Nun, nach diesem Fiasko ging ich in das Schlafzimmer und stellte auch dort meine Untersuchungen an. Es waren nur sehr wenige Blutflecken da, bloß kleine Spritzer und Verfärbungen, aber unzweifelhaft frisch. Den Stock hatte man entfernt, doch auch darauf waren nur geringe Spuren. Der Stock gehörte unstreitig unserem Klienten. Das gibt er zu. Auf dem Teppich konnten Fußspuren der beiden Männer ermittelt werden, aber keine von irgendeinem Dritten – wieder ein Stich für die andere Seite: Die erhöhten ständig ihre Punktzahl, und wir gingen leer aus.
Nur einmal leuchtete mir ein kleiner Hoffnungsschimmer – und doch kam nichts dabei heraus. Ich untersuchte den Inhalt des Safes, von dem das meiste herausgenommen und auf dem Tisch liegengelassen worden war. Die Papiere waren in versiegelte Umschläge gesteckt worden, von denen die Polizei einen oder zwei geöffnet hatte. Soweit ich es beurteilen konnte, waren sie nicht von allzu großem Wert, und auch das Kontobuch wies nicht darauf hin, daß Mr. Oldacre in sonderlich üppigen Verhältnissen gelebt hatte. Aber mir schien, daß nicht alle Papiere da waren. Es gab Hinweise auf einige – vermutlich wertvollere – Urkunden, die ich nirgends finden konnte. Wenn wir dies eindeutig beweisen könnten, ließe sich natürlich Lestrades Argument gegen ihn selbst verwenden; denn wer würde etwas stehlen, wenn er wüßte, daß er es in Kürze erben wird?
Nachdem ich jeden einzelnen Umschlag beschnüffelt und keine Witterung hatte aufnehmen können, versuchte ich schließlich mein Glück bei der Haushälterin. Sie heißt Mrs. Lexington, eine kleine, dunkle, schweigsame Person mit argwöhnischem und verstohlenem Blick. Wenn sie wollte, könnte sie uns etwas sagen – davon bin ich überzeugt. Aber sie hielt dicht. Ja, sie habe Mr. McFarlane um halb zehn eingelassen. Lieber hätte ihr die Hand verdorren sollen, ehe sie dies hätte tun sollen. Sie sei um halb elf zu Bett gegangen. Ihr Zimmer befinde sich auf der anderen Seite des Hauses, und sie habe von den Geschehnissen nichts hören können. Mr. McFarlane habe seinen Hut und, nach ihrem besten Wissen, auch seinen Stock in der Vorhalle gelassen. Sie sei erst von dem Feueralarm geweckt worden. Gewiß sei ihr armer, lieber Herr ermordet worden. Ob er Feinde gehabt habe? Nun, jedermann habe Feinde, aber Mr. Oldacre habe sehr zurückgezogen gelebt und nur geschäftlich mit anderen Leuten verkehrt. Sie habe die Knöpfe gesehen, und sie sei sicher, daß sie zu den Kleidern gehörten, die er letzte Nacht getragen habe. Der Holzstapel sei sehr trocken gewesen, da es seit einem Monat nicht mehr geregnet habe. Er habe gebrannt wie Zunder, und zu der Zeit, da sie dorthin gekommen sei, sei nichts anderes als Flammen zu sehen gewesen. Sie und sämtliche Feuerwehrleute hätten den Geruch brennenden Fleisches von dort wahrgenommen. Von den Papieren wisse sie ebensowenig etwas wie von Mr. Oldacres Privatangelegenheiten.
So, mein lieber Watson, da haben Sie meinen Bericht eines Fehlschlags. Und doch – und doch« – er ballte seine hageren Hände in einem Anfall von Selbstgewißheit – »weiß ich, die Sache stimmt vorn und hinten nicht. Ich spüre es in meinen Knochen. Irgend etwas ist noch nicht zur Sprache gekommen, und diese Haushälterin weiß es. In ihren Augen lag eine Art von schmollendem Trotz, der nur mit Schuldbewußtsein zu vereinbaren ist. Es hat jedoch keinen Sinn, noch länger darüber zu reden, Watson; aber falls uns nicht ein glücklicher Zufall weiterhilft, fürchte ich, wird der Fall des verschwundenen Baumeisters von Norwood nicht in jener Chronik unserer Erfolge vertreten sein, die, wie ich vorausahne, ein geduldiges Publikum früher oder später zu ertragen haben wird.«
»Wird nicht«, sagte ich, »die äußere Erscheinung unseres jungen Mannes bei jeder Jury viel bewirken?«
»Dies ist ein gefährliches Argument, mein lieber Watson. Erinnern Sie sich an den schrecklichen Mörder Bert Stevens, den wir 87 herausschlagen sollten? Hat es jemals einen schlichteren, sonntagsschulhafteren jungen Mann gegeben als ihn?«
»Sie haben recht.«
»Falls es uns nicht gelingt, eine andere Theorie zu begründen, ist dieser Mann verloren. Der Fall weist praktisch keinen Makel auf, der sich jetzt dagegen vorbringen ließe, und alle weiteren Ermittlungen haben nur dazu gedient, ihn zu bekräftigen. Übrigens gibt es da bei diesen Papieren eine kleine Merkwürdigkeit, die uns als Ausgangspunkt für eine Untersuchung dienen könnte. Als ich das Kontobuch durchsah, fiel mir auf, daß der niedrige Kontostand hauptsächlich auf hohen Schecks beruhte, die im Lauf des letzten Jahres an einen Mr. Cornelius ausgestellt wurden. Ich gestehe, es würde mich schon interessieren, wer dieser Mr. Cornelius sein mag, mit dem ein Baumeister im Ruhestand dermaßen beträchtliche Transaktionen durchführt. Ist es möglich, daß er bei der Sache seine Hand im Spiel gehabt hat? Cornelius könnte ein Makler sein, aber wir haben keine Wechsel gefunden, die solch hohen Zahlungen entsprechen würden. Mangels jeden anderen Hinweises muß ich meine Forschungen jetzt auf eine Erkundigung bei der Bank nach jenem Gentleman richten, der diese Schecks eingelöst hat. Doch ich fürchte, mein Lieber, unser Fall wird wenig ruhmreich damit enden, daß Lestrade unseren Klienten hängen läßt, was Scotland Yard gewiß zum Triumph gereichen wird.«
Ich weiß nicht, ob Sherlock Holmes in dieser Nacht überhaupt geschlafen hat, doch als ich zum Frühstück hinunterkam, fand ich ihn bleich und abgespannt, und seine hellen Augen wirkten durch die schwarzen Schatten um sie her noch heller. Der Teppich um seinen Sessel war mit Zigarettenstummeln und den Frühausgaben der Morgenzeitungen übersät. Auf dem Tisch lag ein offenes Telegramm.
»Was halten Sie davon, Watson?« fragte er und warf es mir hin.
Es kam aus Norwood und lautete:
Wichtige neue Beweise gefunden. McFarlanes Schuld eindeutig erwiesen. Rate Ihnen, Fall aufzugeben.
LESTRADE.
»Klingt bedenklich«, sagte ich.
»Es ist Lestrades mickriges Sieges-Kikeriki«, erwiderte Holmes mit bitterem Lächeln. »Und doch könnte es verfrüht sein, den Fall aufzugeben. Schließlich sind wichtige neue Beweise etwas Zweischneidiges: Sie könnten in eine ganz andere Richtung ausschlagen, als Lestrade sich vorstellt. Frühstücken Sie, Watson, und dann gehen wir gemeinsam los und sehen zu, was wir tun können. Ich habe das Gefühl, ich werde Ihre Begleitung und moralische Unterstützung heute nötig haben.«
Mein Freund frühstückte nicht; es war nämlich eine seiner Eigenarten, daß er sich in seinen gespannteren Momenten keinerlei Nahrung gestattete, und ich habe es erlebt, wie er seine eiserne Kraft so lange mißbrauchte, bis er vor schierer Auszehrung zusammenbrach. »Gegenwärtig kann ich für die Verdauung weder Energie noch Nervenkraft erübrigen«, pflegte er in solchen Fällen auf meine medizinischen Einwände zu antworten. Es überraschte mich daher nicht, als er diesen Morgen sein Mahl unberührt hinter sich ließ und mit mir nach Norwood aufbrach. Ein Haufen morbider Gaffer stand noch immer um Deep Dene House versammelt, das genau die vorstädtische Villa darstellte, die ich mir ausgemalt hatte. Im Tor begrüßte uns Lestrade, sein Gesicht von Siegesfreude gerötet, sein Gehabe mächtig triumphierend.
»Nun, Mr. Holmes, haben Sie uns schon einen Fehler nachgewiesen? Haben Sie Ihren Landstreicher gefunden?« rief er.
»Ich habe noch keinerlei Schlüsse gezogen«, erwiderte mein Gefährte.
»Wir haben aber die unseren bereits gestern gezogen, und heute stellen sie sich als richtig heraus; Sie müssen daher eingestehen, daß wir Ihnen diesmal ein wenig voraus waren, Mr. Holmes.«
»Sie gebärden sich freilich, als sei etwas Außergewöhnliches geschehen«, sagte Holmes.
Lestrade lachte lärmend.
»Sie mögen es genausowenig wie wir anderen auch, sich geschlagen geben zu müssen«, sagte er. »Ein Mann kann nicht erwarten, daß immer alles nach seinen Wünschen verläuft – oder, Dr. Watson? Kommen Sie hier lang, wenn ich bitten darf, Gentlemen, und ich denke, ich kann Sie ein für allemal davon überzeugen, daß John McFarlane dieses Verbrechen begangen hat.«
Er führte uns durch den Flur in eine dunkle Vorhalle.
»Hier muß der junge McFarlane herausgekommen sein, um nach der Tat seinen Hut zu holen«, sagte er. »Nun sehen Sie her.«