War diese Frau also … eine Kappa-Frau? Sahen Kappa so unter ihrer Haut aus?
»Nimm sie mit«, hörte er in diesem Moment die Stimme des Kappa dicht an seinem Ohr wispern. »Wenn du ihre Haut anziehst, kannst du unter Wasser schwimmen und atmen.«
Taro drehte sich ruckartig um und starrte in sein triefäugiges, fischstinkendes Gesicht. Was sollte er tun? Eine Kappa-Haut stehlen und sie anziehen?
»Jetzt nimm sie schon«, zischte der Kappa ungeduldig und stieß ihn so heftig an, dass Taro mit einem erstickten Laut aus der Deckung des Schilfgrases herausstolperte. »Bevor sie aufwacht!«
Taro stand da wie angewurzelt. Mit angehaltenem Atem starrte er auf die schlafende Kappa-Frau, als könne selbst der leiseste Luftzug sie wecken.
Doch die Kappa rührte sich nicht.
Ihm blieb keine Wahl, dachte Taro verzweifelt. Er musste Yaes Schwert wiederbekommen. Die Hilfe des Kappa war die einzige Hoffnung, die ihm blieb. Um das Schwert zu finden, musste er in den See hinab, und dorthin würde er nicht gelangen, ohne die Haut der Kappa-Frau anzuziehen. Er konnte sie ja danach zurückgeben, versuchte er sich zu beruhigen, genau wie das Schwert. Was ihm bloß nicht in den Kopf wollte, war, warum der Froschmann so versessen darauf war, dass er mit ihm ging, statt einfach selbst nach dem Schwert zu tauchen und seine Schulden so schnell wie möglich einzulösen. Irgendetwas stimmte da nicht.
Aber weil er ja wirklich keine Wahl hatte, beschloss Taro kurzerhand, nicht länger darüber zu grübeln, sondern zu handeln. Entschlossen machte er ein paar Schritte nach vorn, ergriff das glitschige Haut-Päckchen mit beiden Händen und hastete zurück ins schützende Schilf. Kaum dort, packte der Kappa ihn auch schon am Handgelenk und zerrte ihn erneut mit sich, und wieder rannten sie durchs Schilf, immer weiter, ohne anzuhalten, bis sie endlich den alten Steg mit der zerborstenen Planke erreichten und sich keuchend auf die klammen Planken sinken ließen.
»Also jetzt erklär mir das noch einmal«, japste Taro, als er wenigstens halbwegs wieder zu Atem gekommen war. »Ich kann mit dieser Haut unter Wasser atmen? Heißt das, diese Frau kann das jetzt nicht mehr? Warum hat sie sie dann ausgezogen?« Noch immer umklammerten seine Finger das schlabbrige Hautpäckchen, als wollten sie es nie wieder loslassen. Er konnte noch gar nicht glauben, dass er es wirklich getan hatte. Eine Haut gestohlen, um sie sich selbst anzuziehen! Eine stinkende Kappa-Haut noch dazu!
»Unser Volk lebt im Wasser, aber wir schlafen an Land«, erklärte der Kappa, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. »Unbequeme Häute legt man ab, wenn man schläft. Macht ihr Menschen das nicht so? Sonst fühlt man sich ja danach steif wie ein Stück Treibholz.«
Taro starrte ihn ungläubig an. Das stimmte natürlich in gewisser Weise. Aber eine Haut war doch kein Kleidungsstück!
Der Kappa starrte triefäugig zurück. »Wir müssen allerdings nicht sehr oft schlafen. Nur zweimal im Jahr. Du hattest echtes Glück, Menschenjunge. Also was nun? Ziehst du sie an oder nicht?«
Taro sah wieder hinunter auf die Haut in seiner Hand. Sie war glitschig. Schleimig und feucht, aber eigentümlich warm. Und sie stank. Sie stank abscheulich. Aber er musste stark sein! Er musste das Schwert zurückholen, und zwar noch heute Nacht. »Ja«, sagte er und stemmte sich auf etwas zittrige Beine. »Ich ziehe sie an.«
Erneut zeigten sich die Nadelzähne des Kappa, als er grinste. »Fabelhaft.«
Taro bemühte sich, möglichst flach zu atmen, während er das Päckchen auseinanderfaltete und vorsichtig ein Bein nach dem anderen in den schwabbeligen Hautsack hineinschob, und dann auch noch die Arme. Augenblicklich spürte er, wie das weiche, warme Innere sich an seine eigene Haut schmiegte, sich dort mit leisem Schmatzen ansaugte wie ein übergroßer Blutegel, und die Yakisoba vom Abendessen drohten in einem dicken Klumpen seine Kehle wieder hinaufzurutschen.
Aber der Kappa ließ ihm nun keine Gelegenheit mehr, seine Meinung zu ändern. Schon packte er das obere Ende der Haut und stülpte es über Taros Kopf wie das sehr weiche Kopfteil einer Fechtmaske. Taro schnappte nach Luft, doch es drang nur Gestank in seinen Mund, und weiches, glibbriges Gewebe heftete sich an seine Lippen und Wangen. Nun übergab er sich wirklich. Japsend vornübergebeugt erbrach er sein Abendessen ins Schilfgras, und jedes Mal, wenn sein Blick auf die blaugrünen Hände mit den Schwimmhäuten fiel, setzte der Würgereiz von Neuem ein. Hinter sich hörte er den Kappa stöhnen und etwas murmeln, das weder freundlich noch geduldig klang.
Im nächsten Augenblick traf ihn ein kräftiger Stoß von hinten in den Rücken und er stürzte. Kopfüber ins eiskalte Wasser hinein.
Für einen Moment wusste Taro nicht, wo oben oder unten war. Das Wasser umfing und ergriff ihn, und er spürte, wie die Hände, die ihn zuvor gestoßen hatten, ihn nun hinabdrückten, immer weiter, bis die Unterströmung ihn erfasste und mit sich zerrte, hinaus in die Tiefen des Sees. Für schreckliche Augenblicke ergriff Taro Panik. Der Frosch hatte ihn überlistet! Er würde ihn ertränken!
»Augen auf!«, hörte er da eine gurgelnde Stimme neben seinem Ohr, die gar nicht mehr schleimig klang, sondern tief und schwingend. Taro riss die Augen auf. Und er sah.
Er sah den Seegrund mit seinem wogenden Teppich brauner Algen, der gen Norden steil und steiler abfiel, er sah Fische, schillernd im Mondlicht, das in gebrochenen Strahlen durch die Oberfläche hinabdrang und das Wasser mit silbrig weißem Schimmer erhellte. Große Seerosenblätter trieben weit über ihm vorüber und warfen ihre Schatten wie langsam ziehende Wolken auf die Berghänge von Taros Heimat an Land, und selbst von hier unten konnte er die zarten Erschütterungen sehen, wenn die Wasserläufer über die nächtlich spiegelglatte Oberfläche huschten. Taro musste ein bisschen lachen. Vor Verblüffung, vor Staunen, vor Bewunderung für diese fremde, verborgene Schönheit, die er niemals unter der Oberfläche seines so vertrauten Sees vermutet hätte. Und in diesem Moment, als sich die Atemsäcke unter den Backen seiner neuen Haut beim Lachen blähten, wurde ihm bewusst, dass es tatsächlich funktionierte. Er konnte schwimmen. Er konnte atmen, so mühelos, als wenn er oben an Land in der lauen Sommernachtsluft herumliefe.
Eine kräftige Faust knuffte ihn in die Rippen. »Was hängst du hier rum und gaffst, Junge? Schwimm weiter!«
Taro wandte sich zu dem Kappa um. »Da unten ist der Schatz, den ich verloren habe?«
Der Kappa musterte ihn mit einem seltsamen Blick und wies hinab zum tiefsten Punkt der Senke. »Die Strömung trägt alles dorthin. Spürst du es nicht?«
Und tatsächlich bemerkte Taro, dass er, auch ganz ohne selbst etwas dazu zu tun, immer weiter hinabtrieb, langsam, aber stetig. Es war keine starke Strömung, und in der gestohlenen Kappa-Haut hätte er ohne Weiteres dagegen anschwimmen können, wenn er gewollt hätte. Aber wenn der Strom ihn nach dort unten trug, dann hatte er vielleicht auch das Schwert dorthin getragen, ganz wie der Kappa sagte.
Taro nickte entschlossen. »Ich spüre es. Lass uns hinschwimmen.«
Mit kräftigen Stößen schwammen sie weiter, immer dem Weg der Strömung folgend, bis sie schließlich den Grund des Sees erreichten. Ein buckliger Hügel aus Fels, Schlamm und Kieseln erhob sich dort, beinahe unsichtbar unter den sich sanft wiegenden Algenfäden, die darauf wuchsen. Kleine Fischschwärme schwammen durch eine geduckte Öffnung hinein und auf der anderen Seite durch einige scheinbar sehr viel kleinere Löcher wieder heraus.
»Das ist die Grotte der stetigen Strömung«, erklärte