Täuscht nicht! Wenn du erst mal die Fünf vorne in der Zahl deiner Lebensjahre hast, kommst du viel klarer zu dem Punkt, dass man nichts mehr aufschieben darf. Du weißt aus Erfahrung: Wenn du deine Träume nicht realisierst, nur weil die Umstände nicht wirklich passen oder du niemanden als Begleitung findest, dann verpasst du einfach was. Deswegen: So oft wie nötig, so oft wie möglich …
Gab es in deinem Leben einen konkreten Ausschlag zum Aufbruch, oder hat es sich einfach entwickelt, dass du immer wieder losziehst?
Es gibt einen Kalenderspruch, den ich eine ganze Weile gelebt habe: „Ein voller Terminkalender ist noch kein erfülltes Leben.” — Der Terminkalender war wirklich voll und das Leben nicht wirklich erfüllt. Ich musste ausbrechen, die Routine durchbrechen, wollte mehr erleben, als Geld zum reinen Selbstzweck zu verdienen …
Aber dazu muss man der Typ sein, glaube ich. Man muss tatsächlich einen großen Drang spüren, aus dem Alltag raus zu wollen, denn es ist oft schwierig, sich zu verabschieden.
Ja, man muss echt bereit sein, Risiken einzugehen. Du musst halt dieses „unternehmerische” Denken in dir haben. Im Beruf, um dich organisieren zu können – aber eben auch draußen, um etwas unternehmen zu wollen.
Es gibt für mich oft viel Gegenwind aus meinem Umfeld für die Pläne, so oft und lange weg sein zu wollen …
Bei manchen Daheimgebliebenen oder Kunden gibt es eine Mischung aus Unverständnis, offenem und verstecktem Neid, Missgunst …Aber davon darf man sich einfach nicht beeindrucken lassen!
Findest du das Aus- oder Aufbrechen auch anstrengend? Ich sage allen Neidern immer, dass es wirklich viel Kraft kostet, vorher und nachher doppelt so viel zu arbeiten, um sich die große Tour (zeitlich und finanziell) leisten zu können. Du bist ja auch selbstständig – geht es dir ähnlich?
Ja. Ich fange schon ein Jahr vor einer großen Tour an, meine Abwesenheit zu planen. Man muss sich tatsächlich freikämpfen und viel vorab organisieren. Trotzdem: Wenn man sich diese Auszeiten erarbeitet, hat man diese Freiheit wieder! Dann kann man entweder ein paar Tage unter der Woche in die Nähe fahren oder vier bis sechs Wochen am Stück zu außergewöhnlichen Touren aufbrechen. Man sollte sich nicht damit aufhalten, Ausreden zu finden, sondern seine Träume leben!
Was suchst du konkret, wenn du die Routine unterbrichst und immer wieder rausfährst, zum Beispiel öfter mal über ein verlängertes Wochenende?
Wir führen hier im gewohnten Umfeld doch schon ein recht durchgetaktetes und naturfernes Dasein. Oft suche ich einfach die Natur. Mich fasziniert, dass man bereits relativ nah grandiose Landschaften findet. Und auch dieses Gefühl, ganz im Hier und Jetzt zu sein, weil Natur ganz unmittelbar passiert: mit Sturm, Gewitter, einem Sonnenuntergang …Da macht man sich keine Sorgen um die Zukunft oder Vergangenheit, sondern taucht völlig in den Augenblick ein. Das genieße ich.
Findest du auch Inspiration auf deinen Reisen?
Ja, viele. Letzten Herbst habe ich zum Beispiel einen Wochenendausflug nach Rotterdam gemacht, weil ich auf der Suche nach kulturellem Input war. Dort habe ich mir – statt der Grachten – in Ruhe alle Kunst- und Designmuseen angesehen. Ich parkte auf einem Stellplatz am Industriehafen und konnte die Eindrücke abends schön gemütlich für mich rekapitulieren. Und mit diesen Inspirationen habe ich mir Gedanken über meine berufliche Entwicklung machen und wieder eine Entscheidung treffen können.
Ist diese Ruhe zum Denken der Grund für das Alleinreisen?
Auch, aber nicht nur. Es gibt einfach wirklich wenige Menschen, die bereit sind, in einem kleinen VW Bus unterwegs zu sein. Für die meisten ist es schlicht zu anstrengend, außerhalb der Komfortzone zu sein.
Ich kenne viele Varianten und entscheide mich bewusst oft für das Alleinreisen. Sehr gerne toure ich mit meinem Sohn, der viel Spaß an Roadtrips hat und eine tolle Begleitung ist. Aber er kann eben nur in den Ferien dabei sein. Vor einer Weile habe ich eine geführte Offroad-Tour als Gruppe mitgemacht und schnell festgestellt, dass diese Gruppenreisen nichts für mich sind. Der schönste Tag dieser Tour war für mich der, an dem jeder machen durfte, was er wollte. Endlich konnte ich in Ruhe Adler gucken, auf der summenden Almwiese sitzen, Mineralien suchen … Da reise ich wirklich lieber alleine und bin in meinem Rhythmus.
Das kann ich sehr gut verstehen.
Eine kleine Geschichte noch dazu: Letzten Sommer bin ich in Schweden mit einem Arbeitskollegen über einen See zu einer Insel gepaddelt. Wir haben das Zelt aufgebaut, ein Lagerfeuer angemacht, alles war schön, ein ruhiger Augustabend, Vogelgezwitscher – bis der Kumpel fragte: „Und jetzt?” Ihm fehlte das Entertainment, die Beschäftigung, das Bespaßtwerden. Aber das ist doch das, warum man überhaupt aufbricht: Man kommt zu sich, ist in Ruhe und kann sich mit sich auseinandersetzen.
Schon zu zweit ist man eine Gruppe und verschwendet relativ viel Energie mit Kompromisssuche und Diskussionen. Allzu oft reine Energieverschwendung! Da lebe ich lieber diese Friedlichkeit und Harmonie mit mir, dieses Einssein mit dem Bus. Man fährt so dahin, kann einfach irgendwo anhalten, Wildtiere beobachten, lange stehen bleiben – ganz ohne dass die Killerfrage kommt: „Und jetzt?”
Allerdings besteht die Gefahr, dass man diesen Alleinzustand so friedvoll und konfliktfrei findet und das so sehr genießt, dass man auch Freunde damit verliert, weil man eben „anders” wird.
Ja, das kenne ich: die Angst davor, zum wunderlichen Eremiten zu werden. Trotzdem verbringst du weiter Zeit allein auf Tour. Fehlt dir eigentlich beim Alleinreisen etwas?
Wenn man alleine losfährt, heißt es ja nicht, dass man sich allem entsagt. Ich nehme gute Bücher und Filme mit. Leckere Weine sind dabei, und ich kaufe gutes, lokales Essen, weil ich darauf viel Wert lege. Ich lasse es mir gut gehen.
Nur manchmal fehlt dann ein bisschen der Austausch. Beispielsweise wenn mich etwas begeistert: Mückenschwärme, die über der Straße tanzen; oder wenn du das geschäftige Treiben der vielen Bienen, Hummeln über den Wiesen beobachtest und dich erinnerst, dass es in der Kindheit auch so war …das möchte ich gerne mal nachklingen lassen. Über Eindrücke und Gedanken mit niemandem reden zu können, ist ein Minus bei Soloreisen. Aber damit diese Gespräche Spaß machen oder Bedeutung bekommen, braucht man sowieso einen Seelenverwandten.
Du suchst meistens die eher abseitigen Ziele. Sehr beeindruckt hat mich dein Trip im Bulli mit Aufstelldach zum Polarkreis. Im Winter!
Ja. Ich mag, dass die Natur kein Instagram-Feed ist. Sie ist nicht einfach nur schön, spektakulär, gefährlich, bedrohlich, sondern das, was du darin wirklich erlebst. Man muss in abgelegenen Ecken schon aufpassen, gerade wenn man alleine unterwegs ist. Am Polarkreis konnte ich beispielsweise bei minus 20 Grad mit starkem Wind keine großen Wanderungen machen, weil es alleine einfach zu gefährlich gewesen wäre. Es war wirklich eiskalt. Dann saß ich da am Seeufer mit meinem Tee …Das Frieren war in diesem Moment nicht toll, aber das völlige Alleinsein in einer so ursprünglichen Umgebung, wo sonst nur Samen und Rentiere leben, war sehr beeindruckend. Ich habe gespürt, welch unbedeutend kleines Licht ich in dieser Natur bin.
Wenn ich auf Tour bin, frage ich meine zufälligen Gesprächspartner sehr gerne nach dem Sinn ihres Lebens – und es ist spannend und inspirierend, welche Antworten ich bekomme. Ganz spontan: Hast du (vielleicht durch das Reisen) den Sinn deines Lebens schon gefunden?
Das ist eine große Frage. Ich glaube, es geht nicht immer nur darum, möglichst viel Spaß zu haben, oder um die eigene Erfüllung. Ich empfinde es für mich und mein Leben als sehr sinnvoll, Respekt vor der Natur zu haben, auch vor den Mitmenschen, der Tierwelt, vor anderen Lebensformen, und diese Achtung weiterzugeben. Sei es an die eigenen Kinder, an Mitreisende oder vielleicht auch nur, indem man den eigenen Stellplatz ganz selbstverständlich vom Müll – auch dem des Vorgängers – befreit.
Respekt und Achtung vor der Natur.
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