Von Flusshexen und Meerjungfrauen. Jennifer Estep. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jennifer Estep
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959915564
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beobachtete Taro, wie es von den Algenhaaren abperlte und sich in einer Mulde oben auf dem Kopf des Kappa zu einer funkelnden Pfütze sammelte, die leicht hin und her schwappte, als der Froschmann zum Ende des Stegs hüpfte, wo er sich flach auf den Bauch legte und seinen Arm in Position brachte.

      Entschlossen machte Taro einen großen Schritt über das Loch im Steg hinweg und legte sich dem Kappa gegenüber. Es kostete ihn ein wenig Überwindung, nach der grünen Hand zu greifen, die glitschig aussah und kalt – und sich auch genauso anfühlte, als er es schließlich doch tat. Aber Taro ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken und packte stattdessen noch etwas fester zu.

      »Bereit?« Der Kappa lächelte siegessicher.

      Taro nickte grimmig. »Bereit.«

      Sie begannen zu drücken. Doch Taro musste schnell einsehen, dass der Kappa, ganz wie befürchtet, längst nicht so schwach war, wie er aussah. Das Wasser in seiner Kopfmulde funkelte, und wo ein Tropfen über den Rand kullerte, schien er sich zu vertausendfachen und strömte über die Arme des Kappa wie Sturzbäche von kaltem Schweiß, sodass Taro kaum Halt an den glitschigen Fingern fand. Und so dauerte es auch gar nicht lange, da hatte der Froschmann seine Hand schon ein gutes Stück in Richtung der Planken gedrückt. Taro schnaufte und schwitzte und versuchte vergeblich, seinen Griff zu festigen. Das Wasser … es musste mit irgendeinem Kappa-Zauber belegt sein! Wenn es so weiterging, würde er verlieren!

      Da kam ihm eine Idee. Eine kühne oder vielleicht sogar aberwitzige Idee. Aber er musste es wenigstens versuchen.

      »Halt!«, keuchte er. »Wir müssen noch einmal von vorn anfangen!«

      Der Kappa lachte ein gurgelndes Lachen und drückte Taros Hand noch ein Stück weiter herunter. »Ha! Du willst mich wohl austricksen!«

      »Nein!« Taro biss die Zähne zusammen und versuchte verzweifelt gegenzuhalten, während er log, so überzeugend er nur konnte. »Aber ein Wettstreit ist ohne Ehre, wenn sich die Kämpfenden nicht formell begrüßt haben. Ich bitte dich! Ich bin Samurai. Wenn du mich jetzt besiegst, wo wir uns nicht einmal den Regeln gemäß begrüßt haben, verliere ich mein Gesicht.«

      Der Kappa ließ nicht sofort in seinem Druck nach. Doch Taro sah das Zögern, das in seinen Augen aufblitzte. »Ich habe viele Samurai kennengelernt«, sagte er. »Aber davon habe ich noch nie gehört.«

      Taro zog eine Grimasse. Seine Hand war nur noch wenige Fingerbreit vom Holz des Steges entfernt. »Vielleicht, weil sie dich nicht respektiert haben«, brachte er hervor. »Ich aber respektiere dich, wie ich jeden Krieger respektieren würde.«

      Der Griff des Kappa lockerte sich ein winziges bisschen. Und in seinem Blick meinte Taro nun zu sehen, dass er sich von seinen Worten geschmeichelt fühlte. Ausgerechnet Respekt brachten ihm bestimmt nicht viele Menschen entgegen.

      »Also schön«, quakte der Froschmann schließlich und ließ Taros Hand los, richtete sich ein Stück auf und beäugte ihn misstrauisch. »Zeig mir, wie ihr Samurai euch begrüßt.«

      Taro nickte hastig, während er sich noch bemühte, wieder zu Atem zu kommen und zugleich ein wenig Zeit zu schinden. Er wusste doch selbst nicht genau, wie die Regeln der Samurai waren. Aber er hatte genug Geschichten über sie gehört, um sich selbst eine ausdenken zu können. Wenigstens eine kleine.

      »Wir sitzen im seiza.« Er zog die Knie unter den Körper, hielt sich sehr gerade und legte die Hände auf die Oberschenkel. So wartete er, bis der Kappa es ihm gleichgetan hatte. »Und dann verbeugen wir uns.« Er verneigte sich tief, bis seine Nase beinahe das feuchte Holz des Steges berührte. Dabei ließ er den Kappa nicht einen Moment aus den Augen. Auch der Froschmann verneigte sich nun. Tiefer. Noch tiefer. Bis das Wasser aus seiner Kopfmulde über seine Stirn auf den Steg tropfte. Immer mehr und mehr, bis der Tümpel beinahe leer war, doch er schien es gar nicht zu bemerken, so konzentriert auf die Begrüßung war er.

      Taro jubelte innerlich. Es hat funktioniert!

      »Ich danke dir«, sagte er schnell. »Dann lass uns jetzt anfangen. Keine Verzögerungen mehr, ich verspreche es!« Rasch legte er sich wieder auf den Bauch, in der Hoffnung, dass der Kappa keine Gelegenheit bekäme, über den Verlust seines kleinen Kopfteiches nachzudenken, und schon gar nicht daran, sich einen neuen anzulegen, bevor sie in ihrem Wettstreit fortfuhren. Der Kappa schoss ihm einen funkelnden Blick zu, und wieder dachte Taro, dass diese klaren Augen gar nicht zu dieser schrumpelig-faltigen, grünschleimigen Gestalt passen wollten.

      »Mit Vergnügen«, sagte der Kappa und packte Taros Hand erneut.

      Taro bemerkte den Unterschied sofort. Es war, als wäre der Film auf der Haut des Kappa ein wenig rau, fast krümelig geworden. Diesmal würde er zumindest nicht abrutschen, da war er sich sicher.

      »Fertig? Los!«

      Der Kappa war immer noch sehr stark. Vielleicht zu stark. Darüber hatte Taro sich von Anfang an keine falschen Hoffnungen gemacht. Eine schiere Ewigkeit, so fühlte es sich an, stand Kraft gegen Kraft, und ihre ineinander verschränkten Hände bewegten sich weder in die eine noch in die andere Richtung. Taro spürte, wie seine Muskeln zu zittern begannen.

      Doch als sei es eine Fügung zu seinen Gunsten, sank nach und nach die Sonne immer tiefer in das Schilfgras, das den Steg umschloss, und blinzelte zwischen den Halmen hindurch, als wolle sie ebenfalls den Ausgang dieses ungleichen Wettstreits miterleben. Als die Strahlen die inzwischen fast völlig trockene Haut des Kappa trafen, stöhnte er leise auf, als hätte er Schmerzen, und für einen winzigen Moment ließ er in seinem Druck gegen Taros Hand nach, die ihrerseits mittlerweile unangenehm glitschig vor Schweiß war. Es war nur ein Augenblick, nicht länger als ein Blinzeln, doch Taro biss die Zähne zusammen und bündelte mit einem zischenden Laut alle Kraft, die ihm noch geblieben war. Dumpf schlug der Handrücken des Kappa auf dem Steg auf.

      »Gewonnen!« Weit hallte Taros Jubelschrei über den abendlich stillen See.

      Der Kappa starrte ihn aus seinen blutunterlaufenen Augen an. Sein Gesicht war starr, geradezu blank. Dann richtete er den Blick auf seine Hand. Und schließlich sah er wieder hinauf zu Taro, der auf die Füße gesprungen war in seiner Begeisterung. »Ja, es stimmt«, sagte er endlich langsam, als könne er es selbst noch nicht glauben. »Du hast gewonnen.«

      »Dann holst du mir jetzt, was ich verloren habe!«, triumphierte Taro.

      Der Kappa verzog das Gesicht, sodass es sich in noch unmöglichere Falten legte als zuvor. »Wer hat gesagt, ich würde es dir holen? Hol es dir gefälligst selbst!«

      Taro riss die Augen auf. Er hatte es doch gewusst! Dieser glitschige Frosch versuchte ihn reinzulegen! »Was sagst du da? Wie soll ich das machen? Ich kann unmöglich so tief tauchen!«

      Der Kappa lachte auf, es klang geradezu bösartig. »Keine Angst, Menschenkind. Ich habe versprochen, ich würde dir helfen. Und ich helfe dir auch. Komm mit.« Schon war der Kappa an ihm vorbeigehüpft in Richtung Ufer.

      »He!« Taro sprang ebenfalls über das Loch im Steg und setzte ihm nach, ehe er im mehr als mannshohen Schilfgras verschwinden konnte. »Warte!«

      Aber der Kappa wartete nicht. Taro rannte ihm hinterher, so schnell ihn seine Beine trugen. Dieser verräterische Frosch! Er würde ihn auf keinen Fall entkommen lassen.

      Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Nur der Vollmond stand klar und hell am Himmel. Der Sommernachtwind sang leise in den Schilfhalmen, als Taro sich hinter dem in unfassbarer Geschwindigkeit vorauseilenden Froschmann durch das Seegewächs schlug. Erst als es nur noch wenige Schritte sein konnten, bevor sie erneut auf das Seeufer stoßen mussten, blieb der Kappa so plötzlich stehen, dass Taro beinahe in ihn hineingelaufen wäre, und drehte sich zu dem Jungen um, um den Finger auf die Lippen zu legen.

      Schnaufend blieb Taro stehen. Er hätte ohnehin nicht sprechen können vor lauter Atemnot, also nickte er bloß. Da winkte der Kappa ihn noch näher zu sich heran, dass Taro schon schwindelig wurde von dem durchdringend fauligen Fischgeruch, und deutete zwischen den Schilfhalmen hindurch in eine winzige Bucht.

      Taro beugte sich ein wenig vor und spähte durch die