Antwort. Zuerst muß sie das frühere verdammliche Leben hassen und selbst das Andenken daran verabscheuen und verwünschen. Denn es steht geschrieben: „Ich hasse die Ungerechtigkeit und verwünsche sie, aber dein Gesetz liebe ich.“57 Ferner soll sie sich durch die Androhung des ewigen Gerichts und der ewigen Strafe über die Furcht belehren lassen und erkennen, daß die Zeit der Buße eine Zeit der Thränen ist, wie David im sechsten Psalm lehrte, und die feste Überzeugung hegen, daß die Reinigung von den Sünden durch das Blut Christi bewirkt wird in der Größe der Barmherzigkeit und der Fülle der Erbarmungen Gottes, der da sagt: „Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, so werde ich sie weiß machen wie Schnee; wenn sie wie Purpur sind, so will ich sie weiß machen wie Wolle.“58 Hat sie dann Erlaubniß und Macht erhalten, Gott zu gefallen, so mag sie sagen: „Am Abend wird Weinen einkehren, und am Morgen Freude. Du hast mir mein Weinen in Freude verwandelt, mein Bußkleid zerrissen und mich mit Freude umgeben, auf daß ich singe meinen Ruhm.“59 Und so mag sie hintreten und Gott lobsingend sprechen: „Ich will dich erheben, o Herr, denn du hast mich aufgenommen und meinen Feinden keine Freude über mich verstattet.“60
11. Frage.
Wie soll Einer die Sünde hassen?
Antwort. Aus einem schändlichen und traurigen Ausgange entspringt immer Haß gegen Diejenigen, welche davon die Schuld tragen. Ist daher Jemand überzeugt, von wie vielen und großen Übeln die Sünde die Ursache ist, so haßt er aus sich und von Herzen die Sünde, wie der bewiesen hat, welcher sagt: „Ich hasse die Ungerechtigkeit und verabscheue sie.“61
12. Frage.
Wie sich die Seele überzeugen könne, daß ihr Gott die Sünde nachgelassen habe.
Antwort. Wenn sie sich in der Gemüthsstimmung dessen sieht, der gesagt hat: „Ich hasse die Ungerechtigkeit und verabscheue sie.“ Denn Gott, welcher seinen eingebornen Sohn zur Vergebung der Sünden herabschickte, hat, soviel an ihm war, Allen schon vorher die Sünden vergeben. Da aber der heilige David von Barmherzigkeit und Gericht spricht und bezeugt, daß Gott barmherzig und gerecht ist, so muß von uns nothwendig Das geschehen, was von den Propheten und Aposteln in den Stellen von der Buße gesagt worden damit die Gerichte der Gerechtigkeit Gottes offenbar werden und seine Barmherzigkeit in Vergebung der Sünden sich vollende.
13. Frage.
Ob der nach der Taufe in viele Sünden Gefallene an seiner Rettung verzweifeln müsse, oder ob er nach dem Maße seiner Buße auf Gottes Güte hoffen dürfe.
Antwort. Könnte man die Menge der Erbarmungen Gottes zählen und die Größe der Erbarmungen Gottes messen nach Maßgabe der Menge und Größe der Sünden, dann müßte man alle Hoffnung fahren lassen. Können diese aber, wie bekannt, sowohl gezählt als auch gemessen werden, die Barmherzigkeit Gottes hingegen und seine Erbarmungen weder gemessen noch gezählt werden, so ist keine Gelegenheit zur Verzweiflung, sondern zur Anerkennung der Barmherzigkeit und zur Verabscheuung der Sünden, deren Vergebung, wie geschrieben steht, im Blute Christi vorliegt. Daß wir aber nicht verzweifeln sollen, darüber werden wir an vielen Stellen und vielfach belehrt, vorzüglich aber durch das Gleichniß unsers Herrn Jesus Christus von jenem Sohne, der das väterliche Erbe nahm und in Sünden vergeudete. Weß großen und herrlichen Festes seine Bekehrung gewürdigt wurde, haben wir aus den Worten des Herrn selbst kennen gelernt. Aber auch durch Isaias sagt Gott: „Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, so will ich sie weiß machen wie Schnee; und wenn sie wie Purpur sind, so will ich sie weiß machen wie Wolle.“62 Wir müssen wissen, daß Dieses nur dann wahr ist, wenn die Buße aus einer die Sünde verabscheuenden Gesinnung geschieht, wie im alten und neuen Testamente geschrieben steht, und wenn die Frucht würdig ist, wie in der Frage hierüber gesagt worden ist.
14. Frage.
Nach welchen Früchten ist die wahre Buße zu beurtheilen?
Antwort. Der Wandel des Bußfertigen und die Gesinnung Jener, welche von der Sünde ablassen, und der Eifer, würdige Früchte zu wirken, sind gehörigen Orts erwähnt worden.
15. Frage.
[
Forts. ] Was heißt: „Wie oft soll ich meinem Bruder verzeihen? u. s. w.“63 und bei welchen Sünden bin ich verpflichtet ihm zu vergeben?
Antwort. Die Gewalt, Sünden zu vergeben, ist nicht absolut verliehen, sondern hängt von dem Gehorsame des Büßenden und von dem Einvernehmen mit Dem ab, dem sein Seelenheil anvertraut ist. Denn von Solchen steht geschrieben: „Wenn Zwei auf Erden übereinstimmend sind in was immer für einer Sache, um die sie bitten, Das wird ihnen werden von meinem Vater, der im Himmel ist.“64 Von welchen Sünden Das zu verstehen sei, darf man nicht einmal fragen, da das neue Testament keinen Unterschied angibt, sondern Allen, welche aufrichtig Buße thun, die Verzeihung einer jeden Sünde verheißt, zumal sie der Herr in eigener Person bezüglich jeder Sache verheissen hat.
16. Frage.
Warum wird die Seele oft von selbst zerknirscht, und warum kann sie oft nicht einmal mit Gewalt dazu gebracht werden?
Antwort. Eine solche Zerknirschung ist ein Geschenk Gottes, entweder zur Erweckung des Verlangens, diesen Schmerz, wenn die Seele einmal seine Süßigkeit gekostet hat, eifrig zu pflegen, oder zum Beweise der Wahrheit, daß die Seele durch eifriges Bestreben immer im Zustande der Zerknirschung sein könne, damit Diejenigen ohne Entschuldigung sind, welche sie aus Leichtsinn aufgegeben haben. Was Das aber angeht, genöthigt werden und nicht können, so ist Das ein Beweis von unserer Sorglosigkeit in früherer Zeit; — denn es ist nicht möglich, daß, wenn Jemand ohne Überlegung und ohne viele und sorgfältige Übung plötzlich an eine Sache herantritt, er ihrer Herr werde, — wie es dann ferner anzeigt, daß die Seele von andern Leidenschaften beherrscht und ihr von jenen nicht gestattet wird, für Das frei zu sein, was sie will, noch dem Ausspruche des Apostels, welcher sagt: „Ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Sünde; denn was ich nicht will, Das thue ich, sondern was ich hasse, Das thue ich.“ Und ferner: „Nun aber wirke nicht mehr ich Dieses, sondern die in mir wohnende Sünde.“65 Denn Gott läßt uns Dieses zu unserem Besten widerfahren, damit die Seele durch Das, was sie widerwillig leidet, zur Erkenntniß dessen gelangt, was sie beherrscht, und, wenn sie erkannt hat, worin sie der Sünde widerwillig dient, sich dem Fallstricke des Teufels entzieht und die Barmherzigkeit Gottes findet, welche zur Aufnahme Derer bereit ist, die aufrichtig Buße thun.
17. Frage.
Ist Jemand, der ans Essen denkt, sich dann aber darüber tadelt, der Ängstlichkeit anzuklagen?
Antwort. Denkt Jemand, ohne daß die Natur ihn belästigt, vor der Zeit an den Hunger, so ist Das offenbar eine Zerstreuung der Seele, welche sie sowohl der Anhänglichkeit an das Zeitliche als auch der Vernachläßigung dessen, was Gott wohlgefällig ist, anklagt. Aber auch in diesem Falle ist die Barmherzigkeit Gottes bereit. Denn wenn Jemand sich selbst verdammt, so ist er in Folge der Buße von der Schuld freigesprochen und wenn er sich fernerhin vor dem Falle hütet, eingedenk der Worte des Herrn: „Siehe, du bist gesund geworden, sündige nicht mehr, damit dir nicht etwas Ärgeres widerfahre.“66 Zwingt uns aber die Natur und der überhandnehmende Hunger ans Essen zu denken, und es siegt die Vernunft durch den Eifer für das Bessere und die Beschäftigung damit, so ist dieser Gedanke nicht tadelswerth, sondern ein ruhmvoller Sieg.
18. Frage.
Ist in der Brüderschaft einem Sünder nach längerer Bußübung ein Amt anzuvertrauen und welches?
Antwort.