Lassen Sie uns zu meinem Gedankenexperiment mit der ruchlosen Neurochirurgin und ihrem unglückseligen Patienten zurückkehren. Es sollte die „illusionistischen“ Wissenschaftler schockieren und dazu bringen, über die Gefahr nachzudenken, dass sie der Gesellschaft ernsthaften Schaden zufügen. Vielleicht war es nicht fair; vielleicht sind die Ähnlichkeiten zwischen ihren Behauptungen und den skrupellosen Äußerungen der Neurochirurgin zu oberflächlich. Lassen Sie uns genauer hinschauen. Zunächst einmal hat die Neurochirurgin absichtlich gelogen, hat sich einen groben Scherz erlaubt, während die Illusionisten die Wahrheit sagen wollen. Das macht einen riesigen, aber keinen hinreichenden Unterschied. Wenn mein Gedankenexperiment von einer irregeführten Neurochirurgin gehandelt hätte, die ernsthaft davon überzeugt ist, die Entscheidungen ihres Patienten kontrollieren zu können, indem sie in ihrem Labor Hebel hin und her bewegt, wären ihre Aussagen immer noch bedauerlich und rechtlich gesehen sogar fahrlässig, sofern sie für ihre Überzeugungen keine gute Evidenz vorweisen kann. Unsere Illusionisten sollten sich also dennoch über die Aussicht Gedanken machen, dass sie mit ihren Ankündigungen vorschnell gehandelt und voreilige Schlüsse gezogen haben aus dem, was ihre Wissenschaft tatsächlich zeigt, und zwar speziell angesichts der möglichen düsteren Folgen für diejenigen, die ihnen glauben.
In der Tat waren sie vorschnell, da sie die Bedeutung eines Details in der Geschichte der Neurochirurgin übersehen oder unterschätzt haben, das kein Gegenstück in der wissenschaftlichen Fundierung ihrer Überzeugung hat: Auf schockierende Weise schädlich an ihrer Aussage war weniger der Teil darüber, dass das Gefühl des Patienten, sein Wille sei frei, eine Illusion sei, sondern ihre spezifischere Behauptung, dass sie selbst seine Entscheidungen kontrolliere. Aus diesem Grund wäre er – wenn sie die Wahrheit gesagt hätte – tatsächlich kein moralisch verantwortlicher Akteur mehr gewesen: Seine Agentenschaft wäre von der Agentenschaft einer anderen Person usurpiert worden.
Wir kümmern uns alle zu Recht darum, unsere Integrität als Entscheider aufrechtzuerhalten, damit wir für die Handlungen, die unser Körper ausführt, verantwortlich sein können – mit anderen Worten, damit wir keine Marionetten sind, deren Handlungen unter der Kontrolle eines anderen stehen. Viele philosophische Gedankenexperimente zur Willensfreiheit setzen genau einen solchen Puppenspieler (oder eine ruchlose Neurochirurgin) voraus, der (oder die) heimlich jemanden so verdrahtet hat, dass er seine (oder ihre) Befehle ausführt. Womöglich ist die Moral all dieser Schauergeschichten folgende: Selbst dann, wenn es keinen eigentlichen Puppenspieler gibt, zeigt die Tatsache, dass unser Verhalten von verschiedenen Merkmalen unserer Umgebung verursacht wird, die von unserem Wahrnehmungsapparat und im Gehirn verarbeitet werden, dass es genauso gut einen Puppenspieler geben könnte. (Die Umschlaggestaltung von Sam Harris’ kleinem Buch Free Will18 zeigt eine Menge Marionettenfäden.) Aber dieses Fazit ist ein klarer Fehlschluss. Wenn die „Kontrolle“ durch Ihre Umgebung Ihr gut funktionierendes Wahrnehmungssystem und ihr gesundes Gehirn durchläuft, gibt es nichts zu befürchten; es ist doch nichts wünschenswerter, als durch die Dinge und Ereignisse um uns herum veranlasst zu werden, wahre Überzeugungen über sie zu generieren, deren wir uns dann bei der Modulierung unseres Verhaltens zu unserem Vorteil bedienen können! Photonen, die in meinen Augen ein Abbild der Luftbläschen im Watt erzeugen, bringen mich wahrscheinlich dazu, nach meinem Muschelrechen und einem Korb zu greifen und anzufangen zu graben. Wenn dies ein Fall ist, in dem ich von meiner Umgebung kontrolliert werde, dann bin ich sehr dafür. Und wie die meisten Menschen fühle ich mich nicht bedroht oder manipuliert, wenn meine Freunde mir kostspielige Mahlzeiten anbieten in der vollen Gewissheit, dass ich außerstande sein werde, der Versuchung zu widerstehen, sie zu essen.
Wir können den Unterschied zwischen der alltäglichen Welt und einer Welt voller lauernder geheimer Akteure (oder Puppenspieler) klarer sehen, wenn wir ihn schrittweise aufbauen.
Fall 1
Mein Arzt, den ich sehr gut kenne und dem ich vertraue, rät mir, zum Frühstück Kleieflocken zu essen, weil dies der beste Weg sei, meinen Cholesterinwert zu senken. Diese audiovisuelle Erfahrung bewirkt, dass ich zum Supermarkt laufe und mir Kleieflocken kaufe.
Fall 2
Im Supermarkt entscheide ich mich, neue Frühstücksflocken auszuprobieren. Obwohl ich noch nie von Kleieflocken gehört habe, nehme ich eine Packung aus dem Regal und lese mir sorgfältig alle Informationen darauf über ihren Nährwert und pikanten Geschmack durch (in Gelb hervorgehoben). Da ich sehe, dass sie – dem Namen nach – von einer angesehenen Firma hergestellt werden, die für ihre Ehrlichkeit bekannt ist, entscheide ich mich, der Information zu vertrauen. Ich kaufe eine Packung Kleieflocken.
Fall 3
Im Supermarkt entdecke ich im Regal eine Packung Kleieflocken mit einem reizenden Foto von Cameron Diaz darauf. Ich kaufe die Packung.
Fall 4
Im Supermarkt nähere ich mich einer Packung Kleieflocken, die einen versteckten Mikrochip-Sender enthält, der den Nucleus accumbens in meinem Gehirn optimiert. Ich kaufe eine Packung Kleieflocken.
In jedem dieser Fälle verursachen einige Merkmale der Umgebung und ihre Reizung meines Nervensystems, dass ich eine Packung Kleieflocken kaufe. Darüber hinaus gibt es in jedem Fall den Versuch, meine Wahl durch andere Akteure zu beeinflussen. Aber während die ersten beiden Fälle offen meine Rationalität ausnutzen und mir Gründe dafür liefern, warum ich den Kauf tätigen sollte, umgehen die nächsten beiden erfolgreich meine Rationalität. Fall 3 mag ernsthaft manipulativ sein bei einer sehr naiven und behüteten Person, aber ich bin kein Hinterwäldler; ich weiß alles darüber, wie die Firmen Sexappeal benutzen, um ihre Sachen zu verkaufen, und so entscheide ich mich in Fall 3 dazu, dem nachzugeben, sozusagen als Belohnung für den guten Geschmack, den die Firma bewiesen hat! Der Hauptunterschied zwischen den Fällen 3 und 4 besteht darin, dass ich in Fall 4 nicht die leiseste Ahnung habe, dass überhaupt ein Manipulationsversuch stattfindet. Bedenken Sie: Sollten solche Mikrochip-Verführer die Welt verseuchen, werden wir uns alle nach Gegenmaßnahmen umsehen, nach Geräten, die die geheimen Verführer entdecken und entwaffnen, damit wir unsere Integrität als rational Handelnde aufrechterhalten können. Es gibt – und das war schon immer so – ein Wettrüsten zwischen Verführern und ihrer Zielgruppe oder den Opfern, die sie im Visier haben, und die volkstümlichen Überlieferungen sind voll von Geschichten über Unschuldige, die auf die Schmeicheleien von Überredungskünstlern hereingefallen sind. Diese Überlieferungen sind Teil der Verteidigungsstrategie, die wir an unsere Kinder weitergeben, so dass sie sich davor wappnen können. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder zu Marionetten werden! Wenn die Hirnforscher uns erzählen, dass das nichts bringe – weil wir bereits Marionetten seien, die von der Umgebung kontrolliert werden –, dann machen sie einen großen Fehler und richten möglicherweise Schaden an.
Zauberkünstler wissen, wie sie Sie mit „psychischer Kraft“ dazu bringen, („aus freiem Entschluss“) genau die Karte vom Stapel zu nehmen, die Sie nehmen sollen. Es gibt viele Methoden, alle subtil und schwer zu erkennen, und ein wirklich guter Zauberkünstler schafft es meistens. Dies ist eine echte Beschneidung Ihrer Agentenschaft, eine Manipulation, die Sie zu einem Werkzeug macht, einem Pfand, einer Verlängerung des Willens des Magiers, nicht zu einem freien Akteur. Ist die Welt demnach bloß ein allumfassender Zauberkünstler, der auf psychischem Wege alle unsere Entscheidungen erwirkt? Das scheinen die „illusionistischen“ Wissenschaftler zu sagen, aber es ist Nonsens. Es braucht echtes Können, um psychische Kräfte auszuüben, und tollpatschige Versuche sind leicht zu entdecken und zu entwaffnen. Wenn Sie eine Karte aus dem Stapel eines Zauberkünstlers nehmen, sollten Sie über die Aussicht informiert sein, dass Ihre Wahl erzwungen wurde, aber wenn Sie eine Muschelschale am Strand aufheben, müssen Sie sich nicht sorgen (außer in bizarren, aber vorstellbaren Szenarien), dass irgendein Akteur Sie manipuliert. Natürlich muss an der Muschel etwas dran sein, das Sie dazu bringt, diese statt einer anderen aufzulesen, na und? Entweder gibt es einen speziellen Grund (Sie suchen nach bläulichen Muscheln, die genau so aussehen, oder diese ist ganz besonders schön, oder sie eignet