Ich wage nicht, ihn nach meiner Kleidung zu fragen. Ich kann froh sein, dass er mir den Mantel gelassen hat. Ich friere jetzt erbärmlich. Ich muss zusehen, dass ich nach Hause komme. So schnell ich in meinen Stöckelschuhen kann, eile ich nach Hause. Als ich um die Ecke unseres Hauses biege, sehe ich mich noch einmal um. Er steht immer noch da, wo er mich vorhin untersucht hat. Meine Kleidung hält er in der Hand. Das ist also mein neuer Chef. Klasse … Schöne Aussichten …
Dann verschwinde ich im Hauseingang. Jetzt brauche ich dringend ein heißes Bad.
***
Eine Woche später
Endlich sind die Prüfungen geschafft. Trotz des heftigen Endspurts habe ich ein gutes Gefühl. Es könnte reichen. Doch ER gönnt mir keine Verschnaufpause. Nur einen Tag durfte ich feiern. Dann soll ich meinen neuen Dienst antreten.
Ich habe dieses seltsame Bewerbungsgespräch verdrängt. Was sollte das? Ich soll für Beschwerden zuständig sein. Gut und schön. Ich war noch nie auf den Mund gefallen und diplomatisch und charmant kann ich auch sein. Also alles kein Problem. Nur … Warum wollte mich dieser Bachmann dann nackt sehen? Noch dazu draußen in der Eiseskälte der Februarnacht. Das war sicher ein Test. Aber wofür sollte er gut sein? Dass ich gut gebaut bin, konnte man auch vorher schon erkennen. Auch ohne dass ich mich ganz ausziehe. Aus meinem Herrn habe ich nichts herausbekommen. ER hüllt sich in Schweigen. Und ich habe nicht gewagt, nachzubohren. Denn es kann leicht ins Auge gehen, wenn ER sich von mir genervt fühlt.
ER hat mich zu meiner neuen Arbeitsstätte gebracht. Wieder trage ich nur die leichte Kleidung. Sprich ein Lederbustier, den Minirock. Natürlich ohne Unterwäsche. Wer braucht so was? Diesmal darf ich nicht einmal Strümpfe tragen. Schöner Mist. Dabei wirbeln draußen die Flocken und es schneit wie verrückt. Wir stehen vor dem Restaurant. Es ist fünf Uhr. In einer halben Stunde öffnet es: »THE DARK HOUSE«. Ein seltsamer Name. Ist das ein Lokal der besonderen Art? Plötzlich kribbelt es mich. Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter.
Mein Herr wird schon unwillig, weil ich nicht aussteigen mag: »Jetzt raus hier … Ich hole dich nach Feierabend wieder ab.«
»Danke, mein Herr.«
Draußen empfängt mich die kalte Winternacht. ich glaube, ich bin im Umkreis von 2000 km die einzige, die so luftig bekleidet draußen herumläuft. Denn ER hat mir verboten, meinen Pelzmantel anzuziehen. Als ich die Eingangstür erreiche, bin ich schon völlig durchgefroren. Was ist das für ein Scheißspiel? Wofür soll das gut sein? Doch Gott sei Dank muss ich nicht lange warten. Die Tür geht auf und ich stolpere hinein.
Das Restaurant liegt im Halbdunkel. Kerzen flackern. Echte Kerzen. Die Räume sind wie die Halle einer Ritterburg gestaltet. Es sind grobe Tische. Allerdings scheinen die Stühle recht bequem zu sein. An der Wand hängen Schilde und Waffen, wie sie die alten Rittersleute getragen haben. Und noch etwas sticht mir sofort ins Auge, weil es eigentlich gar nicht zur sonstigen Einrichtung passt: Überall im Raum sind große Bildschirme verteilt. An der Rückseite des Gastraums befindet sich eine große Bar und direkt daneben eine große Feuerstelle. Über glühender Holzkohle dreht sich ein großes Spanferkel. Ein köstlicher Duft liegt in der Luft.
»Ah, da bist du ja endlich!«
Schon wieder dieser leichte Vorwurf. Es handelt sich um meinen neuen Chef. Wie hieß der noch? Bachmann? Bachmeier? Er ist ganz in Schwarz gekleidet. Schwarze Hose. Schwarzes Hemd, bei dem die oberen drei Knöpfe offen stehen. Er trägt eine dicke Goldkette und das weit geöffnete Hemd gibt einen interessanten Einblick auf seine muskulöse Brust. Viele Haare spitzen heraus. Ein sehr interessanter Mann.
»Du hast mich Herr B. zu nennen. Hast du das verstanden?«
»Ja. Ja, Herr B.«
Er nickt. Offenbar ist er zufrieden. Ich beginne langsam wieder aufzutauen, aber so richtig wohl fühle ich mich trotzdem nicht.
»Folge mir.«
Er führt mich durch die Tischreihen in die Mitte des Restaurants. Da ist eine freie Fläche. Etwas erhöht. So ähnlich wie ein Boxring, nur ohne die Seile. Etwa fünf mal fünf Meter. Ein greller Scheinwerfer leuchtet die Fläche aus. In der Mitte befinden sich ein Pult und ein Barhocker.
»Das ist dein Platz. Hier wartest du, bis du gerufen wirst. Bei deinem ersten Einsatz werde ich dich noch begleiten, dann erwarte ich, dass du selbstständig arbeitest. Hier ist dein Buch mit deinen Arbeitsnachweisen.«
Er reicht mir ein dünnes Buch mit Ledereinband. Ich schlage es auf. Darin steht auf einer Seite oben vermerkt mein Name. Darunter gibt es in einer weiteren Zeile ein Feld für das Datum. Darunter: Name des Gastes, Art der Beschwerde, vom Complaint Girl eingeleitete Maßnahme, ein Unterschriftsfeld für mich. Und dann abgesetzt ein Unterschriftsfeld für den Gast, der sich beschwert hat, in dem er bestätigt, dass er von mir vollständig zufriedengestellt wurde. Ferner erhalte ich einen Stapel mit verschlossenen Kuverts. Sie sind durchnummeriert, von eins bis fünfundzwanzig.
Das ist ja ein komischer Zirkus. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wenn die es so wollen, dann bitte. Ich setze mich auf den Barhocker. Herr B. befiehlt mir, mein Bustier ein wenig zu öffnen, damit man meine Reize gut erkennen kann. Ich soll mich so setzen, dass mich das Publikum auch gut sehen kann. Und dann muss ich warten. Der Raum füllt sich. Die Gäste strömen nur so herein. Es wird hektisch. Die Bedienungen flitzen mit Getränken und Speisen umher.
Plötzlich piept etwas leise hinter mir. Ich blicke mich um und sehe in Leuchtschrift aufleuchten: Tisch 34.
Kurz darauf steht Herr B. neben mir. »Komm, es gibt eine Beschwerde. Vergiss dein Buch nicht. Und nimm auch das Kuvert mit. Das oberste mit der Nummer 1.«
Ich folge ihm durch den Raum. Schließlich bleibt er stehen und deutet auf einen Tisch schräg vor uns. »Diese Gäste haben eine Beschwerde. Kümmere dich jetzt um sie. Dazu nimmst du die Daten auf und überreichst dem Kunden das Kuvert.«
Es handelt sich um ein Paar. Er dürfte etwa fünfzig Jahre alt sein. Elegant angezogen. Kantiges Gesicht. Was mir sofort auffällt, sind seine buschigen Augenbrauen. Er fixiert mich mit einem stechenden Blick. Ich fühle mich auf Anhieb unwohl. Seine Begleiterin ist deutlich jünger als er. Vielleicht dreißig, maximal fünfunddreißig. Sie trägt schwarz. Ein schwarzes T-Shirt, das ihre weiblichen Formen schön betont.
Dann fällt es mir auf. Es sticht mir ins Auge. Um den Hals trägt sie ein schwarzes Lederhalsband mit einem Ring aus Metall. So ist sie als Sklavin markiert. Jeder Insider weiß es. Sie hält auch den Blick gesenkt, sieht mich nicht an. Was hat das zu bedeuten? Fürs Erste nur, dass ich mich an ihn halten muss.
Ich trete an den Tisch heran. »Mein Name ist Susanna. Wie kann ich Ihnen helfen? Ich bin hier zuständig für Beschwerden.«
Im Augenwinkel kann ich sehen, wie Herr B. hinter mir Aufstellung genommen hat und mich streng beobachtet. Was ich sage, wie ich mich verhalte.
Der Mann am Tisch schweigt mich an. Sein durchdringender Blick lässt mich frösteln.
Ich fahre fort, mein Sprüchlein aufzusagen, das man mir vor Dienstantritt eingetrichtert hat. »Es ist unser Bestreben, dass wir hier in unserem Haus nur zufriedene Gäste haben. Wenn etwas nicht in Ordnung war, dann bürge ich persönlich dafür, es in Ordnung zu bringen. Es ist mein Bestreben, es ist unser aller Bestreben, dass Sie unser Haus als zufriedener Gast verlassen.«
»So … Sie bürgen also dafür? Persönlich?«
Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl. Was soll diese Frage? Ich muss erst mal herausfinden, was denn los war. Und so klappe ich mein Buch auf. Das mit dem Lederumschlag. Das Kuvert habe ich zwischen den ersten Seiten eingeklemmt.
»Darf ich mich nach Ihrem Namen erkundigen? Und auch, was im Detail nicht wunschgemäß gelaufen ist?«
Seine Stimme hat eine gewisse Schärfe angenommen, als er mir die gewünschten Auskünfte erteilt. Er musste scheinbar zu lange auf seine Bestellung warten. Ich spüre, dass er ungeduldig wird wegen diesem