»Wieder den Verbrechern auf der Spur?«
»Ach, wie immer halt. Ich habe ihn nicht gesprochen, ich habe nur gesehen, dass er fortgegangen ist. Er schien in Eile zu sein.«
»Ihr Sohn scheint immer in Eile zu sein.«
Heidemarie lächelte Fedora an. »Zumindest tut er immer sehr beschäftigt. Das machen Beamte so, damit niemand bemerkt, dass sie den lieben langen Tag faulenzen.«
Fedora lachte. »Diesen Verdacht hege ich auch. Die Gartenarbeit geht Ihnen leicht von der Hand. Ihre Beete sind prachtvoll.«
»Gott sei es gedankt, die alten Knochen sind noch belastbar.«
Für eine Weile saßen die beiden Frauen schweigend beisammen und nippten an ihren Kaffeetassen.
»Wann kommt Ihr Mann zurück?«
»Laut Plan wird die Bohemia am Samstag wieder anlegen.«
Heidemarie schaute sinnierend zum Fenster. »Mein Salvatore, Gott hab ihn selig, fuhr nicht zur See. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er aus dem Bureau nach Hause gekommen ist, sich an den Tisch gesetzt hat, ich ihm das Essen aufgetragen habe und er sich von den Kindern über ihren Tag Bericht hat geben lassen. Es war ein geregeltes Leben. Regeln geben den Menschen Sicherheit. Seit ich damals als blutjunges Mädchen mit meiner Herrin von Wien nach Triest gekommen bin, lebe ich hier, und ich habe keinen Tag bereut.«
»Wie haben Sie Ihren Mann kennengelernt?«
Heidemarie wiegte sinnierend den Kopf. »Obwohl es schon so lange her ist, kann ich mich noch an alle Einzelheiten erinnern. Als meine Herrin, die Gräfin Windischgrätz, den Sommer über in Triest verbrachte und ich bei ihr als Zimmermädchen im Dienst war, hat sie mich regelmäßig auf den Markt geschickt. Bald ist mir der gut aussehende Herr aufgefallen, der täglich um die Mittagsstunde den Markt besuchte. Es hat sich ergeben, dass ich ihm öfter über den Weg gelaufen bin. Irgendwann hat er mich angesprochen. Dann hat das eine das andere ergeben. Ich habe sehr schnell bemerkt, dass Salvatore sich Hals über Kopf in mich verliebt hat. Ich war ein süßes Wiener Mädel, blond, blauäugig, pausbäckig, und der Herrgott hat es gut mit mir gemeint, er hat mir auch ein bisschen Verstand mitgegeben. So bin ich nicht bloß eine sommerliche Liebelei des eleganten Herrn geworden, sondern seine Ehefrau. Es war so rührend, wie er bei der Gräfin Windischgrätz vorstellig geworden ist und wie er meinen Eltern ellenlange Briefe geschrieben hat. Salvatore ist noch im Herbst, knapp vor der Abreise der Gräfin, mit dem Zug nach Wien gefahren und hat bei meinen Eltern um meine Hand angehalten. Im Frühling sind dann meine Eltern aus Wien zur Hochzeit gekommen. Es war ein schönes Fest. So ist aus dem Zimmermädchen aus einfachen Verhältnissen die Ehefrau des bedeutenden Beamten Salvatore Zabini geworden, so kam ich von der Donau an die Adria.«
Fedora lachte. »Irgendwie ganz ähnlich klingt meine Geschichte. Nur bin ich nicht aus Wien nach Triest gekommen, sondern aus einem kleinen Dorf im Karst. Auch ich habe einen Mann in bedeutender Stellung geheiratet.«
»Welchen Rang hat er inne?«
»Zweiter Offizier.«
»Respekt.«
»Seine Zeit auf der Bohemia ist bald zu Ende. Im Lloydarsenal stehen zwei Dampfer vor der Fertigstellung. Er ist als Erster Offizier für die Baron Beck vorgesehen. Im Spätsommer wird er mit dem neuen Dampfer die Jungfernfahrt unternehmen.«
»Ein Seemann durch und durch.«
»Das ist mein Carlo.«
Heidemarie fasste Fedora ins Auge. »Signora Cherini, erlauben Sie ein persönliches Wort?«
Fedora bemerkte den geänderten Tonfall, sie zog die Augenbrauen hoch. »Ja, natürlich.«
»Sie gehen ein sehr hohes Risiko ein.«
»Was meinen Sie?«
»In den fast vier Jahrzehnten, die ich nun schon in Triest lebe, habe ich viele Frauen kennengelernt, deren Männer zur See gefahren sind. Ich habe manche gesehen, die mit der Zeit des Alleinseins gut zurechtgekommen sind, andere wieder weniger. Und ich habe auch gesehen, dass manche Frau von ihrem Mann verstoßen worden ist. Nicht wenige Ehen sind gescheitert. Der Mann versank in der Trunksucht, die Frau im Elend, die Kinder lebten auf der Straße, einige gerieten auf die schiefe Bahn. Das meine ich mit Risiko.«
Fedora umklammerte mit beiden Händen die Tasse und schaute auf den Rest von Kaffee darin. »Hat Bruno geplaudert?«
»Nein, nicht geplaudert, aber mein Sohn kann mir nichts verheimlichen. Ich sehe doch, wie das Leben seinen Lauf nimmt. Und als ich ihn direkt fragte, hat er mir eine klare Antwort gegeben. Er hat nicht gelogen.«
»Werden Sie Gerüchte in den Umlauf bringen?«
»Niemals! Hören Sie, Signora Cherini, ich bin mittlerweile neunundfünfzig Jahre alt, ich habe manches im Leben gelernt. Ja, ich war auch einmal jung und viele Männer haben sich für mich interessiert. Eine blonde Wienerin in Triest, eine Zeit lang war ich das Stadtgespräch. Ich habe so manche Liebesbriefe vor meinem Mann verstecken müssen, aber ich hatte das Glück, dass er kein Seemann war. Oder das Pech, je nachdem, wie man es nimmt. Die eine oder andere interessante Liaison ist mir dadurch entgangen, aber die Kinder, das Haus und ein gewisses Guthaben sind mir geblieben. Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will?«
»Ich glaube, ja.«
»Nehmen Sie das bitte ernst. Ich habe Frauen gesehen, die an einem Tag noch in geordneten Verhältnissen gelebt haben und am nächsten Tag im Armenhaus gelandet sind. Oder bei den Dirnen. Gerade wir Frauen geraten durch gescheiterte Ehen in die Armut. Das ist unser Schicksal.«
»Im Armenhaus möchte ich nicht landen.«
»Deswegen seien Sie stets auf der Hut. Als Frau eines Seemannes wird man in Triest von den anderen Frauen argwöhnisch beobachtet.«
»Wem sagen Sie das! Meine Schwiegermutter lauert wie ein Fuchs.«
»Sie, Signora Cherini, sind eine auffällig schöne Frau. Schönen Frauen wird immer hinterhergeschaut.«
»Ja, das kann ich bestätigen.«
»Bruno wird regelrecht hitzig, wenn er sie trifft.«
»Ich werde auch hitzig, wenn ich ihn treffe. Vor allem, wenn mein Mann gerade auf See ist.«
»Ich habe meinen Sohn scharf ins Gebet genommen. Ich bin ein bisschen enttäuscht von ihm, dass er nicht geheiratet hat und Kinder großzieht, aber damit habe ich mich abgefunden. Zum Glück hat meine Tochter mir Enkel geschenkt. Ich weiß nicht, was ich in seiner Erziehung falsch gemacht habe. Er will nicht heiraten, er will frei bleiben, er will sich nicht binden. Das hat er mir so gesagt. Schön und gut, er ist ein erwachsener Mann und trifft seine eigenen Entscheidungen. Aber dass er Sie in Gefahr bringt, Signora Cherini, das kann ich nicht tolerieren. Das nehme ich ihm sehr übel.« Heidemarie war laut geworden. Sie entdeckte einen Hauch von Schwermut in Fedoras Miene. Oder war es Verzweiflung? Heidemarie war sich nicht sicher.
»Gehen Sie mit Bruno nicht zu hart ins Gericht. Auch er geht ein Risiko ein.«
»Allerdings. Die einmalige Affäre mit einer verheirateten Frau sieht die Öffentlichkeit einem Mann leicht nach, selbst einem Beamten, aber ein andauerndes Verhältnis ist schon wieder etwas anderes. Das erregt Ärger.«
»Ich habe großes Vertrauen in ihn.«
»Aber, Signora Cherini, muss das sein? Muss es wirklich sein, dass Sie einen Liebhaber haben?« Jetzt war sich Heidemarie sicher. Es war tatsächlich eine Spur von Verzweiflung in Fedoras Miene.
»Vielleicht ist es ein Dämon.«
Heidemarie spitzte die Ohren. »Ein Dämon?«
»Ja. Meine Großmutter würde sagen, ich wäre verhext. Sie hat bis zu ihrem Tod an Hexen und Geister geglaubt.«
»Werden Sie von einem Dämon verfolgt?«
»Bruno hilft mir, den Dämon