Was bewegt uns an Celebrities? Eine psychologische Reise zu den neuen Meistern der „Pröffentlichkeit“
Jens Lönneker, Gründungsmitglied des rheingold Instituts und Geschäftsführer von rheingold salon, Köln
1. Celebrities – eine psychologische Sinnfrage
Celebrities sind die nächste Stufe in der Evolution, wenn es um Kommunikation und Bekanntheit geht. Sie sind nicht mehr nur Gegenstand von Medien, sondern werden selbst zu Medien. Dies gilt nicht nur im übertragenen, sondern auch in einem ganz handfesten, tatsächlichen Sinne des Wortes: Celebrities sind auch Massenmedien. So hat etwa die Kreativagentur Kemmler und Kemmler, die für die Zalando-Kampagne mit Cara Delevingne verantwortlich zeichnete, behaupten können: „Unser Model Cara Delevingne ist für uns mehr als ein Model. Sie ist selbst ein Medium mit mehr als 23 Millionen Followern allein auf Instagram. Ihre Gage kann man daher nicht nur aus dem Kreativetat, sondern auch durch Umschichtung von Mitteln aus dem Mediabudget finanzieren.“1
Und es existieren viele Celebrities, die sogar noch weitaus mehr Follower haben als Cara Delevingne. Fakt ist: Celebrities boomen. Nur was ist eigentlich der psychologische Sinn von Celebrities? Warum und wozu gibt es sie überhaupt? Was haben wir von ihnen und was lässt sich mit ihnen anstellen? Diesen Sinnfragen wollen wir im Folgenden nachgehen und dabei bewusst den Blick umdrehen – von den Celebrities auf ihr Publikum.
Abb. 1: Model und Medium in einer Person: Cara Delevingne für Zalando (2015)
Die Forschung rund um Celebrities beschäftigt sich zwar häufig mit der Erhebung von Fakten und Rankings, die den Grad ihrer Bekanntheit und die erreichte Aufmerksamkeit in Zielgruppen beschreiben, aber der Fokus bleibt dabei auf die Celebrities gerichtet und weniger auf das Publikum. Auch in der qualitativen Forschung wird meist nach Skills, Charakter oder Charisma gesucht, um die Bekanntheit von Celebrities und ihre Eignung für Kommunikations- und Werbeformate zu begründen.
Deutlich weniger geht es um die Frage, was das Publikum überhaupt dazu treibt, Celebrities „auszubilden“. Was ist für das Phänomen verantwortlich, dass Menschen Celebrities „entstehen“ lassen? Eine berechtigte Frage. Schließlich werden Celebrities doch erst durch ihr Publikum überhaupt so relevant. Der Perspektivwechsel auf das Publikum verspricht somit, sowohl für das Verständnis des Phänomens als auch für Kommunikationsstrategien rund um Celebrities durchaus hilfreich zu sein.
2. Celebrities als Kulturphänomen. Vom Star zum Talent
Wählt man eine geschichtliche Perspektive auf das Phänomen der Celebrities, so fällt auf, dass sie lange Jahre vor allem als Prominente oder Stars gesehen wurden. Damit wurden sowohl ihre ganz besonderen Leistungen und Eigenschaften gekennzeichnet, als auch ihre gefühlte Distanz zum Publikum. Für das Publikum waren sie quasi „himmlische Sternenwesen“. Gesucht wurden in jenen Zeiten mehr oder weniger halbgottähnliche Wesen, die sich im Angesicht der eigenen Unzulänglichkeiten bewundern ließen und eben dadurch die eigenen Unzulänglichkeiten ein Stück weit kompensieren halfen.
Im lateinischen Ursprungssinn des Wortes „Prominenz“ geht es ja um das „Herausragen“: Ein Prominenter ragt aus der Masse heraus und wird dafür bewundert und bestaunt oder auch tragisch bemitleidet oder verachtet. Im Fokus steht die Distanz zum Normalen. So wurden Prominente früherer Tage häufig mit Diva-Eigenschaften verbunden wie etwa „die“ Callas. Aber auch „die“ Piaf und „die“ Knef oder Karajan und Gründgens galten quasi als gottgleich, weil für die meisten Normalsterblichen unerreichbar.
Abb. 2: Distanz zum Normalen - Édith Piaf, Maria Callas, Hildegard Knef, Herbert von Karajan und Gustaf Gründgens
Mit dem im deutschen Sprachgebrauch noch recht frischen Begriff „Celebrity“ kommt ein neuer Umgang mit öffentlich bekannten Persönlichkeiten ins Spiel. Es ist die Perspektive der Fans und der Öffentlichkeit selbst. Folgen wir dem Ursprungssinn des lateinischen Verbs „celebrare“, so rühmt, feiert und sammelt sich die Fan-Öffentlichkeit zahlreich, um die berühmten Persönlichkeiten zu verstehen. Das Wort kennzeichnet ein eifriges Tun, Umdrängen und Betreiben von vielen. Paradoxerweise rücken damit gerade die eigentlichen „Nobodies“ mit ihrem Eifer selbst in den Fokus. Hier geht es nicht mehr um die Distanz zu den eigenen Unzulänglichkeiten, sondern um eine möglichst große Nähe zwischen Celebrity und Normalsterblichen. In Form der Celebrity erhalten die Fans ein Zentrum, eine Gestalt für ihre Sehnsüchte, Wünsche und Anliegen.
So zeigt die RTL-Show „Das Supertalent“ und die Gesangs-Castingshow „The Voice of Germany“ von ProSieben und Sat.1, wie viele ganz besondere Begabungen gerade im vermeintlich „Normalen“ stecken. Dabei geht es weniger darum, die Sieger zu dauerhaften Celebrities zu machen. Es geht darum, jedes Mal aufs Neue das Prinzip zu zelebrieren, dass es unter „den Normalen“ immer wieder neue Supertalente zu entdecken gibt, die das Besondere im Normalen beweisen.
Abb. 3: Das Besondere im Normalen – die Berlinerin Sarah Stiefel zeigt Ketten-Akrobatik in „Das Supertalent“
Bei einer Celebrity wird heute eher das Besondere im Normalen gesucht und in den gesellschaftlichen Mittelpunkt gerückt. So gesehen ist es nicht zufällig, dass auch in Deutschland verstärkt von „Celebrities“ die Rede ist und nicht mehr nur von „Prominenten“ oder „Promis“.
3. Die Meister der neuen „Pröffentlichkeit“
Selbst für dauerhaft berühmte Celebrities gilt heute, dass sie nicht zu abgehoben, sondern möglichst normal sein sollten. Diva-Attitüden schaffen Distanz und werden daher kritisch gesehen. Es geht um Nähe, weshalb sehr geschätzt wird, wenn mit Celebrities quasi auf Augenhöhe kommuniziert werden kann. So wird beklatscht, wenn sich Taylor Swift bei ihren 68 Millionen Twitter-Followern für die netten Geburtstagswünsche mit einem kleinen Ständchen bedankt und dazu noch ein Teenie-Foto von sich postet, als wären es ihre Nachbarn.
Abb. 4: Neue Nähe – Taylor Swift bietet der Welt private Vertraulichkeit an wie ihren Nachbarn
Folgt man Cara Delevingne oder Taylor Swift auf Twitter oder Instagram, so wird die Mischung aus Besonderem und Normalem sehr deutlich: Posts von ganz normalen Situationen und Kontexten mit Familie und Freunden, Urlaub und Shoppen sind zu sehen, wie sie jeder Normalbürger auch ins Netz stellen kann. Aber sie werden durchmischt mit VIP-Locations, Treffen mit anderen Promis, Bühnenauftritten der Celebrities und ästhetisch besonders aufwendigen Arrangements, die wiederum das Besondere unterstreichen. Wie nie zuvor werden dabei die Dimensionen des privaten und öffentlichen Raums miteinander verwoben.
Insbesondere bei Social-Media-Beiträgen lässt sich nicht mehr ohne Weiteres sagen, ob es sich um Privates handelt, das öffentlich gemacht wird, oder ob es um Öffentliches geht, das in den privaten Raum hineinragt. Jedenfalls wird aus dem privaten Raum und dem öffentlichen Raum ein gemeinsamer Raum – eine neue „Pröffentlichkeit“. Wir konnten in einer Studie aufzeigen, wie stark sich private und öffentliche Welt vermischen können.2