Der Verdrüssliche. Eva Holzmair. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Holzmair
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783839267226
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Genau wie ihr, allerdings dauert dieser Prozess bei uns etwas länger.

      Lasst mich nun aber zurückkehren zum Meister, zur Werkstatt. Obzwar abgelegt in einer Ecke, ward ich beileibe nicht allein.

      - Das hast du schon gesagt.

      Richtig. Ich muss nur den Faden dort wieder aufnehmen, wo ich ihn fallengelassen habe. Von meinem dunklen Winkel aus suchte ich das Gespräch mit den meinigen. Lach nicht so hämisch, Belisarius! Ich weiß, was sich gehört. Ich stellte mich vor, wählte zu Beginn allerdings das falsche Gegenüber, die blasierte Base aus Csővar, die sich weiß Gott was einbildete, dass der Felsen, aus dem sie gebrochen ward, ein altes Schloss trug. Ich bitte euch! Auch bei uns in Landok gab es herrschaftliche Anwesen. Deshalb halte ich mich noch lange nicht für etwas Besonderes. Was?

      - Hat die Base gelogen?

      Nein. In Csővar war tatsächlich ein Schloss direkt über dem Steinbruch, aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, so fürnehm zu tun und mir die kalte Schulter zu zeigen. Wer war sie schon? Ein weißer Steinbrocken. Sonst nichts. Meine edlen Vettern aus der Toskana hätten weitaus mehr Grund gehabt, hochnäsig zu sein, waren sie doch von ausnehmend schöner Färbung. Zu meiner Überraschung erwiesen sie sich als äußerst mitteilsame Gesellen.

      - Wie du.

      Du sagst es, Belisarius. Wie ich. Sie waren zudem mit welschem Temperament ausgestattet. Ihre Zoten. Dio mio! Nichts für euch. Da sei die political correctness vor. Mit den Toskanern war die Unterhaltung nicht nur höchst vergnüglich, sondern auch aufschlussreich. So berichteten sie, dass sie als Nachbildungen antiker Statuetten auf die Burg ziehen würden, wo Albert von Sachsen-Teschen residierte. Zu diesem Zeitpunkt wussten sie noch nicht, dass er in Bälde zum Generalgouverneur der Österreichischen Niederlande ernannt werden und fortgehen sollte. Er ward wohlgelitten. Als er und seine durchlauchtigste Gemahlin in Preßburg einzogen, wurden sie von Abordnungen aus allen Landesteilen begrüßt. War das eine Pracht! Das edle Zaumzeug der Pferde, die pelzverbrämten Umhänge …

      - Die reich verzierten Kutschen, die Fahnen, bla, bla, bla.

      Was, das habe ich schon erzählt?

      - Ja, und es interessiert uns auch nicht.

      Aber wenn ihr nichts hören wollt, warum entriere ich überhaupt ein Gespräch?

      - Das fragen wir uns schon die ganze Zeit.

      So, so.

      …

      Banausen, undankbare Bande! Nehmt euch ein Beispiel an Carl. Er unterbricht mich nie, lauscht vielmehr konzentriert, möchte, dass ich ihm etwas beibringe, ihr hingegen, aber was kann man von kleisterdurchtränktem Zeitungspapier schon erwarten. Verstopfte Ohren, verklebte Sicht!

      …

      - Na komm schon, erzähl.

      - Ja, bitte.

      - Sonst platzt du noch aus deinen Falten.

      - Das können wir nicht verantworten.

      Nun gut, ich kontinuiere, aber glaubt bloß nicht, dass ich die Ironie in euren Bitten um Fortsetzung überhört habe. Vielleicht bleibt doch etwas hängen und ihr könnt es weitergeben, bevor ihr endgültig entsorgt werdet. Ihr überlebt euch rasch. Ich nicht.

      - Der Punkt geht an dich.

      Vortrefflich, Mister Belisarius. Ihro Gnaden lernen pfeilschnell.

      Die Werkstatt. Die rege Unterhaltung, nicht bloß über Albert von Sachsen-Teschen, den Schwiegersohn Maria Theresias. Aber der Name der allerhöchsten Frau dürfe in des Meisters Gegenwart keinesfalls erwähnt werden, bloß nicht, warnten mich die Vettern aus dem Welschland. Das hätte einen seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle zur Folge. Maria Theresia, die Kaiserin, ja damals herrschte eine Kaiserin – das beeindruckt euch, was? – hatte den Meister gekränkt, zuerst damit, dass sie ihn nicht zum Leiter der Wiener Akademie der bildenden Künste ernannt hatte, und, dem nicht genug, dann noch mit dem Angebot, ihm eine Pension von jährlich 200 Gulden zu zahlen. Messerschmidt habe dieses lächerliche Angebot natürlich abgelehnt, es als Invalidenrente bezeichnet, derer er nicht bedürfe, fügte die Toskana-Runde hinzu. Er lasse sich nicht abspeisen, er könne und werde weiterarbeiten.

      Nun ja, mischten sich meine Zipser Geschwister ein, etwas krank sei der Meister schon. Immer wieder klage er über Schmerzen im Unterleib und in den Schenkeln. Zuweilen leide er an Verwürrung im Kopfe. Nur weil er dieser Tage fidel sei und viel ausgehe, bedeute das noch lange nicht, dass er nicht wieder brüllend durchs Atelier irren oder sich hinter seinen Kopfstücken verschanzen würde. Angesichts der Plagegeister dürfe einen das nicht Wunder nehmen. Eine hinterhältige Horde sei das, die den Meister mit Gesichtskrämpfen quäle, sodass er oft nicht einmal die Augen offen halten könne.

      Just in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ein hübsch mit rotem Wams, Spitzenjabot, seidenen Hosen und Gamaschen gekleideter Herr trat ein. Er sah wohlgenährt und keinesfalls krank aus, bloß die Perücke saß etwas schief, als ob er sie achtlos wie einen Umhang übergeworfen hätte. Er lachte, tätschelte meine Brüder, murmelte etwas von sieben Medaillons und eilte wieder hinaus, ohne mich, das schöne Stuckh, eines Blickes gewürdigt zu haben. Warum mussten mich die dumme Gans und der rachitische Zwerg in diese dunkle Ecke placieren! Die Zipser beruhigten mich. Sie erklärten, dass der Meister beim Freiherrn von Bittenthal gespeist habe und sich itzo wohl zur Ruhe begeben, danach aber gestärkt in die Werkstatt kommen und mich sicher bemerken werde.

      So war es denn auch, aber viel mehr als eines Blickes war ich ihm, der in den alten grauen Beinkleidern, dem fleckigen Schurz und ohne Perücke kaum wiederzuerkennen war, nicht wert. Er hob meine eingebildete Base auf die Werkbank beim Fenster und begann, sie mit Schlageisen und Fäustel zu traktieren. Sie ist rein weiß, hat nicht unseren gelblichen Einschlag, seufzten die Zipser. Dafür wird sie das langweilige Leben von Bildmedaillons führen, während wir beim Meister bleiben und kämpfen dürfen. Du wirst sehen, auch dich wird er in sein Bataillon aufnehmen!

      Interessiert inspizierte ich meine Brüder: Eine Kampftruppe stellte ich mir anders vor. In Reih und Glied standen sie, ja, aber ohne Arme, Rumpf und Beine, bloß Köpfe mit verkniffenen oder aufgerissenen Mäulern, faltigen Hälsen und zumeist geschlossenen Augen. Wen sollten sie so in die Flucht schlagen? Auch die Verstärkung durch andere Büsten aus Holz oder Zinnguss machte es nicht besser. Und die paar wenigen freundlichen Gesichter unter ihnen schon gar nicht.

      Warte nur ab, meinte einer der Krieger und grinste mich an.

      XV.

      Erschrocken starrt Carola auf die Uhr. Schon neun! So lange hat sie seit Monaten nicht mehr geschlafen. Selbst Jarolims Proteste muss sie überhört haben. Carola betastet die Narben und ihre magere Bauchdecke. Alles wie immer. Ein bisschen Ziehen, aber keine Schmerzen. Irgendwo darunter lauert das Ungeheuer. Soll es doch. Sie hat anderes zu tun. Zuerst einmal Jari füttern. Mit Stufe drei seiner Mitleidsmasche empfängt er sie: kummervoll geweitete Augen und nahezu unhörbare Klagelaute. Das herzzerreißende Miauen und das Kratzen an der Tür muss sie verschlafen haben. Mein armer Jari! Sie nimmt die Jammergestalt hoch und geht in die Küche. Dort setzt sie den Kater ab und sucht unter den Futterdosen seine Lieblingssorte heraus: Thunfisch. Den Leckerbissen bekommt er nur an besonderen Tagen. Wegen der Fangquoten. Jarolims Thunfischkonsum ist streng rationiert. Heute ist zwar kein besonderer Tag, dafür hat Stufe drei voll gewirkt. Du berechnender Gauner, tadelt Carola, während Jarolim sich schon vor dem Absetzen des Fressnapfes aufs Futter stürzt. Sie muss aufpassen, dass er nicht ihren Daumen erwischt.

      Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald. Es war so finster und auch so grimmig kalt. Sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein, wer mag der Herr wohl von diesem Häuschen sein?

      Während sie das Kinderlied vor sich her trällert, tänzelt Carola ins Bad. Herrlich! Sie ist ausgeschlafen, kein bisschen müde und bereit für einen ereignisreichen Tag. Davon wird sie kein Krebs, auch kein körperbehinderter Kater abhalten. Sie hat eine Aufgabe: Grete Wasserscheidt.

      Nachdem sie von den im Übermut aufgebackenen zwei Semmeln sogar rekordverdächtige eineinhalb gegessen und pflichtbewusst den