Dampfer ab Triest. Günter Neuwirth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Neuwirth
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839267042
Скачать книгу
niemand hatte ihn gesehen, also duckte er sich in das Unterholz und schlich von hinten auf das Haus zu. Durch das Fenster sah er einen Lichtschein in der Stube. Er lehnte sich an die Mauer und spähte vorsichtig in das Innere. Auf dem Tisch spendete eine Petroleumlampe auf kleiner Flamme ein bisschen Helligkeit. Schliefen die Buben schon? Er wartete eine Weile. Dann hörte er knarrende Dielen und schaute wieder durch das Fenster.

      Da war Fedora! Sie trug ihren Strickkorb und setzte sich an den Tisch. War sie allein? Er wartete. Fedora drehte den Docht etwas höher und schon wurde es heller. Sie griff nach ihren Stricknadeln. Zweifellos schliefen ihre Söhne und sie ließ den Tag mit ihrer Handarbeit ausklingen.

      Bruno tippte mit dem Fingernagel gegen die Scheibe. Ihr vereinbartes Signal. Fedora blickte sofort zum Fenster, erhob sich, ging zur Treppe und horchte in das Haus, ob wirklich alle schliefen. Dann eilte sie auf leisen Sohlen zum Fenster.

      »Bruno! Für heute sind wir doch nicht verabredet.«

      »Morgen muss ich an Bord der Thalia, übermorgen legt der Dampfer ab.«

      »Du musst auf See?«

      »Für dreieinhalb Wochen. Ich bin hier, um mich zu verabschieden.«

      Fedora biss sich auf die Lippen. »Ich komme raus.«

      Sie schloss das Fenster. Bruno huschte hinüber zur Scheune und wartete im Dunklen. Wenig später kam Fedora, küsste Bruno und sperrte die Scheunentür auf. Die beiden verschwanden darin. In der kleinen Scheune hinter dem Haus befanden sich der Hühnerstall, ein Lagerraum für den Pferdewagen und das Gartenwerkzeug, eine gemauerte Waschküche und ein Heuboden. Da Carlo Cherini schon vor Jahren sein Pferd verkauft hatte, wurde der Pferdewagen nur selten verwendet und der Heuboden stand leer. Fedora wartete, bis Bruno ihr in die Waschküche gefolgt war, dann schloss sie die Tür, zog die Vorhänge zu und zündete eine Kerze an.

      »Wie kommt es, dass du auf See musst?«

      »Setz dich zu mir«, sagte Bruno. Er nahm auf der breiten Bank Platz und erzählte in kurzen Worten von seinem Auftrag.

      Fedora rückte näher und strich Bruno durch das Haar. »Du bist also den Berg hochgestiegen, um dich von mir für dreieinhalb Wochen zu verabschieden?«

      Auch Bruno rückte näher. »Nur deswegen.«

      »Ich fühle mich durch deine Aufwartung geschmeichelt.«

      Bruno umfasste Fedoras Hüfte und schmiegte seine Wange an die ihre. »Und ich fühle mich geschmeichelt, weil du mich wieder in deine Waschküche eingelassen hast.«

      »Ein Ort der Sauberkeit und Pflege.«

      »Und ein Ort wiederholt erquicklicher Begegnungen.«

      »Ich wäre dir monatelang böse gewesen, wenn du ohne Abschied zur See gegangen wärst.«

      »Ich wäre monatelang untröstlich darüber gewesen.«

      »Hast du einen Pariser dabei?«

      »Ein kleines Päckchen der bewährten Marke Sigi befindet sich in der Innentasche meines Sakkos.«

      »Du bist so gewissenhaft.«

      »Es freut mich, dass du meine Tugenden schätzt.«

      »Küss mich, Herr Inspector.«

      *

      »Wann kommt der Wagen?«

      »Er kann jeden Moment hier sein.«

      Heidemarie Zabini überblickte das bereitstehende Gepäck ihres Sohnes. Drei Koffer standen in der Stube seiner Wohnung. Darunter war neben zwei großen Koffern für die Kleidung auch der dunkelbraune Lederkoffer, den Bruno bei Tatortbesichtigungen stets dabeihatte. Heidemarie verschränkte die Arme. »Wirst du den Tatortkoffer brauchen?«

      Bruno zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht, aber da ich dienstlich im Einsatz bin, möchte ich meine Kommissionstasche jederzeit in Griffweite haben.«

      »Fährst du ins Arsenal?«

      »Nein. Die Thalia hat ihren Liegeplatz am Molo San Carlo eingenommen. Das Schiff ist laut Plan in den Morgenstunden vom Arsenal in den alten Hafen gelaufen. Der Vorrat für die lange Reise ist an Bord, jetzt fehlen nur noch die Fahrgäste.«

      »Und dieser Graf ist wirklich eine so bedeutende Persönlichkeit, dass er einen Wachmann braucht?«

      »Offenbar. Sonst wäre mir nicht dieser Auftrag übertragen worden.«

      Wie üblich sprachen Mutter und Sohn in für Triest unüblichem Wienerisch. In ihrer beider Muttersprache.

      »Wird es gefährlich werden?«

      »Möglich, aber es ist auch gefährlich, bei einer Rauferei in einem Bierhaus einzuschreiten.«

      Heidemarie grinste schief. »Wahrscheinlich wird überhaupt nichts geschehen und du bist auf Staatskosten dreieinhalb Wochen auf Vergnügungsfahrt in der Ägäis. Du wirst dich fadisieren.«

      »Das hat Emilio auch gesagt.«

      »Wahrscheinlich frisst diesen Wicht wieder der Neid, weil du den Befehl zur Vergnügungsfahrt erhalten hast und nicht er.«

      Bruno schmunzelte. »Kann es sein, dass du meinen Arbeitskollegen persönlich kennst?«

      »Hast du Bücher mit?«

      »Nur eines. Die Thalia verfügt über eine gut bestückte Bi­bliothek.«

      »Ein Wunder, dass du so kurzfristig überhaupt noch eine Kabine erhalten hast. Die Vergnügungsfahrten der Thalia sind außerordentlich beliebt und die Kabinen viele Wochen vor der Abfahrt ausverkauft.«

      »Ich habe die Reservekabine erhalten, in der normalerweise Ausrüstung und Ersatzkleidung für die Mannschaft gelagert wird.«

      Heidemarie runzelte die Stirn. »Ein seltsamer Auftrag ist das schon. Kannst du dein Amt als Polizist der Stadt Triest auf hoher See überhaupt ausüben?«

      »Kann ich nicht. Ich reise in verdeckter Mission. Offiziell bin ich ein Angestellter des Lloyd auf Inspektionsreise. Nur der Kapitän und die Offiziere dürfen wissen, dass ich Polizist bin.«

      Heidemarie lächelte hintergründig. »Na, vielleicht wird deine Geheimmission doch spannend. Wie ich dich kenne, wirst du um ein paar Geheimnisse mit den an Bord befindlichen Damen der guten Gesellschaft nicht umhinkönnen.«

      Bruno schüttelte mit säuerlicher Miene den Kopf. »Du und deine Vorstellungen vom Leben auf Schiffen. Ich fürchte eher die ersten Tage auf See. Wenn wir hohen Seegang haben, sterbe ich.«

      »Ach, ein echter Triestiner muss ein bisschen Seekrankheit aushalten.«

      »Das hat Herr Gellner auch gesagt.«

      »Übrigens, ich habe mich mit Signora Cherini angefreundet.«

      »Wie das?«

      »Dumme Frage! Menschen freunden sich durch Gespräche miteinander an.«

      Bruno verdrehte die Augen. »Ich hoffe, ihr habt nicht allzu abfällig über mich gesprochen.«

      »Nur ein bisschen. In jedem Fall ist Fedora eine beeindruckende Frau. Sie hat Persönlichkeit.«

      »Das ja.«

      »Und ich habe gesehen, dass du gestern knapp nach Sonnenuntergang außer Haus gegangen bist. Ich kann mir denken, wo du warst.«

      »Du bist schlimmer als jeder Polizeiagent.«

      »Darauf bin ich stolz! Und jetzt, mein Herr Sohn, lebe wohl, passe auf dich und diesen Grafen Sowieso auf und komme heil von deiner Seereise zurück. Der Wagen ist gerade vorgefahren.«

      *

      Das Leben war bloß Mummenschanz. Eine lächerliche Täuschung. Ein peinlicher Irrtum. Nichts hatte Bestand. Als Knabe hatte er gebetet. An Gott und an den Segen der Heiligen geglaubt.

      Unfug.

      Der einzige Gott, der es Wert war, angebetet