»Da bist du ja! Ich dachte schon, du wärst durch das Badfenster getürmt.«
»Habe ich denn Grund dazu?« Er klopfte das Kissen auf und steckte es in den Rücken.
»Kommt darauf an, ob du morgen daran denkst, unseren Urlaub zu buchen.«
»Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass unser geschätzter Verwaltungsdirektor Dieter Fuchs der Mutter von Lammers den Hof macht?«
Daniels Plan ging auf. Die Neuigkeit lenkte Fee von dem unangenehmen Thema ab.
»Dieter Fuchs hat Gefühle?«, entfuhr es ihr.
»Das hat mich, ehrlich gesagt, auch gewundert«, gestand Daniel belustigt.
»Wie geht es Frau Lammers eigentlich?« Fee machte es sich in seiner Armbeuge gemütlich.
»Ich werde sie morgen mit Matthias und Bernhard Kohler aus der Orthopädie operieren.«
»Die Ärmste. Aber eigentlich kein Wunder.« Aus ihren Augen blitzte der Schalk.
»Wie meinst du das?« Daniel kannte seine Frau gut genug, um zu wissen, wann sie etwas im Schilde führte.
»Mir würde es auch schlecht gehen, wenn ich drei Tage am Stück mit dem Kollegen Lammers verbringen müsste.« Sie ließ ihn nur zu gern am Kliniktratsch teilhaben. »Daran könnte auch der schöne Gardasee nichts ändern.«
»Sag bloß, die beiden haben zusammen Urlaub gemacht?«
»Deshalb hatte Lammers heute Morgen so schlechte Laune«, verriet Fee. Trotz der fortgeschrittenen Stunde war sie in Plauderlaune. Ihr Mann dankte es ihr mit großem Interesse. »Elena hat im Laufe des Tages herausbekommen, dass sein Unmut weder mit dem schlechten Hotel noch mit dem dreckigen Strand zu tun hatte. Vielmehr hat er sich über den Reiseleiter geärgert, der seiner Mutter hartnäckig den Hof machte.«
Daniel ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen.
»Eifersüchtig war er mit Sicherheit nicht. Lammers hat zu seiner Mutter kein besseres Verhältnis als zum Rest der Welt.« Er erzählte von der Szene, deren Zeuge er im Krankenzimmer geworden war.
Fee konnte nur den Kopf schütteln über ihren ungeliebten Stellvertreter.
»Dann war sein Ärger wahrscheinlich wieder einmal dem Rest der Welt geschuldet, der den genialen Volker Lammers nicht zu würdigen weiß«, seufzte sie. »Eigentlich kann er einem nur noch leidtun.«
Daniel bedachte die Frau in seinem Arm mit einem prüfenden Blick.
»Davon hat er nichts. Statt deine Gefühle an einen eiskalten Klotz zu verschwenden, solltest du dich lieber an mich halten. Ich weiß deine Regungen wenigstens zu schätzen.«
Fee lächelte ihn verliebt an.
»Du bist ein großartiger Mann. Wie schade, dass ich mich morgen von dir scheiden lassen muss.«
»Musst du nicht! Wir machen Urlaub. Am Gardasee«, versprach Daniel hoch und heilig. »Aber ohne Reiselei …« Weiter kam er nicht. Den letzten Rest des Satzes erstickte Fee mit einer leidenschaftlichen Umarmung.
*
Trotz des abendlichen Ausflugs war Matthias Weigand am nächsten Morgen pünktlich wie immer an seinem Arbeitsplatz in der Notaufnahme.
»Haben Sie kein Zuhause, oder warum fangen Sie immer so früh an?«, erkundigte sich die Assistenzärztin Sophie Petzold bei ihrem Kollegen.
»Vielleicht liegt es an meinem Misstrauen gegenüber Ihnen und Ihren experimentellen Therapieansätzen.«
»Ohne modern denkende Kollegen wie mich würden Sie doch heute noch ein kaputtes Bein mit einer Säge amputieren«, gab sie frech zurück.
Obwohl Matthias bereits mehrfach Bekanntschaft mit der Überheblichkeit der jungen Kollegin gemacht hatte, blieb ihm jedes Mal wieder die Spucke weg.
»Sie können von Glück sagen, dass Sie nicht meine Tochter sind. Sonst würde ich Ihnen spätestens jetzt den Hosenboden stramm ziehen.«
»Ich denke, da haben Sie Besseres zu tun«, bemerkte Volker Lammers, der, unbemerkt von den beiden Streithähnen, in der Tür des Aufenthaltsraums aufgetaucht war.
Argwöhnisch sah Matthias zu ihm hinüber.
»Sie haben bestimmt einen Vorschlag.«
»Richtig geraten.« Lammers schickte Sophie Petzold einen vielsagenden Blick.
Die dachte allerdings nicht daran, sich vertreiben zu lassen. So blieb dem Kinderchirurgen nichts anderes übrig, als seinen Kollegen vor die Tür zu bitten.
»Sie haben ja sicherlich mitbekommen, dass meine Mutter hier in der Klinik liegt«, begann er überraschend freundlich.
Matthias war auf der Hut.
»Ich habe die Erstuntersuchung übernommen und werde bei der Operation dabei sein.«
Lammers nickte mehrmals hintereinander.
»Davon habe ich gehört. Aber unter uns: Dieser Eingriff ist doch nicht wirklich notwendig, oder?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Sie sind doch ein erfahrener Kollege. Sicherlich gibt es konservative Methoden, um die Erkrankung zu behandeln, also ohne operativen Eingriff.«
Allmählich ahnte Dr. Weigand, worauf der Kollege hinauswollte. Seine Augen wurden schmal.
»Sollen wir Ihre Mutter entlassen, nur damit Sie Ihre Ruhe haben.«
Der Ärger stand Lammers ins Gesicht geschrieben.
»Warum beantworten Sie nicht einfach meine Frage?«, fragte er scharf.
»Weil ich keinem Kollegen in den Rücken falle. Ganz gleich, ob es sich um meinen Chef oder eine Assistenzärztin handelt. Aber solche moralischen Anwandlungen sind Ihnen offenbar fremd.« Matthias Weigand war wild entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen.
»Mein Verständnis von Moral tut hier nichts zur Sache«, erwiderte Volker Lammers scharf. »Warum geben Sie nicht zu, dass Sie nicht wissen, warum der Chef unbedingt die Klingen wetzen will?«
»Weil das nicht richtig ist.« Allmählich verlor Matthias die Geduld. »Entscheidend für den Erfolg einer konservativen Behandlung ist das Stadium der Erkrankung. Bei Ihrer Mutter ist sie ganz offensichtlich schon so weit fortgeschritten, dass wir auf jeden Fall operieren müssen.«
Lammers wurde hellhörig.
»Ganz offensichtlich? Das klingt danach, als ob Sie sich Ihrer Sache nicht so sicher sind wie unser werter Chef.« Plötzlich schlug die Stimmung um. Er lächelte übertrieben freundlich. »Vielen Dank für Ihre geschätzte Meinung.«
Ehe Matthias Weigand Gelegenheit hatte, seine Worte zu korrigieren, marschierte Dr. Lammers über den Flur davon. Nachdem der Notarzt keine Lust hatte, ihm nachzurufen geschweige denn nachzulaufen, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich seufzend an seine Arbeit zu machen.
*
Wie schon den Rest der Woche hatte Dr. Adrian Wiesenstein auch an diesem Tag Spätschicht. Kaffeeduft weckte ihn. Er reckte und streckte sich genüsslich, bis ihm der vergangene Abend wieder in den Sinn kam. Schlagartig war er hellwach und seine Laune im Keller. Entsprechend mürrisch war seine Miene, als er in die Küche kam. Geschäftig eilte seine Mutter Karin hin und her und deckte den Tisch.
»Ach, Adrian, da bist du ja.« Sie stellte ein Glas Marmelade und eines mit Honig auf den Tisch und tätschelte im Vorbeigehen seine Wange. »Ich habe schon gehört, dass wir heute hohen Besuch haben. Wenn ich auf dich angewiesen wäre, würde ich überhaupt nichts erfahren.« Trotz ihrer Reklamation schien sie nicht böse zu sein. Ganz im Gegenteil wirkte Karin höchst zufrieden. »Ich wusste immer,