Wahlbeobachtung – inzwischen weit verbreitet
Internationale Wahlbeobachtung spielt eine potenziell wichtige Rolle für die Transparenz und Integrität des Wahlgangs. Durch Wahlbeobachtung lassen sich Wahlunregelmäßigkeiten und Wahlmanipulationen nicht nur aufdecken, sondern möglicherweise auch vermeiden. Angesichts der Präsenz von Wahlbeobachtungsteams nehmen die politischen Kontrahentinnen und Kontrahenten gegebenenfalls von (allzu offenem) Wahlbetrug Abstand. Zum anderen können unabhängige Wahlbeobachtungsmissionen auch bezeugen, wenn die Wahlen hinreichend frei und fair abliefen. Der Ausweis, dass die Wahlen internationalen Standards genügten, kann die Legitimität der Wahlen stärken, gerade dann, wenn diese infrage gestellt wird. Vor allem in solchen Gesellschaften, in denen – beispielsweise nach Bürgerkriegen oder im Rahmen von Demokratisierungsprozessen – großes Misstrauen zwischen den kandidierenden Personen und Parteien herrscht, kann Wahlbeobachtung zur Vertrauensbildung beitragen. Gleiches gilt für Länder, in denen eine ausgeprägte politische oder gesellschaftliche Polarisierung einen demokratischen Wahlprozess erschwert. Selbst in etablierten Demokratien können Empfehlungen von Wahlbeobachtungsteams wahlrechtliche oder wahlorganisatorische Reformen anstoßen.
Die Vereinten Nationen entsandten bereits zwischen 1956 und 1990 rund 30, meist kleine Wahlbeobachtungsmissionen in die sich damals entkolonialisierenden Staaten Afrikas und Asiens. Doch die von den Vereinten Nationen überwachten Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung im November 1989 in Namibia, auf die im März 1990 die Unabhängigkeit des Lands folgte, bildeten vom Umfang her eine Zäsur: Die dortige United Nations Transaction Assistance Group umfasste 8.000 Personen.38 Es folgten die bis dahin international am besten beobachteten Wahlen in einem souveränen Staat: die Wahlen 1990 in Nicaragua, aus denen das sandinistische Revolutionsregime (1979 – 1990) nach siegreichen Wahlen 1984 überraschend als Verlierer hervorging und die Regierungsmacht abgab. Die Wahlen waren Teil des zentralamerikanischen Friedensprozesses39 und wurden nicht nur von den Vereinten Nationen beobachtet, sondern auch von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die zwischen 1962 und 1990 an mehr als 20 kleineren Wahlbeobachtungsmissionen in der Region teilgenommen hatte, sowie von etlichen weiteren internationalen NGOs, wie etwa dem Carter Center. Während sich die Vereinten Nationen im Laufe der 1990er Jahre zusehends aus der Wahlbeobachtung zurückzogen, war bei den darauffolgenden Wahlen 1996 in Nicaragua die OAS, die Europäische Union sowie eine kaum überschaubare Anzahl an internationalen Wahlorganisationen, NGOs, Stiftungen, Parteien, Botschaften und Abgeordneten vor Ort. Sie trugen erheblich zur Integrität der Wahlen und zur neuerlichen Akzeptanz der Wahlniederlage durch die Sandinisten bei.
Im Zuge der Demokratisierungsprozesse auch in anderen Weltregionen entwickelten weitere Institutionen eine kontinuierliche, professionelle Wahlbeobachtung. Im OSZE-Raum mit seinen 57 Teilnahmestaaten ist hier vor allem das Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR) der OSZE hervorzuheben. Es entsandte 1996 sein erstes Langzeitwahlbeobachtungsteam und hat bis Ende 2018 insgesamt 358 Beobachtungen von Wahlen und Referenden durchgeführt.40 Die EU wiederum schickte, beginnend mit einer Mission nach Russland im Jahr 1993, bis Ende 2019 insgesamt 197 Wahlbeobachtungsteams in sogenannte „Drittstaaten“.41
Mit dabei waren von Beginn an Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter aus Deutschland, da internationale Wahlbeobachtung schon früh als Instrument der Demokratisierungshilfe erachtet wurde.42 Deren Beteiligung wurde in den 1990er Jahren direkt über das Auswärtige Amt koordiniert, später übernahm das 2002 gegründete Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) die Rekrutierung und Ausbildung deutscher Wahlbeobachterinnen und -beobachter. Bis September 2019 vermittelte das ZIF insgesamt 4.242 Kurzzeit- und 534 Langzeitwahlbeobachterinnen und -beobachter an Wahlbeobachtungsmissionen von ODIHR und 366 bzw. 319 an jene der EU. Nicht einbezogen sind hierbei die direkt bei der OSZE oder der EU beschäftigten Personen. Darüber hinaus entsandten auch nicht staatliche Organisationen Wahlbeobachterinnen und -beobachter von Deutschland aus ins Ausland.
Entsandte Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter (ZiF)
ODIHR | Jahr 2002 | Jahr 2003 | Jahr 2004 | Jahr 2005 | Jahr 2006 | Jahr 2007 | Jahr 2008 | Jahr 2009 | Jahr 2010 | Jahr 2011 | Jahr 2012 | Jahr 2013 | Jahr 2014 | Jahr 2015 | Jahr 2016 | Jahr 2017 | Jahr 2018 | Jahr 2019* |
STOs | 141 | 269 | 441 | 252 | 189 | 217 | 191 | 168 | 272 | 138 | 195 | 239 | 234 | 213 | 323 | 187 | 276 | 297 |
LTOs | 15 | 32 | 34 | 25 | 24 | 27 | 31 | 18 | 33 | 19 | 38 | 19 | 31 | 31 | 47 |
27
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