Ich setze mein süßestes Hab-alle-Lehrer-lieb-Lächeln auf. »Aber Herr Brüllaff… Brüll-Lafer. Es gibt doch gar nichts zu melden. Sie haben gesagt, ich soll anhalten – und zack, halte ich an! Sie haben mich ans Fahrradfahrverbot erinnert! Dafür bin ich Ihnen zutiefst dankbar! Sie haben mich auf den rechten Weg zurückgeführt. Das ist toll. Wenn Sie mich trotzdem zum Direktor bringen wollen, gerne, ich werde ihm sagen, dass kein Lehrer so ein guter Schulhofaufseher ist wie Sie! Absolut super! Vorbildlich! Sie könnten locker auch als Gefängniswärter arbeiten! Bewundernswert!«
Brüllaffe starrt mich kopfschüttelnd an. Dann seufzt er und sagt: »Felix, Felix, Felix … wo soll das nur mit dir enden?!«
Von den vielen Merkwürdigkeiten in meinem Leben ist das eine der merkwürdigsten: Die meisten Erwachsenen nennen mich nicht einfach nur Felix. Stattdessen sagen sie meinen Namen immer gleich dreimal hintereinander: Felix, Felix, Felix … oft gefolgt von einem Ts, ts, ts … Wie kommt das nur?
Will Brüllaffe gerade eine süßsaure Antwort geben. Aber plötzlich bringe ich kein Wort mehr heraus. Liegt daran, dass sie gerade an uns vorbeigeht. Delphine. Sie trägt ein geblümtes Sommerkleid und bei jedem Schritt wippen ihre Locken hin und her. Ich fühle mich, als würde ich mit Helium aufgepumpt – um dann als menschlicher Luftballon vom Boden abzuheben! Völlig überirdisch. Sie ist einfach ein Traum! Ein Lottogewinn! Das Mädchen aller Mädchen!
Übrigens geht Delphine immer weiter, was dazu führt, dass ich meinen Hals um ungefähr 270 Grad verdrehe. Anatomisch unmöglich. Aber die Liebe macht bekanntlich alles möglich …
Als Brüllaffe allerdings wieder etwas sagt, ruckt mein Hals zurück in seine korrekte Position. Boing und Doppelboing.
»Felix? Alles in Ordnung mit dir? Du siehst … blass aus.«
»Hatte nur gerade eine Erscheinung. Habe einen Engel gesehen.«
»Einen Engel?«
»Vergessen Sie es, Herr Brüllaffe. Muss jetzt übrigens zum Unterricht. Schönen Morgen noch!«
Flitze slalommäßig weiter. Brüllaffe braucht eine Sekunde, um sich aus seiner Erstarrung zu lösen. »Felix! Ich heiße Brüll-Lafer! Nicht Brüllaffe! Außerdem ist Fahrrad fahren auf dem Schulhof verbooo… ach, was soll’s. Du machst ja doch, was du willst.«
7.
Es gibt verschiedene Arten, wie man verliebt sein kann. Voll verliebt und halb verliebt, zum Beispiel. Der Unterschied ist nicht so kompliziert.
Voll verliebt bist du, wenn du bei jedem Atemzug, jedem Herzschlag, jedem Fußjucken und jedem Nasekratzen an das eine Mädchen oder den einen Jungen denken musst.
Halb verliebt hingegen bist du, wenn du den ganzen Tag an irgendetwas denkst, dir am Abend beim Zähneputzen aber zufällig einfällt: »Ach stimmt, bin ja verknallt. Hab ich doch glatt vergessen …«
Beides hat Vor- und Nachteile. Voll verliebt ist wie Panik, aber in schön. Ist aber auch total anstrengend. Halb verliebt ist eher langweilig, kostet dafür aber nicht so viel Kraft.
Außerdem gibt es nah verliebt und fern verliebt. Das ist im Moment mein Problem.
Nah verliebt bist du, wenn du das Mädchen, um das es geht, gut kennst. Du bist befreundet mit ihm, verbringst Zeit mit ihm – und so ganz nebenbei bist du außerdem noch total verliebt.
Das hat so seine Tücken.
Aber es ist nichts im Vergleich zu fern verliebt. Denn das bedeutet, dass du mit dem Mädchen, um das es geht, noch nie ein Wort gewechselt hast. Sie weiß nicht einmal, dass es dich überhaupt gibt. Trotzdem weißt du, dass sie die eine ist, ohne die dein ganzes Leben keinen Sinn hat.
So geht es mir im Moment mit Delphine.
Sie weiß nicht, wer ich bin.
Sie weiß nicht, wie ich heiße.
Sie weiß nicht einmal, dass ich existiere.
Trotzdem schmelze ich jedes Mal Eiscreme-in-der-Sonne-mäßig dahin, wenn ich sie sehe.
Darum ist die Party heute Abend ja so wichtig. Denn danach wird hoffentlich alles anders sein.
8.
Stehe immer noch wie erstarrt vor den Fahrradständern, als mich plötzlich eine Stimme aus meinen Träum-von-Delphine-Gedanken reißt. »Ey, Checker. Was los? Hat dich Prinzessin Elsa frozen gemacht oder was? Stehst da wie Salzsäure.«
»Es heißt Salzsäule. Nicht Salzsäure«, erkläre ich. Gleichzeitig erscheint ein Ohr-zu-Ohr-Grinsen auf meinem Gesicht. Vor mir steht niemand anderes als mein bester Freund Musti.
Er grinst ebenfalls. »Egal oder was? Mach dich flüssig, Gringo. Müssen los. Unterricht fängt an.«
Musti heißt eigentlich Mustafa und ist genauso alt wie ich. Er besteht aus gut zwei Zentnern Körpermasse, die er durch die tägliche Gabe von jeder Menge Schokoriegeln, Döner, Kuchen und anderen Kalorienbomben in Form hält. Er ist der beste, treueste, witzigste Freund, den man sich nur wünschen kann.
»Unterricht? Als wenn mich das interessieren würde! Stell dir vor, ich habe sie gesehen. Sie ist direkt an mir vorbeigegangen. Und sie hat gelächelt!«
»Die Barracuda-Tante?«
»Wieso Barracuda? Sie heißt Delphine!«
Musti grinst wie ein Halloween-Kürbis. »Meine ich doch, irgendwas mit Fischen.«
»Sie ist ein Engel, Musti! Ich war noch nie so verliebt wie in sie. Noch nie!«
Musti winkt ab. »Genauso wie damals bei Charlene, richtig? Oder bei Nina Kamphagen? Bei Marie? Azra? Lena? Bente? In all die Girls warst du auch jedes Mal so verliebt wie noch nie!«
»Pah. Das war etwas anderes. Bei Delphine weiß ich, dass sie die Richtige für mich ist! Sogar die Doppelrichtige!«
Musti schiebt sich einen Schokoriegel in den Mund, kaut drauf rum und zieht dann die Verpackung aus dem Mund. Macht er immer so.
Dabei sieht er mich nachdenklich an. »Mal echt jetzt ehrlich, Checker. Du hast noch kein einziges Wort mit dieser Makrele gewechselt, oder?«
»Delphine! Sie heißt Delphine!«
»Dann halt