Wie merkwürdig, dass Lisas Kusine beziehungsweise deren Mann in ihrer Berghütte ein Buch über Salzwasserfische stehen hatten. Noch viel merkwürdiger war es, dass er hier war und sich solche Gedanken machte, während die Polizei vermutlich den Tatort untersuchte und Hinweisen nach dem Verbleib der drei brutalen Bankräuber nachging.
Nein, brutal war noch untertrieben, und Roger befürchtete, dass es bei Frank immer wieder zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen kommen konnte. Hätte er uns festnehmen wollen, hätte ich das Gewehr genommen und ihm mitten in die Visage geschossen. Was hatte Frank so hart werden lassen?
Frank stand am Fenster und starrte schweigend hinaus. Das schien Lisa zu irritieren, denn plötzlich fragte sie, ob jemand mit ihr Karten spielen wolle. Als Roger traurig den Kopf schüttelte, ging Frank zu ihm, zog ihn aus dem Sessel, legte ihm den Arm um die Schultern und führte ihn zum Tisch. »Ich glaube, wir brauchen alle ein bisschen Ablenkung. Vor allem du, Roger. Ich sehe dir doch an, dass du mein Missgeschick ziemlich schwer nimmst, schwerer als ich sogar.«
Vielleicht war Frank doch sensibler, als er gedacht hatte. Roger fühlte sich schon besser. Lisa holte drei kleine Gläser, füllte sie mit Wodka und brachte die Flasche weg. Frank gewann die meisten Spiele, ohne sich anzustrengen. Zumindest verbesserte sich dadurch seine Laune.
»Komisch«, sagte er. »Die Situation erinnert mich immer mehr an gemütliche Osterferien. Als würden wir nur hier drin hocken, weil wir auf besseres Wetter warten.«
»Draußen im Schuppen stehen mindestens drei Paar Langlaufskier«, warf Lisa ein.
»Wenn ich passende Schuhe finde, mache ich eine kleine Tour und teste meine Fitness. Die hat in letzter Zeit doch ziemlich zu wünschen übrig gelassen.«
Der sanfte Unterton in Franks Stimme ließ Roger zu ihm aufblicken. Frank kam ihm plötzlich empfindsamer vor; seine dunklen Augen strahlten sogar eine gewisse Wärme aus.
»Was meint ihr, wie lange wir hier bleiben sollten?«, fragte Roger.
»Och, ein paar Tage vielleicht. Was meinst du, Lisa?«
»Schwer zu sagen. Hängt auch von den Bullen ab. Bald kommen die nächsten Nachrichten.«
Sie hörten die Nachrichten zu jeder vollen Stunde. Der Bankraub wurde jedes Mal erwähnt, aber es war offensichtlich, dass die Ermittlungen auf der Stelle traten. Die Polizei ging davon aus, dass zwischen dem gestohlenen Toyota Corolla und dem Überfall auf die Bankfiliale ein Zusammenhang bestand, doch konkrete Hinweise in Bezug auf die Täter lagen anscheinend nicht vor. Gleichzeitig wurde ihnen bewusst, dass dem Fall wegen des Todes von Nina Mogård nun eine ungleich höhere Aufmerksamkeit zuteil wurde und die Polizei weitere Einsatzkräfte hinzugezogen hatte. Selbst die Meldungen über die Hochwasserkatastrophe in Teilen Europas traten in den Hintergrund.
»Wie interessant wir plötzlich geworden sind«, sagte Frank grinsend.
Roger fragte sich, ob ihr Anführer wirklich so unbekümmert war, wie er vorgab. Zumindest schien er die unmittelbaren Folgen seiner Tat, die eine Familie ins Unglück gestürzt hatte, verdrängt zu haben. Während Lisa den Vorfall einfach nicht mehr erwähnte, hatte Roger das Gefühl, in seinem Zwerchfell habe sich ein unförmiger Klumpen gebildet, der ihm das Atmen erschwerte. Dennoch empfand er wieder etwas von der Geborgenheit des Morgens. Das Kartenspiel, das Tageslicht, die ruhigen Beschäftigungen in der Hütte vermittelten auch ihm das Gefühl, sich auf einer Ferienreise zu befinden. Und sonderbarerweise gelang es ihm sogar, die bedrückendsten Gedanken auf Distanz zu halten. Es kam nur darauf an, die Kontrolle über sich nicht zu verlieren, sich bewusst zu machen, dass der Überfall geglückt und er reich war, dass sich ihm jetzt phänomenale Möglichkeiten boten. Es ging ganz einfach um die Fähigkeit, sich mit etwas abzufinden.
Es ließ sich auch nicht leugnen, dass er die Spannung bis zu einem gewissen Grad genossen hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben war er an Vorgängen beteiligt, die ihm Bedeutung verliehen. Begann zu begreifen, dass auch er es erhebend fand, in den Radionachrichten eine Rolle zu spielen.
Nach den Dreiuhrnachrichten öffnete Lisa zwei Konservendosen für sie, und während sie aßen und Bier tranken, bemerkten sie, dass der Wind sich gelegt hatte. Er heulte nicht mehr, wenn er um die Hütte herumfegte, und Roger fühlte sich zufriedener denn je. Genau in dem Moment, als Frank sich auf den Bauch klopfte und lautstark rülpste, worauf Lisa ihm einen tadelnden Blick zuwarf, klopfte es an der Tür. Sie starrten einander an.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.