»Dann sagen Sie mir, wie ich meinen Bruder erreichen kann. Wenn Sie seinen Anrufbeantworter abgehört haben, dann werden Sie auch mitbekommen haben, dass es pressiert. Ich muss mit ihm reden, andernfalls werden wir einen Anwalt einschalten.«
»Um Gottes willen, nein, tun Sie das nicht … Das geht nicht, ich …, Frieder …«
So ging das nicht weiter. Das sah nicht nur Bettina so, sondern auch Thomas, denn der schaltete sich jetzt ein.
»Frau … Rosskamp, Sie sind hergekommen, um mit meiner Verlobten zu reden. Aber es geschieht nichts, das einzige, was Sie herausbekommen, ist eine Stammelei. Also, reden wir jetzt mal Tacheles. Frieder ist nicht da, Frieder weiß nichts von unseren Anrufen, doch von der Bürgschaft …«
»Das weiß er auch nicht so genau«, unterbrach sie ihn, ihr Gesicht war mittlerweile so rot wie eine überreife Tomate.
Als sie bemerkte, wie wenig befriedigend ihre Gastgeber diese Antwort fanden, sah sie wohl ein, dass sie endlich mit der Wahrheit herausrücken musste, auch wenn ihr das unbeschreiblich schwer fiel.
»Ich …, ich arbeite bei … Frieders Hausbank und bin für die Kreditvergabe im Geschäftskundenbereich zuständig … In dieser Position habe ich Frieder auch kennen
gelernt … Es war zunächst einmal nur …, na ja, so richtig wahrgenommen hat er mich nicht. Ich mein als Frau. Als es für ihn immer schwieriger wurde Kredite zu bekommen, da hat er mich mal eingeladen, weil ich noch etwas für ihn durchbekommen hatte …«, sie machte eine kurze Pause, Bettina wollte sie schon auffordern weiterzusprechen, aber da fing sie von selbst wieder an. »Diese Einladung hatte nichts mit mir zu tun, darüber war ich mir klar, denn ich kannte seine Exfrau und hatte ihn auch mehrfach mit seiner Exfreundin gesehen …, zwischen denen und mir liegen Welten.«
»Aber vom Typ her ähneln Sie sowohl Mona als auch seiner ehemaligen Freundin«, bemerkte Bettina. Das Wort Beuteschema ließ sie in dem Zusammenhang weg. Das wäre zu gemein.
»Hm, ja, ein wenig vielleicht, aber im Verhältnis zu seiner Exfrau bin ich wohl eher so was wie eine Mona Fahrenbach der Vorstadt …, aber egal, wie dem auch sei. Wir gingen zusammen essen. Ich wusste, dass es für Frieder eine Pflichtübung war. Aber es war dann doch ein schöner Abend, obschon er ganz schrecklich drauf war. Er begann von sich zu erzählen, und ich hörte ihm zu …, so begann es mit uns. Im Grunde genommen war ich anfangs nicht mehr als so was wie sein Seelenklo. Aber dann kamen auch bei ihm Gefühle auf, und irgendwann waren wir zusammen.«
Am liebsten hätte Bettina ihr gesagt, dass sie wegen Mona und diesem anderen getunten Geschöpf keine Minderwertigkeitskomplexe haben sollte. Sie war auf jeden Fall sympathischer.
»Möchten Sie nicht doch etwas trinken?«, erkundigte sie sich, denn das schien nun doch eine längere Geschichte zu werden.
Diesmal nahm Nele Rosskamp an.
»Ja, gern, vielleicht ein Wasser, wenn Sie haben.«
Bettina wollte aufstehen, aber Thomas winkte ab.
»Lass mal, Liebes, das mache ich schon. Möchtest du auch etwas trinken?«
Sie lächelte ihn an.
»Ich nehm auch ein Wasser«, sagte sie.
Thomas ging ins Haus, die beiden Frauen schwiegen, bis Nele schließlich sagte: »Ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt, und auch den Fahrenbach-Hof, den hat Frieder ganz anders geschildert. Dabei ist es wunderschön hier.«
»Frieder mochte den Hof und auch das Dorf nie«, sagte Bettina. »Er fand es grauenvoll, wenn wir in den Ferien herkamen, und sobald es möglich war, hat er sich permanent geweigert, herzukommen.«
»Aber er hätte den Hof gern geerbt«, sagte Nele. »Und normalerweise hätte es auch so sein müssen. Frieder ist schließlich der Älteste, aber Sie waren ja der Liebling Ihres verstorbenen Vaters, und deswegen hat er Ihnen den Hof mit allem, was dazu gehört, zugeschoben. Frieder sagt, es ist ein gigantisches Vermögen. Allein die Seegrundstücke machen Sie zu einer mehrfachen Millionärin, das selbst wenn Sie nur einen Teil verkaufen. Frieder sagt, dass er und die beiden anderen Geschwister nur einen Bruchteil dessen geerbt haben von dem, was Ihnen da zugeschustert wurde.«
Bettina kochte innerlich vor Wut. Aber sie zwang sich, nach außen hin ruhig zu erscheinen. Die Frau konnte schließlich nichts dafür, die konnte nur nachplappern was ihr vorgekaut worden war.
»Was Frieder Ihnen da erzählt hat, entspricht nicht ganz der Wahrheit. Den Fahrenbach-Hof wollte niemand von meinen Geschwistern haben. Sie haben mich, weil nur er für mich übrig geblieben war, sogar allesamt bedauert. Im Wert gestiegen ist der Besitz erst, nachdem alles Bauland geworden war …, nur davon habe ich nichts. Es handelt sich hier um etwas, was seit vielen Generationen im Familienbesitz ist. Die Fahrenbachs haben noch niemals etwas verkauft, sondern es für die nächste Generation bewahrt. Und auch ich, liebe Frau Rosskamp, werde es nicht anders handhaben. Eine Fahrenbach zu sein, das bedeutet Verantwortung. Wir alle sind nur auf der Durchreise hier. Ich möchte nicht, dass über mich einmal gesagt wird, dass ich das Erbe nicht gut verwaltet habe.«
Sie verzog das Gesicht, na klar, der von ihr angebetete Frieder hatte ihr ganz andere Geschichten erzählt. Und prompt kam auch eine davon.
»Der Fahrenbach-See ist gigantisch groß. Frieder sagt, dass es überhaupt nicht ins Gewicht fällt, wenn man ein Stückchen davon bebaut.«
Aha, diese Nummer mit dem Seegrundstück, das er unbedingt hatte haben wollen, um dort einen Hotelkomplex mit Tennis- und Golfplatz, eigenem Yachthafen, einem gigantischen Wellnessbereich zu errichten. Daher rührte ja der Ärger, deswegen sprach er unter anderem nicht mehr mit ihr.
»Sie irren sich, Frau Rosskamp. Schon ein Stückchen Veränderung würde das ganze Ökosystem zerstören. Wir haben am See seltene Tiere und Pflanzen, die anderen Orts längst ausgestorben sind. Und es ist das Erholungsgebiet für die Fahrenbacher und die Urlauber, die sich hier überall in der Umgebung erholen.«
»Und deswegen verzichten Sie auf einen Batzen Geld? Es mag ja sein, dass Ihre Vorfahren alles bewahrt haben, aber da hatten Sie nur einen See und viel Land, das im Grunde genommen nichts wert war. Ich weiß nicht, ob Sie heute nicht doch wankend geworden wären.«
Bettina hatte genug.
»Ich glaube, Frau Rosskamp, darüber sollten wir uns den Kopf nicht zerbrechen, und deswegen sind Sie auch nicht hergekommen. Es geht um die Bürgschaft. Schon vergessen?«
Thomas war zurückgekommen. Er hatte für sich einen Kaffee gekocht, deswegen hatte es auch länger gedauert.
Als Bettina der köstliche Duft des Kaffees in die Nase stieg, ärgerte sie sich insgeheim. Sie hätte besser auch einen Kaffee nehmen sollen, als einfach Wasser zu sagen, weil Nele Rosskamp es sich bestellt hatte.
Sie hatte es nur nachgeplappert ohne zu überlegen.
»Und jetzt ärgerst du dich, weil du dir nicht auch einen Kaffee bestellt hast«, drang seine Stimme in ihre Gedanken hinein. »Du kannst meinen haben. Ich trink dann eben das Wasser.«
Er schob ihr die Tasse zu, und Bettina konnte es wieder einmal nicht fassen, dass ihr Tom ganz einfach fühlte, wusste, wie es um sie stand, ohne dass da etwas gesagt werden musste.
»Ich weiß nicht«, sagte sie, schielte aber dennoch bereits voller Verlangen auf die nun vor ihr stehende Tasse.
»Trink ihn«, forderte er sie auf. »Ich könnte mir ohne weiteres einen neuen Kaffee machen, wenn ich denn wollte. Ich musste dafür schließlich nicht in ein fremdes Land reisen, sondern nur in unsere Küche gehen, die nur ein paar Meter entfernt ist. Ich kann es also jederzeit wieder tun. Wasser ist für mich schon okay.«
Da zierte sie sich nicht länger, warf ihm einen schmachtenden Blick zu, ehe sie ganz genüsslich etwas von ihrem leckeren Kaffee trank, seinem Kaffee.
Dann stellte sie die Tasse ab und wandte sich wieder Nele zu, die ebenfalls etwas von ihrem Wasser getrunken hatte.
»Die