- Der Golfclub ist in einem Landschloss untergebracht. Die ehemaligen Besitzer konnten es nicht mehr erhalten. Es wurde fantastisch renoviert und adaptiert. Du wirst begeistert sein.
Gitta ist alles andere als begeistert, lässt sich aber nichts anmerken. Im Atelier sieht sie nochmals die ausgewählten Bilder kritisch durch. Da hört sie Bernhard sagen:
- Du, Mama, ich hab Hunger.
Natürlich. Sie hat das Mittagessen vergessen. Kein Wunder an einem solchen Tag.
- Gleich. Ich koche uns was Besonderes. Magst du mir helfen?
- Muss ich?
- Du musst nicht.
Noch kurz starrt sie auf ihre Werke, bevor sie in die Küche eilt und Reis auf den Herd stellt. Rasch das Fleisch schnetzeln und das Gemüse in Streifen schneiden. Die Klinge so stumpf. Gibt’s denn keine scharfen Messer? Ah hier! Fuck! Die sind um nichts besser. Warum hat sie sich bloß dieses chinesische Gericht eingebildet? Ach ja, wegen Paul. Zur Feier des Tages. Paul ist aber schon wieder weg. Es gibt nichts zu feiern. Trotzdem schneiden. Wenn sie nicht dauernd abrutschen würde. Vielleicht sollte sie den Paprika von innen … Der Reis, shit, shit, kocht über. Mit einem feuchten Lappen wischt Gitta die milchige Brühe von Herd und Topfrand, gießt etwas Wasser nach und dreht die Temperatur zurück. Das wilde Pochen im Hals, das muss aufhören. Sofort! He, es klappt! Was sie nicht alles kann. Gitta legt sich das Gemüse auf dem Schneidbrett zurecht. Bei Michi sah die Zubereitung so leicht aus. Kein Wunder bei deren Auswahl an blinkenden Klingen. Michi. Die älteste, auch einzige und treueste Freundin, die Gitta hat, und nie ruft sie an, überlässt Michi die Initiative. Warum? Weil Michi wissen will, wie es ihr geht? Sie verkriecht sich zu sehr, muss endlich ihr Schneckenhaus verlassen. Wird sie gleich tun. Doch zuerst Kochen, dann die Psychotante. Das Fleisch. Quer zur Faser schneiden, hat Michi gesagt. Was für ein Geschnipsel! Sie könnte größere Stücke … Nein. Weitermachen. Sie wird das zu Ende bringen. Das Messer gerade halten, nicht zu stark niederdrücken. So. Die letzten Schnitte … fünf, vier, drei, zwei, eins. Yesss! Gitta betrachtet die Fleisch- und Gemüsestreifen. Zwei Fitzelhügel, der eine blassrosa, der andere gelb, rot und grün. Zum Malen schön. Nichts da! Öl erhitzen, rein in die Pfanne mit dem Stillleben, kurz anbraten, würzen. Wo ist die Sojasauce? An der Supermarktkasse liegengelassen? Nein, nein, da ist sie ja! Huch, wie das aufschäumt! Hätte sie die Hitze reduzieren sollen? So genau hat sie Michi nicht zugeschaut. Aber jetzt kann sie sicher abdrehen. Richtig. Tisch decken, Wasser her. Kochen macht durstig.
- Bernhard, Essen!
Er steht schon in der Tür. Seit wann?
- Mama, du hast dich angepatzt.
Gitta sieht an sich herab und dann auf Arbeitsplatte und Herd. Ein Schlachtfeld. Egal. Jetzt wird gegessen. Wie es Bernhard schmeckt! Er nimmt zweimal nach. Sie hat etwas Gutes zustande gebracht. Yeah!
Wieder läutet das Telefon. Es ist Bernhards Freund Georg, der ihn zum Fußballspielen einlädt.
- Mama, der Clemens und der Andi kommen auch in den Park. Dann sind wir eine richtige Mannschaft.
Gitta hat Tränen in den Augen. Geh nur, flüstert sie. Er macht es ihr so leicht. Sie muss nicht einmal überlegen, ob sie ihn mitnimmt. Er hat Freunde, spielt mit ihnen. Bernhard ist ein ganz normales Kind.
- Mama, bist du traurig?
- Ich weiß nicht, vielleicht nur müde. Du weinst ja auch manchmal vor Müdigkeit.
- Mama?
- Ja?
- Ist der Papa weg, weil ich schlimm war?
- Nein, bestimmt nicht. Außerdem warst du nicht schlimm.
- Ich mein, in der Schule.
- Auch dort nicht. Die Frau Lehrerin hat dich gelobt.
- Wirklich?
- Ganz wirklich.
Dieses Strahlen. Das kann doch bloß ein Kind, das …
- Darf ich gehen? Die ander’n warten.
- Ja, natürlich. Aber komm bitte bis spätestens halb sieben heim.
Während sie das sagt, tippt Gitta auf Bernhards bunte Armbanduhr, die er von Paul zum Geburtstag bekommen hat. Gewünscht hat sich Bernhard ein Smartphone, doch Paul ist nicht darauf eingegangen. Erst die Uhr lesen lernen und pünktlich sein, dann können wir über ein Smartphone reden.
- Wieso so früh?
- Du musst rechtzeitig ins Bett kommen. Ich bringe dich morgens kaum aus den Federn. Also um halb sieben. Versprochen?
- Indianerehrenwort!
Er deutet auf die große Zeitanzeige seiner Uhr und rennt los. Vom Fenster aus winkt Gitta dem Buben, obwohl er gar nicht zu ihr nach oben schaut. Sie räumt den Tisch ab. Zu blöd, dass der Geschirrspüler kaputt ist. Sie muss endlich beim Reparaturdienst anrufen. Morgen. Jetzt Geschirr waschen, Herd putzen und anderes Gewand anziehen. Frau Dr. Hebel wartet.
XII.
Gitta knallt die Tür hinter sich zu, schleudert ihre Handtasche in die eine Ecke, die Schuhe in die andere Ecke des Vorzimmers. Da geht sie extra zur Hebel, will neu eingestellt werden, und diese Ziege lächelt bloß, meint, es wäre alles in Ordnung. Hin und wieder ein kleiner Ausrutscher – Ausrutscher, hat sie gesagt, so als ob Gitta keinen geraden Schritt machen könnte –, das wäre kein Malheur. Es ist aber eines! Gitta keucht, ihr Brustkorb schmerzt, weil das Herz so sehr dagegen hämmert. Und dabei ist sie bloß zur Psychiaterin gegangen, nicht gerannt, doch genau das wird sie demnächst tun, richtig trainieren, damit sie einen Grund hat, erschöpft zu sein. Körperlich, nicht seelisch. Diese Psychiaterinnen, Psychologinnen, Therapeutinnen, und wie sie alle heißen, sitzen da, schauen dich oder deine Zeichnungen an und ziehen die blödesten Schlüsse. Sie hat das satt, so was von satt!
Im Spiegel sieht sie eine vornüber gebeugte Gestalt, die Hände auf den Oberschenkeln abgestützt. Breitbeinig steht sie da wie eine ausgepumpte Leichtathletin im Zielbereich. 20 Minuten für ein paar Häuserblocks. Lächerlich. Was kann man schon von einer Schnecke erwarten? Richtig! Schneckentempo. Mehr nicht. Das nächste Mal wird sie die Strecke in einer besseren Zeit zurücklegen. Am liebsten würde Gitta erneut losrennen, um das Vorhaben augenblicklich umzusetzen, aber es ist schon fünf. Bald wird Bernhard zurück vom Fußballspielen kommen. An so viel muss sie denken. Morgen könnte sie doch, gleich nach dem Frühstück, während Bernhard in der Schule ist. Nein, da werden die Bilder geholt. Die Bilder! Sie muss sie noch einmal durchsehen. Schließlich ist sie die Künstlerin. Genau. Sie hat etwas mitzureden bei der Auswahl, nicht nur Ivo Ungemach.
Gitta streckt den Rücken und schüttelt die Beine. Immer noch fühlt es sich an, als ob sie einen Wettkampf hinter sich hätte, nicht gewonnen, nicht haushoch verloren, bloß verausgabt im Pulk über die Ziellinie gelaufen. Dort ist ihr Platz. Die Ausstellung wird nichts daran ändern. Ob und was in diesem Golfclub gezeigt wird, ist scheißegal. Was glaubt sie denn, wer sie ist! Sie und große Künstlerin. Lachhaft. Nichts als eine mittelmäßige Malerin ist sie. Mit Angstzuständen und Halluzinationen.
Gitta geht ins Atelier. Für sie ein Ort der Zuflucht, für Paul ein Ort, der sie verrückt macht. Und allergische Reaktionen hervorruft. Vielleicht bei ihm, sicher nicht bei ihr! Er will, dass sie vom Malen loskommt, eine Beschäftigung sucht. Wie stellt er sich das vor? Was kann sie mit ihrem Kunststudium anfangen? Schon jetzt nichts. Gitta ignoriert die ausgesuchten Bilder, setzt sich an die Staffelei und schaut prüfend auf den Verdrüsslichen. Es dauert lange, bis sie einen sauberen Pinsel nimmt und Farben zu mischen beginnt. Paul hat das immer bewundert, ihre Sicherheit in der Farbfindung. Es bereitet ihr keinerlei Schwierigkeiten, eine Stelle fertigzumalen in genau jenem Ton, mit dem sie vor Tagen begonnen hat. Ja, handwerklich hat er ihr große Qualität bescheinigt. Du malst wie die alten Meister. Aber angesprochen haben ihn die Bilder nie.
Ist sie nichts als eine