Die Unausstehlichen & ich - Die Welt ist voller Wunder. Vanessa Walder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Vanessa Walder
Издательство: Bookwire
Серия: Die Unausstehlichen & ich
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783732015450
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sehr direkt an. So, wie’s den meisten Leuten unangenehm is, angeguckt zu werden. Interessiert Dante ’n image , ob’s mir unangenehm is.

      Ich weiß, warum er so guckt. Dante und ich haben echt viel gemeinsam. Ich hab die letzten Jahre in Heimen, betreuten WGs oder in Pflegefamilien gewohnt. Dante ist seit vier Jahren im Internat. Wir sind dauernd mit anderen Leuten zusammen. Und wir sind fast immer allein. Es is nicht so, dass keiner um uns rum ist. Wir sind nur irgendwie immer mehr in uns drin als bei denen da draußen. Das lernst du, wenn du kein eigenes Zimmer hast, das du absperren kannst. Dann musst du’s hinkriegen, dass du um dich rum absperrst. So was wie ’n Safe zum Anziehen. Ich kann das. Und Dante kann das auch.

      Wir sind aber auch bei vielen Sachen total verschieden. Weil, meistens gehen mir die anderen aus dem Weg. Ich hab erst lernen müssen, wie ich sie dazu krieg. Irgendwann ist es dann von selbst passiert. Die meisten sind vorsichtig bei mir. Wahrscheinlich auch, weil sie gehört haben, dass ich rotsehe. Spricht sich rum, so was. Dass ich dann Dinge mache, an die ich mich nachher nicht erinnern kann. Um mich schlagen und treten zum Beispiel. Psycho halt. Würd ich auch image krass finden, wenn ich’s von jemand anderem hören würd. Kapier ich total, die Vorsicht.

      Bei Dante ist es andersrum. Menschen wollen möglichst nah an ihm dran sein. Auch Erwachsene. Das is nich nur, weil er so aussieht, wie er aussieht. Es is was in ihm oder an ihm. So, dass du auf keinen Fall was verpassen willst, was er sagt oder tut. Dass du sehen willst, wie er reagiert auf das, was du sagst oder tust. Da, wo er is, is die Bühne, da spielt die Musik.

      Dante is ein Anführer. Einer, der sagt, wo’s langgeht, und alle laufen los. Er hasst das. Es macht ihm Angst. Weil er weiß, dass die meisten nicht gucken, wo sie hinlaufen. Gibt so Leute. Mehr als von den anderen. So Typen, die einfach machen, was man ihnen sagt, ohne nach links und rechts zu gucken. Die sind sogar noch froh drüber, dass ihnen einer sagt, was sie machen sollen. Deshalb is Dante vorsichtig. Er glaubt zwar nicht, dass ich eine von denen bin. Aber ganz sicher weiß er’s nicht. Weil ganz sicher weiß ich’s auch nich …

      „Was, wenn wir was rausfinden, das du lieber nicht wissen willst?“, frage ich ihn.

      Dante nickt sofort. Daran hat er auch schon gedacht. „Die ganze Sache, das Internat, Ahmet Armut … Das hat was mit mir zu tun.“ Er runzelt die Stirn und sieht auf einen Schlag älter aus. Wie einer, der zu weit gelaufen is und nur deshalb weitergeht, weil der Weg zurück genauso lang dauert. „Enni, ich glaub, es hat was mit meinem Vater zu tun.“

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      Die Worte brennen zwischen uns in der Luft wie eine Lunte. Jetzt, wo sie einmal raus sind, kannst du nur noch in Deckung gehen. Die Rakete geht hoch, auch wenn du’s dir wieder anders überlegst.

      „Das glaub ich auch“, sage ich leise und dann noch leiser: „Hast du deine Mutter noch mal gefragt?“

      Dante schnaubt. „Wozu? Sie hat mich die letzten Jahre angelogen, da kann sie jetzt nicht plötzlich sagen: Ey, übrigens, ich weiß doch, wer dein Vater is, und hier is seine Adresse.“ Er sieht mich an, als wäre ich ein Reh, dem er gerade zufällig im Wald begegnet ist. Als könnte ich jeden Moment weglaufen. Er hat keinen image Schimmer, dass seine Augen wie Scheinwerfer sind. Kein Reh würde auch nur mit dem Muskel zucken. „Würdest du mit ihr reden, Enni?“

      Ich? Ich?

      „ image “, sag ich und vergrabe den Kopf in den Händen. „ image . image .“

      Dante nickt. „Heißt das Ja?“

      Ich lache. Dante sieht mich immer noch abwartend an. Das ist reine Höflichkeit. Wir wissen beide, dass ich Ja sagen werde.

      Im ersten Heim, in dem ich war, gab’s einen Safe. So richtig wie in den Comics. So ’n graues Metall-Ding in der Wand hinter einem Bild. Der Hit war: Keiner wusste, was da drin war. Ob überhaupt was drin war. Weil, als die Stadt das Haus gekauft hat, da war der Tresor halt schon drin. Und da hat ihn schon keiner aufmachen können. Die digitale Anzeige hat sechs Stellen gehabt. Also Tasten von 0 bis 9, eine # und ein C. Du tippst die sechs Ziffern ein, drückst auf Raute – und die Tür geht auf. Wenn du die richtige Kombination hast. Nur hat die eben keiner gehabt. War der größte Renner im Heim, an dem Tresor rumzudrücken. Irgendwer hat behauptet, dass derjenige, der den Safe aufkriegt, auch behalten darf, was drin is. Als ich hingekommen bin, hatten’s schon Hunderte Heimis jahrelang versucht. Vergeblich. Alles image , wenn du mich fragst. Du brauchst nur ’n bisschen Mathe und ’n Plan.

      Bei sechs Ziffern gibt’s eine Million mögliche Kombinationen. Von 000000 bis 999999. Also fängst du mit der niedrigsten oder mit der höchsten Zahl an und gehst sie alle durch, immer plus eins oder minus eins. Ich hab angefangen mit 000000#, dann 000001#, 000002# …

      „Die is ja voll image !“, hat ein Junge gebrüllt, als er mir eine Minute lang zugeguckt hatte. „Keiner sucht sich so image Zahlen aus!“

      Auch der Betreuer hat mich eher mitleidig angeguckt. „Is ja schön, dass du ein System hast, Enni, aber da brauchst du viele Jahre, bis du alle Möglichkeiten durchhast.“

      Jetzt hab ich ihn mitleidig angesehen. „Sechsundvierzig Tage.“

      Daraufhin hat er nur image geglotzt und mit seinen Fingern rumgerechnet. Da wird er aber nich so weit gekommen sein.

      Sieben Tasten drücken und das Rad drehen, um zu sehen, ob die Tür aufgeht: jedes Mal vier Sekunden. Vier Sekunden multipliziert mit einer Million Kombinationen: macht vier Millionen Sekunden. Oder 1.111,1 (periodisch) Stunden. Macht gerundet sechsundvierzig Tage. Nur dürfte ich da weder schlafen noch essen noch pinkeln gehen. Und in Wahrheit haben die mich überhaupt nur dreißig Minuten am Tag an den Safe dran gelassen. Also wären’s eher 555,55 Tage geworden. Anderthalb Jahre. Aber du weiß ja nie … vielleicht triffst du den Jackpot schon am dritten Tag. Auf jeden Fall is es besser, du hast ’n Plan und nicht genug Zeit, als alle Zeit der Welt und keinen Plan.

      Nach zehn Tagen hat mich Mama abgeholt. Klar hab ich mich mega gefreut, dass ich wieder nach Hause durfte. Nur war ich da erst bei 004498 Kombinationen. Ich hab’s Tasha erklärt, meiner Zimmernachbarin. Hab ihr gesagt, wie sie weitermachen soll. Zu Hause hab ich immer wieder dran gedacht. Immer gewartet, dass Tasha anruft und mir sagt, was drin war in dem Safe. Nur hab ich nie wieder von ihr gehört. Vielleicht is sie jetzt Millionärin und wohnt in der image Karibik. Na, aber sicher! Und zu Ostern kommen Peter Pan und Schneewittchen zu Besuch. Die hätten ihr die Kohle abgenommen oder das Gold oder was es war. Erwachsene halten sich nur so lang an Deals, so lang sie dabei nix zu verlieren haben. Ja, ich weiß, gibt Ausnahmen. Von denen hab ich mir die Namen gemerkt.

      Manchmal denk ich noch heute dran und frag mich, was da drin is in dem Tresor hinter der Wand. Weil’s ein Geheimnis ist, das keiner gelöst hat. So was lässt dich nich los. Deshalb müssen wir einfach herausfinden, was mit dem Saakser Internat nich stimmt. Ahmet Armut hat gesagt, ich soll mich raushalten. Ich soll meine Nase nicht reinstecken. Aber meine Nase steckt schon mittendrin. Allein deshalb, weil Dante mein Freund ist. Und weil das Geheimnis was mit ihm zu tun hat und mit dem Vater, den er nie kennengelernt hat. Klar kannste sagen: Geheimnisse? Nö, Mann, interessiert