrage diese Unsicherheit einfach nicht mehr«, stöhnte Magdalena auf. »Wenn ich nur wüsste, was ich für Niklas tun könnte.«
Gregor wusste zu gut, wovon seine Frau sprach.
»Was glauben Sie denn? Hat er überhaupt eine Chance?«
Das war eine schwierige Frage, die alle Ärzte fürchteten. Trotzdem gelang Felicitas Norden ein warmes Lächeln.
»Das ist genau das, was Sie beide für Ihren Sohn tun können: Glauben Sie ganz fest an Niklas und daran, dass alles gut wird.« Sie nickte den beiden zu, ehe es auch für sie Zeit wurde, sich wieder um ihren kleinen Patienten zu kümmern.
*
Schon von Weitem sah Moritz Blaha, wie Leonie rastlos vor dem Behandlungszimmer auf und ab ging. Mit einem so schnellen Wiedersehen hatte er nicht gerechnet. Freuen konnte er sich aber trotzdem nicht, als sich die Glastür leise vor ihm öffnete.
»Leonie!«
Sie fuhr herum und lag in der nächsten Sekunde in seinen Armen.
»O Moritz! Danke, dass du gleich gekommen bist.«
»Aber das ist doch selbstverständlich.« Er wiegte sie in den Armen wie ein Kind.
»Nein, das ist es ganz und gar nicht«, widersprach sie. Sie löste sich aus der Umarmung, um ihm in die Augen zu sehen. »Glaub mir, ich kenne mich damit aus.«
Moritz’ Herz zog sich zusammen. Er streckte die Hand aus und strich Leonie eine blonde Strähne aus der Stirn.
»Du scheinst bisher nicht viel Glück in der Liebe gehabt zu haben. Das werde ich ändern. Ich schwöre es!« Er hob die Hand zum Schwur. »Aber jetzt erzähle mir erst einmal, was überhaupt passiert ist.«
In stockenden Worten berichtete Leonie von der unglaublichen Unterstellung ihres Sohnes.
»Er hat mir vorgeworfen, das alles mit dir geplant zu haben. Und dann ist er zusammengebrochen.« Leonie war wild entschlossen, an Moritz’ Unschuld zu glauben. Und doch blieb ein winziger Zweifel.
Er