»Das ist verkraftbar. Viel wichtiger ist es, nicht arbeitsunfähig und keine Last für die Gesellschaft zu werden«, tat Fuchs seine Meinung kund.
Noch bevor Elfriede Gelegenheit hatte, seine Worte zu verstehen, öffnete sich die Tür, und ihr Sohn kam herein.
Als Volker Lammers den Verwaltungsdirektor am Bett seiner Mutter entdeckte, stutzte er kurz. Nachdem die Verschwörung gegen den neuen Klinikchef gescheitert war, waren die ehemals Verbündeten erbitterte Feinde geworden. Wenn sie sich nicht aus dem Weg gehen konnten, ignorierten sie einander. So hielt es Lammers auch diesmal.
»Gibt es schlechte Nachrichten?«, wandte er sich grußlos an seine Mutter.
Elfriede schenkte ihrem Sohn ein gekünsteltes Lächeln.
»Ich brauche eine Sprunggelenkprothese.«
»Als Folge des Unfalls?«, empörte er sich sofort. »In diesem Fall werde ich die Sache mit dem Notarztwagen …«
»Der Unfall hat rein gar nichts damit zu tun«, korrigierte sie ihn scharf. »Laut Dr. Norden handelt es sich um das Absterben des Knochens aufgrund von Durchblutungsstörungen.«
»Und deshalb will er dir gleich eine Prothese verpassen?« Volker rollte mit den Augen. »Das werden wir ja sehen.«
»Willst du deiner Mutter die optimale Behandlung verwehren?« In seinem Ärger vergaß Dieter Fuchs ganz, dass er nicht mehr mit Volker sprach.
Der Feind grinste.
»Ich dachte, das wäre in deinem Sinne. Eine Prothese ist teuer und meine Mutter keine Privatpatientin. Ich wollte dir lediglich Kosten sparen.«
»Und ich denke nicht im Traum daran, bei einer aparten Frau wie Elfriede die Kostenschere anzusetzen.« Dieter Fuchs hatte genug. Er erhob sich, drückte einen feuchten Kuss auf Elfriede Lammers’ Hand und ging zur Tür.
»Vielen Dank für Ihren Besuch, mein Lieber.« Sie winkte ihm und sah ihm nach, wie er eilig das Zimmer verließ.
»Mein Lieber!«, schnaubte Volker. »Hast du keine Schmerzgrenze? Reicht es nicht, dass du in unserem Urlaub mit jedem dahergelaufenen Paparazzo geflirtet hast? Muss es jetzt auch noch der langweilige Verwaltungsdirektor sein?«
Elfriede zuckte mit den Schultern.
»Mag sein, dass er langweilig ist. Dafür ist er mindestens zehn Mal so charmant wie du.«
Volker Lammers’ Augen wurden schmal.
»Komm bloß nicht auf die Idee, meine Autorität in der Klinik zu untergraben.«
Seine Drohung ließ Elfriede kalt. In aller Seelenruhe betrachtete sie ihre Fingernägel und polierte sie anschließend an ihrer Bluse.
»Wenn du um deine Autorität fürchten musst, bist du ohnehin keine Autoritätsperson.«
Lammers wollte aufbegehren, als sie ihn mit einer kleinen Geste zum Schweigen brachte.
»Und wenn du mir die Operation nicht gönnst, werde ich zum Pflegefall und quartiere mich bei dir ein.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
Volker platzte fast vor Wut.
»Wenn du das tust, mache ich dir das Leben zur Hölle.«
»Oder ich dir. Und jetzt lass mich bitte allein.« Elfriede wedelte mit der Hand hin und her, als wollte sie eine lästige Fliege vertreiben. »Ich soll mich nicht aufregen. Das ist nicht gut für meine Nerven, ganz zu schweigen vom Heilungsprozess.«
Volker schnappte nach Luft. In den vergangenen Jahren hatte es niemand mehr gewagt, ihn an die frische Luft zu setzen. Beleidigt rauschte er aus dem Zimmer. Elfriede dagegen lehnte sich zurück und lachte leise in sich hinein.
*
Es war schon spät, als Adrian Wiesenstein nach Hause kam. Er hatte einen vergnüglichen Abend mit seinem Kollegen Matthias Weigand verbracht und in aller Ausführlichkeit die Vorteile des Single-Lebens erörtert.
Mit der gestärkten Gewissheit, Paola so schnell wieder zu vergessen, wie sie in seinem Leben aufgetaucht war, schloss er die Wohnungstür auf. Sie knarrte genauso wie der alte Dielenboden der Altbauwohnung.
Adrian schlüpfte aus den Schuhen und schlich auf Zehenspitzen hinüber zum Schlafzimmer. Vor dem Lichtschein, der aus dem Gästezimmer über den Flur fiel, blieb er stehen.
»Ich bin gespannt, ob Joshua noch lernt, dass man Licht auch wieder ausschalten kann«, murmelte er und wollte den Schalter umlegen, als sein Blick auf das Bett in der Ecke fiel. »Das kann ja wohl nicht wahr sein!«, entfuhr es ihm.
Aufgeschreckt von dem Lärm regte sich Paola. Sie öffnete die Augen und blinzelte in das Deckenlicht. Schnell verkroch sie sich unter der Bettdecke.
»Wo bin ich? Was ist passiert? Aua, mein Kopf«, klang es dumpf darunter hervor.
Es kostete Adrian alle Mühe, wütend zu wirken.
»Paola, was soll denn das?«, fragte er streng. »Ich dachte, ich hätte mich heute in der Klinik deutlich ausgedrückt.«
Langsam schob sich ihre Stirn, gefolgt von ihrer Nasenspitze, unter der Bettdecke hervor.
»Adrian?«
»So heiße ich. Was hast du hier zu suchen?«
Stöhnend rappelte sich Paola hoch und fuhr sich durch das verwuschelte Haar. Sie sah zum Anbeißen aus.
»Unser Sohn hat mich nach allen Regeln der Kunst mit Rotwein abgefüllt«, gestand sie so zerknirscht, dass Adrian um ein Haar laut herausgelacht hätte. »Nachdem ich erst morgen nach Zürich fahre, meinte er, ich solle heute einfach hierbleiben.« Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern. »Er wünscht sich ein Frühstück mit uns beiden, wie in einer richtigen Familie. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Ich kann so jungen, charmanten Männern einfach nicht widerstehen.«
Adrian haderte mit sich. Er trat ans Fenster und sah hinaus in die Dunkelheit.
»Dir ist doch klar, dass das nicht geht, oder?«
»Komm schon! Sei nicht so. Es war einfach schön mit ihm. Wir hatten Spaß und haben so viel gelacht.«
Ein eifersüchtiger Stich fuhr Adrian durch das Herz. Schlagartig war jede Sympathie für Paola verflogen. Er fuhr zu ihr herum und starrte sie wütend an.
»Spaß? Du hast vor acht Jahren entschieden, dass du dieses langweilige Leben nicht mehr haben willst. Von Spaß war keine Rede.«
Paola kämpfte sich aus den Decken und krabbelte aus dem Bett. Joshua hatte ihr ein T-Shirt geliehen, das ihr bis zu den Knien reichte. Derart leicht bekleidet setzte sie sich auf die Bettkante. Ihr trauriger Blick hing an Adrian.
»Bitte versteh doch. Ich konnte damals einfach nicht anders.«
Einen Moment war Adrian versucht, die alte Geschichte wieder aufzuwärmen. Schnell gewann seine Vernunft aber wieder die Oberhand.
»Das, was geschehen ist, ist vorbei, Paola. Ich habe mich damit abgefunden. Wir beide, Joshua und ich, haben uns ein schönes Leben aufgebaut. Und ich sage dir ganz ehrlich: Ich habe keine Lust, dieses Leben von dir durcheinanderbringen zu lassen.«
Allmählich wurde auch Paola wütend.
»Joshua hat recht. Du bist ein Spießer!«, entfuhr es ihr. »Es geht um eine Nacht, um ein Frühstück, das er sich sehnlich wünscht. Den Rest deines langweiligen Lebens kannst du getrost behalten.«
Adrian ballte die Hände zu Fäusten. Er kämpfte mit sich, und einen Moment lang fürchtete Paola, sie würde verlieren.
»Also gut. Ein Frühstück. Und dann verschwindest du dorthin, woher du gekommen bist. In die Versenkung.« Er drehte sich um und stapfte aus dem Zimmer. Diesmal achtete er nicht auf den knarrenden Dielenboden. Doch das machte nichts. Joshua war längst wach und hatte jedes einzelne Wort des Streits angehört.
*