Im Bad begrüßt mich die große Winkelspinne. Wie zur Hölle kommt dieses dicke Biest ständig ins Haus?
„Gib es zu“, spreche ich sie an. „Du hast einen Schlüssel.“
Sie schweigt würdevoll, räumt aber freiwillig die Badewanne. Soll ich sie ein weiteres Mal rauswerfen oder sogar den Schuh benutzen? Draußen blitzt es und gleich darauf kracht ein Donnerschlag.
„Okay, du kannst bleiben.“ Angesichts des Scheißwetters zeige ich mich großmütig. „Der Kühlschrank gehört allerdings mir.“
Ich mache mich vorzeigefertig, kleide mich in ein blassrosa Hemd und den dunkelbraunen Anzug. Die passende braune Krawatte mit roséfarbenem Rautenmuster ist schnell aus der Schublade gefischt. Den Windsor-Knoten kann ich blind und in Rekordzeit schlingen. Mit der Bürste aus echten Wildschweinborsten richte ich die Frisur und danach bin ich bereit, mich der Menschheit zu stellen. In der Küche koche ich Kaffee und trinke ihn, während ich mir ein paar Sandwiches fürs Büro zubereite. Die packe ich zusammen mit den vorabendlichen Notizen in eine schlichte Ledertasche, die ich von meinen Eltern zur Beförderung zum Detective Inspector geschenkt erhalten habe. Sie sind furchtbar stolz auf ihren Sohn, der bei der Polizei arbeitet. Ich habe noch eine Schwester namens Paisley. Sie ist in einem Brautmodengeschäft tätig. Seit ihrer Hochzeit im letzten Jahr lauern unsere Eltern auf Enkelkinder. Na, meinen Segen haben Paisley und Steve. Von mir aus können die beiden eine ganze Fußballmannschaft in die Welt setzen.
Wo ist eigentlich der Regenschirm? Erneut ärgere ich mich, dass Fremde meine Koffer ausgeräumt haben. Einige Dinge muss ich deswegen suchen, weil ich keine Ahnung habe, wo sie gelandet sind. Den Schirm entdecke ich Minuten später unter der Treppe hinter einer Tür, wo sich obendrein ein Bügelbrett und das dazugehörende Eisen befinden. Bislang ist mir diese Tür überhaupt nicht aufgefallen. Sie verbirgt einen praktischen Stauraum, indem man allerhand sperriges Zeug lagern kann. Oder einen Harry Potter. Als Letztes schlüpfe ich in meinen Trenchcoat, knöpfe ihn sorgfältig zu, hänge mir die Tasche über die Schulter und schnappe den Schirm. Dermaßen gewappnet trete ich in das Sommergewitter hinaus. Tja, Nathan wird heute gewiss nicht am Dach weiterarbeiten können.
Wie eine Primaballerina tänzle ich an den Pfützen und den völlig verschlammten Stellen vorbei, um mir nicht die Schuhe zu ruinieren. Zum Glück wird der Weg zum Dorfzentrum hin besser.
„Ah! Guten Morgen, Mr. Culpepper.“
Das Knurren, das diesen fröhlichen Gruß begleitet, muss Fairchilds furchtbarem Hund gehören.
„Guten Morgen, Mr. Fairchild. Was für ein grauenhaftes Wetter.“
Er lacht, obwohl ihm der Regen regelrecht vom Schlapphut pladdert.
„Es gibt kein schlechtes Wetter. Man ist höchstens falsch angezogen.“
Da kann man getrost geteilter Meinung sein.
„Wollen Sie bei Holland frühstücken?“
„Heute nicht. Ich habe mir etwas eingepackt“, entgegne ich.
„Ach? Haben Ihnen die Pfannkuchen gestern etwa nicht geschmeckt?“
„Die waren sehr lecker. Das Problem liegt eher darin, dass ich bald zum Dienst rollen werde, wenn ich die jeden Tag esse.“
Mr. Fairchild zieht ein belustigtes Gesicht. „Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel.“
Das sagt er, obwohl er selbst von schlanker Statur ist.
„Einen schönen Tag, Mr. Fairchild.“
„Ihnen auch. Komm, Harvey.“
Nach einem letzten Knurren trabt der Hund seinem Herrn hinterher. Beide verschwinden in den Regenschleiern. Ein weiteres Donnerkrachen treibt mich vorwärts. Ich will ins Trockene und zwar schnell. Plötzlich hält ein Wagen neben mir. Es ist Nathans Sprinter.
„Hüpf rein! Ich fahre dich ins Büro.“
Weit ist es ja nicht mehr, das heißt, die Fahrt lohnt sich nicht wirklich. Allerdings kann ich das Angebot, ein paar Minuten mit Nathan zu verbringen, nicht ausschlagen. Also hocke ich gleich darauf auf dem Beifahrersitz und gurte mich vorschriftsmäßig an.
„Hi“, sage ich leise.
„Hi.“ Er mustert mich.
„Ich tropfe dir alles nass.“
„Macht nichts. Das trocknet ja wieder.“
Stille.
„Wenn deine Augen noch länger auf mir verweilen, muss ich Miete verlangen.“ Ich probiere einen Scherz, weil mir sein Starren allmählich unangenehm wird.
„Entschuldige.“ Nathan fährt an und konzentriert sich auf die Straße, während die Scheibenwischer auf Hochtouren laufen. „An deinem Dach kann ich heute leider nicht arbeiten.“
„Dachte ich mir schon. Was soll’s. Gegen das Wetter kann man nichts machen und ich will ja nicht, dass du ausrutschst und vom Dach fällst. Zumindest regnet es dank dir nicht mehr rein.“
Ein kleines Lächeln hebt Nathans Mundwinkel. „In dem Fall sind die Schüsseln im Schlafzimmer überflüssig geworden?“
Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. „Du warst in meinem Schlafzimmer?“
„Ich habe nur kurz hineingeschaut, weil ich hoffte, dass man vom Flur aus aufs Dach kommt, was leider ein Trugschluss war. Na ja …“ Nathan zuckt mit den Schultern. „Die Tür stand halt offen.“
„So, so.“ Ich grinse mir eins.
„Alastair, ich habe bestimmt nicht an deinen Höschen geschnüffelt!“
„Jedes weitere Wort, das du jetzt sagst, kann gegen dich verwendet werden. Wer sind eigentlich SIE?“
Nathan wirft mir einen raschen Blick zu. „Der Versuch, mich zu überrumpeln, fruchtet nicht.“
„Schade.“ Ich habe es einfach probieren müssen. „Warum diese Geheimniskrämerei?“
Nathan hält, um einem anderen Wagen die Vorfahrt zu ermöglichen.
„Alastair, bitte! Es schüttet wie aus Eimern. Ich muss mich auf die Straße konzentrieren, sonst gehören wir zu den nächsten Unglücklichen, die einen Unfall erleiden.“
Hä?
Der Wagen steht. Nathan ist nicht einmal angefahren. Was soll das dann mit dem Unfall?
Halt!
Will er mir etwa einen Hinweis geben? Fürchtet er sich, deutlicher zu werden?
Die Nächsten, die einen Unfall erleiden … Und wie er Unfall betont hat. Da steckt mehr dahinter oder ich fresse einen Besen. George wird zusätzliche Recherchearbeit bekommen.
„Nathan?“
„Ja?“
„Könntest du mich irgendwo hinfahren, wo ich einen Handyempfang habe, bevor du mich beim Büro absetzt?“
Er legt den Gang ein und fährt los. „Na klar.“
„Das ist sehr freundlich von dir.“
Nathan verzieht das Gesicht. „In Bloomwell hilft man einander.“
„Oh ja. Den Spruch habe ich bereits zu hören bekommen. In diesem Dörfchen überschlägt sich jeder förmlich, um jemandem seine Hilfe anzubieten. Ich wette, am Jahresende gibt es vom Bürgermeister Bones einen Preis für den aufopferndsten Einwohner. Oder ist das eine Aktion des Pfarrers und läuft unter der Rubrik Nächstenliebe?“
Offenbar liege ich mit meinem Sarkasmus nicht allzu weit daneben, denn Nathan schweigt.
„Gehört