Kaum ist der Boden geräumt und der Rohbau fertig, stehen andere davor und wollen rein. Die vor der Tür sagen, wir sind mit euch verwandt, aber wir wollen nicht wie ihr werden. Die hinter der Tür sagen, daß ihr mit uns verwandt seid, daran können wir uns, wenn es unbedingt nötig ist, erinnern, trotzdem, ihr müßt erst werden wie wir, dann könnt ihr auch hier rein und mit uns leben. Da die vor der Tür Frauen und hinter der Tür Männer sind, krachts, es bleibt nur Asche und in der Sage ein großer Held.14
Als eigenen Text sah Schleef in diesem Vierteiler vor allem den Asylanten-Chor, der vermutlich schon 1989 entstanden war. Zumindest diesen Chortext konnte er später doch noch zur Aufführung bringen, am Schluss seiner Inszenierung Wilder Sommer nach Goldonis Trilogie der Sommerfrische am Wiener Burgtheater (1999). Die letzte Szene (II/24) war zunächst so konzipiert, dass nach dem Streit zwischen Vater (Bernardino) und Sohn (Bruno), während die wohlhabenden Urlauber noch auf das versprochene Schiff warten, schließlich ein Sturm aufzieht und das Schiff plötzlich „in die Szene“ kracht: „Die Schiffsinsassen kriechen hervor / sammeln sich wie die ersten Menschen“.15 In der Aufführung wurde das Bühnenbild der letzten Szene unvermittelt von Mitgliedern des Chores gestürmt, die panisch nach vorne rennen. Sobald sie zu sprechen beginnen, wird es dunkel und für etwa drei Minuten ist nur der Asylanten-Text zu hören. Nachdem das Saallicht angeht und der Chor vor dem mit einem Himmel bemalten Vorhang ganz nah am Publikum steht, wird ein Epilog gesprochen, der den raschen Untergang des Schiffes und damit des „großen Glückes“ beklagt. Der Schluss des Entwurfs mit einer abschließenden „Menschen-Jagd“ lässt vermuten, dass Schleef auch hier mit den Asylanten als dem eigentlichen Personal eines Theaters der Tragödie noch viel mehr geplant hatte, womöglich eine Ausweitung der Perspektive, die auch die Zuschauer zugleich als Urlauber und Asylanten, Einheimische und Fremde, Täter und Opfer, Männer und Frauen, Spekulanten und Ausgebeutete, Voyeure und Betroffene adressiert hätte.
Auch in dieser Inszenierung erschien der Chor, wie Schleef es in Droge Faust Parsifal als Grundprinzip der Tragödie beschreibt, ausgestoßen, heimatlos, Asyl einfordernd. Mit seiner Formel für die Haltung der Danaiden hat Schleef also nicht nur den ethischen Konflikt einer notwendigen Überforderung der aufnehmenden Gesellschaft auf den Punkt gebracht, sondern zugleich die rituelle Wirksamkeit von Hikesie als Performance eines Chors im Theater. Ob diese Impulse weitergewirkt haben? Die bei Schleef stets auch politisch relevante Funktion von Chören, den Konflikt mit solistischen Schauspielern und zugleich mit dem Publikum hervorzurufen, wurde in den letzten Jahren aufgegriffen, oft aber nur mit dem äußerlichen Effekt einer mehr oder weniger virtuosen Selbstbehauptung von Darstellergruppen. Dabei fehlte die Spannung, die in Schleefs Arbeiten gerade aus der Konfrontation mit der biographischen Erfahrung von Flucht und Fremdheit resultierte. Vermittelt über Christine Groß, die bei vielen Schleef-Produktionen selbst beteiligt war, fand der tragische Chor allerdings noch ein ganz anderes Asyl – in den Splatter-Comedies von René Pollesch.16 Anfang 2019, da wäre Schleef 75 geworden, gab es am Berliner HAU das von Groß geleitete Chorprojekt Tarzan rettet Berlin, in dem ein Chor aus nicht binär-geschlechtlichen AkteurInnen schließlich auch den Geschlechterkrieg vorübergehend außer Kraft setzte, mit Texten aus Schleefs Tagebüchern.
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