Das Geheimnis der Fischerin vom Bodensee. Erich Schütz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erich Schütz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839267066
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hat sie ihre beeindruckend schlanke Figur behalten. Die wenigen Falten, die sich in ihr mädchenhaftes Gesicht geschlichen haben, machen sie nur noch interessanter. Selbst die angegrauten Strähnen in ihrem Blond, der nun halblangen Haare mit modernem Pagenschnitt, harmonieren wie absichtlich eingefärbt.

      Max war ein kleiner Steppke, als Gerdi als »Die Fischerin vom Bodensee« bekannt wurde. Er wohnte mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern in deren bescheidenem Seehaus, neben dem Fischerhaus Gerdis, unterhalb der berühmten Wallfahrtskirche Birnau. Er war der Jüngste und blieb in dem Haus seiner Eltern, auch als seine Brüder längst studieren waren. Gerdi war für ihn wie seine große Schwester. Ihr Großvater hatte sich seiner Enkeltochter angenommen, nachdem Gerdis Mutter allzu früh gestorben und der Papa verschollen war.

      Max half als kleiner Knirps seiner Nachbarin, wenn sie auf den See hinausfuhr, um ihre Netze einzuholen. Als Gerdi nach ihrer Hochzeit zu den vornehmen Ellegasts nach Meersburg zog, blieb er natürlich bei seinen Eltern zurück und verlor Gerdi aus den Augen.

      Doch seit sie vor ein paar Wochen wieder in das Fischerhaus ihres Großvaters eingezogen ist, sind die alten Sympathien wieder aufgeflammt. Seither ist Max wieder öfters bei der Nachbarin zu sehen, und so blühen die Spekulationen der Tratschmäuler.

      »Wo habt ihr die Felchen denn her?«, bohrt Hanspeter provozierend weiter, »und auch Zander gibt es doch fast keinen mehr im See.«

      »Vielleicht, weil der Ellegast sie alle gefangen hat«, weicht Max aus, lacht über seinen eigenen Witz und lässt seinen Musikerkollegen einfach stehen. Ihm ist es nicht danach, das leidige Thema Felchen lauthals vor den Gästen zu diskutieren. Peter Ochsner hat nun mal eine andere Meinung als er und als Gerdi erst recht.

      Seit Monaten redet Gerdi über nichts anderes mehr als über die Pläne ihres Mannes, oder eben Ex, mehrere Felchenzuchtgehege im Bodensee zu installieren. »Ich bin Fischerin und ich will Wildfische in unserem See fangen!«, ist ihr Credo, »und die Gäste am See wollen auch nur ein Felchen, das frei und wild durch den See schwimmt und keines aus der Gefangenschaft aus einem Gehege.« Ein Fischzuchtgehege zerstört für sie das von Gott gegebene natürliche Gleichgewicht im See.

      Ochsner hat Ellegast von Anfang an zugesagt, Bodenseefelchen aus seinem Gehege zu kaufen und seinen Gästen zu servieren. »Wo ist das Problem?«, schiebt er alle Einwände beiseite, »dabei ändert sich weder für uns noch für unsere Gäste rein gar nichts«, argumentiert er. »Wir bleiben ehrlich und servieren Bodenseefelchen, das wollen doch alle, dann ist alles wieder gut! Wichtig ist nur, wir bekommen genügend Felchen geliefert, die wirklich aus unserem See stammen!«

      Ehrliche Gastronomen haben schon den ganzen Juni über nur noch selten Felchen auf ihrer Speisekarte stehen. Es ist wie verhext, aber auch Gerdi zieht jeden Morgen ihre Netze aus dem See und könnte weinen. Saiblinge und Kretzer, sogar auch den seltenen Zander oder einen großen Wels bringt sie mit nach Hause, aber leider keine Felchen. Dabei haben sich die Gäste gerade auf diesen verfluchten Fisch fokussiert. Doch die Fangquoten von Felchen bleiben mau und liegen seit Jahren weit unter der Menge der Nachfrage.

      Vor allem Blaufelchen, die kräftig und gesund den ganzen See durchschwimmen, gelten als eine Besonderheit, wie sie nur in wenigen Gewässern der Welt zu finden sind. Sie bieten für die Bodenseefischer ein Alleinstellungsmerkmal! In den 1990er-Jahren haben Fischzüchter versucht, das Blaufelchen in bayerischen Seen anzusiedeln, es hat einfach nicht funktioniert. Dies beweist für die Bodenseefischer erst recht die hohe Wertigkeit ihrer wilden Blaufelchen.

      »Ob Blau,- Sand- oder sonst was für -felchen, das ist mir doch scheißegal!«, sagt Peter Ochsner dagegen, »meine Gäste verlangen nach Bodenseefelchen, also bringst du sie mir gefälligst, egal woher und ob blau oder grau«, gab Ochsner Ellegast schon vor Jahren einen Freischein. »Auf meiner Speisekarte steht auch täglich Reichenauer Salat. Für die Menge, die ich verkaufe, müsste die Salatinsel eine Fläche haben größer als der ganze Bodensee.«

      Der stete Mangel an Bodenseefelchen heizt die Diskussion um die Felchengehege jährlich erneut an. Alljährlich, wie die Herbsttürme, fegen neue Gutachten und Argumente für und wider die Gehege um den See. Immer wieder neue Nachrichten wirken wie kräftige Böen aus den verschiedensten Himmelsrichtungen. Einem Wirbelsturm gleich sorgt nun der öffentlich gemachte Streit zwischen den Mitgliedern der Familie Ellegast für neue Spekulationen.

      Als bekannt wurde, dass Gerdi Ellegast sich den Gehegeplänen ihres Mannes widersetzt, versammelten sich die Berufsfischer mit ihrem Widerstand gegen die Gehege hinter ihr. Jetzt ist die zuerst nur umweltpolitische Diskussion zum Thema »Tierwohl« plötzlich ein tierischer Stoff mit familiären Spitzen und Zutaten für jeden Tratsch und Klatsch.

      Überlingen ist eine Kleinstadt. Viele Seeanwohner erinnern sich noch an das Werben des jungen Ellegast aus Meersburg um die schöne Gerdi Gassel in dem Fischerhaus am Rande ihrer beschaulichen Kur­stadt, hinter dem Ortsteil Nussdorf. Danach gab es eine große und bombastische Hochzeit auf der Weißen Flotte.

      »Dass diese Ehe überhaupt 20 Jahre lang gut ging«, ist jetzt plötzlich das Thema der bösen Lästermäuler. »Der fleißige und erfolgreiche Ellegast und die arrogante Gassel aus dem kleinen Fischerhäuschen«, urteilen sie. »Kinder kitten Ehen«, wissen andere. Aber schon macht sich das nächste Gerücht breit: Auch Töchterchen Lena ist ausgezogen und wohnt nicht mehr bei Papa Ellegast.

      Der eheliche Streit wegen des Felchengeheges ist längst zum offiziellen Politikum geworden. Das Thema »Bodenseefischer kontra Ellegast« spitzt sich zum Klatschthema »Ellegast gegen Ellegast« zu.

      Ausgang offen.

      ihn kommt der Seefisch auch aus dem Meer. Meine Lektorin,

      Claudia Senghaas, und ich, haben uns bewusst für die Bodensee-

      Umgangssprache entschieden. Demnach heißt es das Felchen und ist ein

      Seefisch aus dem Bodensee! – Bei Butter geben wir uns geschlagen und

      lassen die Fischerin vom Bodensee ihrem Mann die Butter reichen.

      2.

      Eine schwere Kette verhindert, dass Max die Metallklappe des großen Müllcontainers aufschieben kann. Es ist stockdunkel um ihn. Er nimmt sein Handy, lässt es kurz aufblitzen, dann schmunzelt er. Ein einfaches Marderschloss hält die Kette um den Öffnungsriegel verschlossen. Max schaut sich um, er sieht kaum etwas, so dunkel ist diese Nacht, kein Mond, keine Sterne, nur dunkle Wolken rieseln leichten Sprühregen über Meersburg ab, zusätzlich wabern Nebelschwaden über die Seeregion. Typisches Seewetter, noch am Morgen heller Sonnenschein, am Abend schon trübe Regenwolken und ein empfindlicher Temperatursturz.

      Max hantiert an den Müllcontainern Ellegasts im hintersten Winkel des Parkplatzes. Die Hallen der Fischverarbeitungsfirma Ellegast liegen 50 Meter vor ihm. Er sieht sie kaum im Dunkeln, hört aber die Motoren der Kühlanlagen. Der Parkplatz ist verweist. Kein Mensch in Sicht. In Ruhe fingert Max einen Schlüsselbund aus seiner Tasche und macht sich ans Werk. Ein Marderschloss zu knacken, ist für ihn kein Hexenwerk. Als Halbwüchsige haben sie öfter die Marderschlösser an den Motorbooten im Überlinger Osthafen geknackt, um mit ihnen nachts über den See zu preschen.

      In Ruhe sucht er einen passenden Schlüssel aus, er will in den Müllcontainer Ellegasts sehen, vielleicht findet er dort die Verpackungen der Felchen, die der Fischhändler heute Morgen in das Seerestaurant geliefert hat. Max will wissen, woher diese Felchen tatsächlich stammen. Aus dem Bodensee jedenfalls nicht. Felchen werden für die Bodensee-Gasthäuser aus Italien, Polen oder gar aus Sibirien eingekauft, seit Neuestem auch aus Lettland und jetzt auch noch aus