Ein zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, das am 7. April 1933 verkündet wurde, führte das Amt der von Hitler bestellten Reichsstatthalter ein. In Preußen übernahm Hitler selbst diesen Posten. Das Reichsstatthaltergesetz vom 30. Januar 1934 band die Statthalter an die Weisungen der Reichsregierung und machte sie damit zu Beamten des Reiches. Das Recht auf Bestellung der Länderregierungen wurde ihnen entzogen, sie konnten dem Führer nur noch Namen vorschlagen. So wurden die Reichsstatthalter zu bloßen Galionsfiguren. Freilich war das Amt gut bezahlt und ging an verdienstvolle Parteifunktionäre. Selbst nationalsozialistischen Juristen erscheint es nunmehr unmöglich, die verfassungsmäßige Lage der Länder genau zu definieren. Das beste, was sie bisher zustandebrachten, war die Aussage, daß die Länder bis zur endgültigen territorialen Neugestaltung des Reiches als Übergangseinrichtungen bestehen blieben.37
Dieselben Theoretiker, die einst forderten, alle Macht in den Händen des Reichspräsidenten zu vereinigen, hatten es nun genau so eilig, seine Stellung auf die einer reinen Repräsentationsfigur zu beschränken. Ein Jurist formulierte das sehr hübsch: »Nachdem in den vergangenen Jahren infolge des Versagens des Parlaments das Schwergewicht der Reichspolitik sich auf den Reichspräsidenten verlagert hatte, konnte nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus der Reichspräsident sich wieder aus der Verflechtung in die Tagespolitik freimachen und in seine verfassungsmäßige Stellung als Repräsentant der völkischen Einheit und Schirmherr der Nation zurückkehren.«38 Ein anderer, etwas vorsichtigerer Autor erklärt, der Reichspräsident habe seine autoritäre Führung nicht an Hitler abgetreten, sondern eine neue Funktion, die des Repräsentierens, übernommen.39 Der rapide Abbau der Präsidialgewalt wurde eindeutig gesetzlich dokumentiert, insbesondere mit dem Gesetz, das das Amt des Reichsstatthalters schuf. Die Reichsstatthalter wurden nicht dem Befehl des Reichspräsidenten, sondern dem des Reichskanzlers unterstellt40: Der Reichsstatthalter »hat die Aufgabe, für die Beobachtung der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien der Politik zu sorgen.« So wurde der Reichspräsident, der einst der starke Mann gewesen war, zum bloßen Aushängeschild, hinter dem die unumschränkte Macht des Führers stand.
4. Der totalitäre Staat im Krieg
Vor Ausbruch des gegenwärtigen Krieges hatte die Konzentration der politischen Macht in den Händen der Reichsregierung ein sehr hohes Stadium erreicht. Die Institution der Reichsstatthalter und die Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung, welche die Gemeindeorgane auf den Status von Behörden des Reiches reduzierten, verliehen der Reichsregierung die volle Macht über die gesamte politische Struktur Deutschlands bis hinunter zur kleinsten territorialen Einheit. Diese Macht wurde nur von den Verwaltungsgerichten und der Rechtsprechungspraxis eingeschränkt.
Bei Kriegsausbruch wurde die politische Macht indes noch viel stärker konzentriert. Der Reichsrat für die Reichsverteidigung wurde zum Ministerrat für die Reichsverteidigung umgebildet (wie selbst die Frankfurter Zeitung in ihrer Ausgabe vom 1. Januar 1941 zugeben mußte, war über Zusammensetzung und Aufgaben des Reichsrates nichts bekannt). Der Ministerrat hat die Gesetzgebungsbefugnisse der Regierung im wesentlichen übernommen. Er besteht aus Reichsmarschall Göring, seinem Vorsitzenden, dem Stellvertreter des Führers, Heß, dem Chef der Reichskanzlei, Lammers, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, Frick (auch Innenminister) und dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft, Funk (auch Wirtschaftsminister). In Sonderfällen dürfen auch andere Personen hinzugezogen werden. Die Bildung des Ministerrates für die Reichsverteidigung ist gleichbedeutend mit der Errichtung eines Generalstabes der Zivilverteidigung und der Wirtschaft. Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft (Funk) ist der Vorgesetzte der Minister für Wirtschaft, Arbeit, Ernährung, Forsten und sogar Finanzen; die Minister für Justiz, Inneres, Kultur und Angelegenheiten der Kirchen unterstehen dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung (Frick). Nichts gibt ein klareres Bild von der Umkehrung der überholten liberalen Formen als die Degradierung des Finanzministers. Fiskalpolitische Erwägungen können die Durchsetzung der notwendigen Verwaltungs- und Wirtschaftsmaßnahmen nun nicht mehr verhindern. Der große Einfluß, den das Schatzamt hatte und in England nach wie vor hat, ist immer ein Hindernis für die Durchführung vieler notwendiger Aufgaben gewesen. In der neuen Verwaltungshierarchie ist der Finanzminister schlichtweg zu einem untergeordneten Beamten geworden.
Der Ministerrat ist in praktisch allen Fällen der normale Gesetzgeber. Seine Anordnungen haben Gesetzeskraft und bedürfen nicht der Gegenzeichnung durch den Führer, denn er halte sich, wie die Frankfurter Zeitung (10. Januar 1941) schreibt, im Krieg oft in seinen Hauptquartieren außerhalb der Hauptstadt auf. Der Ministerrat regelt alle Angelegenheiten, die direkt oder indirekt mit der Verteidigung des Staates zusammenhängen. Diese Klausel schränkt natürlich in keiner Weise seine Autorität ein.
Die Verordnungen des Ministerrates können sich freilich nicht auf alle Einzelheiten erstrecken. Im ordentlichen wie im vereinfachten Gesetzgebungsverfahren sind die Einzelheiten gewöhnlich Durchführungsbestimmungen vorbehalten, die der jeweils zuständige Minister verkündet. Eine ähnliche, aber weitergehende Machtbefugnis ist mit den Durchführungsvorschriften verbunden, die zum Zwecke der Ausführung oder Weiterführung gesetzgeberischer Akte des Ministerrates erlassen werden können.
Die Generalbevollmächtigten für Wirtschaft und Reichsverwaltung sowie der Beauftragte für den Vierjahresplan (Göring) können, jeder in seinem Kompetenzbereich, aber mit Zustimmung der beiden anderen und des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Durchführungsverordnungen erlassen, die – und dies ist der neue Schritt – sogar von bestehenden Gesetzen abweichen dürfen. Die Autorität der Generalbevollmächtigten ist damit weit größer als die der Ministerialbürokratie, welche die Durchführungsverordnungen normalerweise formuliert. Als ein Ergebnis haben die Generalbevollmächtigten das Strafgesetzbuch und das Zivilprozeßrecht geändert.
Aber selbst mit dieser Entwicklung ist der Prozeß der Konzentration der Gesetzgebungsgewalt noch nicht beendet. Ein Führererlaß vom Januar 1941 ermächtigte den Reichsmarschall, selbständig alle Rechtsvorschriften und Verwaltungsanweisungen zu erlassen, die er für den Luftschutz für notwendig erachtet. Diese Ermächtigungsverordnung geht weiter als alle bisher gekannten.
Dem Führer stehen somit folgende Gesetzgebungsbefugnisse zur Verfügung:
1 Seine direkten Gesetzgebungsakte, entweder in Form eines Gesetzes, einer Verordnung oder eines Erlasses. Von der letztgenannten Form wird in zunehmendem Maße Gebrauch gemacht, wie bei der Eingliederung von Eupen-Malmedy und Moresnet in das Reich und der Ernennung von Reichskommissaren für Norwegen und die Niederlande. Ein weiteres Beispiel ist die Erweiterung des Vierjahresplanes. Die direkte Gesetzgebungstätigkeit des Führers hat sich jedoch vermindert.
2 Die vereinfachten Gesetzgebungsakte der Reichsregierung, gestützt auf das Notverordnungsgesetz von 1933; sie sind im Krieg praktisch aufgegeben worden.
3 Reichstagsgesetze; von diesen ist seit 1936 kein Gebrauch mehr gemacht worden, doch lassen sie sich für propagandistische Zwecke wieder einsetzen.
4 Die Volksabstimmung; ein weiteres Propagandawerkzeug.
5 Die Gesetzgebungsgewalt des Ministerrates für die Reichsverteidigung, des normalen Gesetzgebers.
6 Verordnungen des Triumvirats der Generalbevollmächtigten, zum Teil Durchführungsbestimmungen zur Verwirklichung von Gesetzgebungsakten des Ministerrates, zum Teil darüber hinausgehende Verordnungen. In diese Sparte fällt die Verordnungsbefugnis des Beauftragten für den Vierjahresplan.
7 Die Gesetzgebungsbefugnisse des Reichsmarschalls für den Luftschutz.
8 Die den Reichsministern in ihrem jeweiligen Kompetenzbereich übertragene Gesetzgebungsgewalt, die sich auf besondere Ermächtigungen stützt, und natürlich die große Zahl anderer Fälle von delegierter Gesetzgebung.
Die Konzentration der politischen Macht beschränkt sich nicht auf die höchste Ebene, sondern ist auch auf die Bezirksebene ausgedehnt worden. Eine Verordnung des Ministerrats vom 1. September 1939 bestimmte 18 Reichsverteidigungskommissare mit Sitz am Ort der 18 Wehrkreiskommandos. Sie sind die Vollzugsorgane des Ministerrates auf Bezirksebene.