Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Rainer Huhle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Huhle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783863935313
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zweite letztlich nicht beantwortete Frage war die nach dem Endziel der NS-Eroberungspolitik. Bezog sie sich auf „die Weltherrschaft“ oder auf ein europäisches Imperium? Was das Ziel im Kern ideologisch (Rassenpolitik, Antibolschewismus) oder eher klassisch imperialistisch? Welchen Wandlungen war diese Politik unterworfen? Auch solche Fragen musste sich Jackson als Strafverfolger nicht unbedingt stellen. „Die genauen Grenzen ihres Ehrgeizes brauchen wir nicht zu umschreiben, denn ein Angriffskrieg war und ist gegen Vertrag und Gesetz, gleichgültig ob es um einen großen oder einen kleinen Einsatz geht“, erklärte er.80 Sie werden aber relevant, wenn es ihm darum geht, das Einmalige des NS-Angriffskriegs auch im Vergleich zu anderen Eroberungskriegen herauszuarbeiten, zumal wenn er im Sinne der Verschwörungsanklage die Zielgerichtetheit und das Element einer verbrecherischen Planung im großen, staatlichen Maßstab zeigen will, das, was er als „Verbrechen gegen die Gemeinschaft der Völker“81 bezeichnet. Dies war nicht unproblematisch, denn Nazi-Deutschland war nicht der erste Staat, der zum Großreich werden wollte. Bei ihrer völkerrechtlichen Legitimierung der nationalsozialistischen Expansionspolitik hatten sich Hitler selbst82 und namhafte NS-Juristen wie Carl Schmitt,83 Friedrich Berber84 oder auch der Nürnberger Verteidiger Hermann Jahrreiß85 nicht zuletzt auf die US-amerikanische Monroe-­Doktrin bezogen, die sie von der Postulierung einer Einflusssphäre zu einer imperialen Großraumpolitik in Analogie zur NS-Eroberungspolitik umfälschten.

      Jackson konzentrierte sich hier jedenfalls, streng in der Rolle des Juristen, darauf, die Kombination von Planung, verbrecherischen Zielen und gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Wucht herauszuarbeiten, mit der Deutschland den Krieg plante und durchführte. Der Rechtsbegriff, den er dafür in das IMT einführte, ist die „Verschwörung zur Führung eines Angriffskrieges“.

      „Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.“

      In der Nürnberger Rede setzt Jackson die Betonungen anders. Die Bedenken, dass durch eine von der Kriegsverschwörung losgelöste Anklage von NS-Verbrechen gegen deutsche Juden oder Oppositionelle ein auch für die Ankläger gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werden könnte, werden nicht mehr ausgesprochen. Stattdessen werden diese Verfolgungen ausführlich vorgetragen, um die ganze Grausamkeit der Angeklagten zu illustrieren. Aber sie bleiben eingebettet in den großen verschwörerischen Plan der Nazis, den “Nazi Plan”.

      Die Vorstellung von einer umfassenden Verschwörung zur Begehung der NS-Verbrechen war ein zentrales Anliegen von Jacksons Anklage. Wie ein roter Faden durchzieht Jacksons Anklage die Rede von einem gemeinsamen Plan und überhaupt von Plan und Plänen:

      „Es ist nicht meine Aufgabe in diesem Prozeß, mich mit den einzelnen Verbrechen zu beschäftigen. Ich habe mich mit dem gemeinsamen Plan oder der Absicht des Verbrechens zu befassen und will mich nicht bei einzelnen Verstößen aufhalten. Ich habe nur zu zeigen, in welchem Umfange sich diese Verbrechen zugetragen haben; und ferner, daß diese Männer hier in den verantwortlichen Stellen waren, daß sie die Pläne und die Entwürfe erdacht haben, für