2 Jahre später. Regina Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regina Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962556426
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zu ihm gelegt, um ihn zu wärmen. Total logisch. Zumindest war es ihm gestern so vorgekommen.

      So ein Mist. Es war wirklich meine blöde Idee. Ich muss weg von hier, bevor er aufwacht.

      Einen Moment lang genoss er noch das leise Pochen von Kais Herzschlag am Ohr. Dann spannte er die Muskeln an, einen nach dem anderen, und erhob sich, Millimeter um Millimeter.

      Kai schlug die Augen auf.

      »Mwas?«, krächzte er. Sein Gesicht war blass unter der Sommerbräune. Verwirrt blinzelte er und schaute Arthur an. Arthur, der halb auf ihm hing, die Hände links und rechts von Kais Körper aufgestützt.

      »Äh, ich … glaube, ich wollte dich wärmen«, stotterte er und spürte, wie ihm die Röte in die Wangen kroch.

      »Was?« Kais Augenbrauen schoben sich zusammen. Zwei kleine Falten erschienen.

      »Ich hab mich zu dir gelegt, weil ich dich wärmen wollte. Du bist eingeschlafen. Und ich konnte dich nicht wecken.« Arthurs Gesicht war kurz vor dem Schmelzpunkt. »Und anscheinend dachte ich, es wäre eine supergute Idee, mich neben dich zu legen. Äh.«

      »Ach so.« Kai fuhr sich durch die Haare, die immer mehr einem sturmgebeutelten Vogelnest glichen. Dann blitzten seine Eckzähne auf. Dieses Lächeln war echt … süß. »Die Idee war nicht schlecht. Mir ist warm. Aber ich glaub, mein Arm ist eingeschlafen.«

      »Oh, sorry.« Arthur richtete sich auf. Kühle Morgenluft kroch unter seine feuchten Klamotten.

      »Schon gut.«

      Sie sahen sich um.

      »Wir sollten aufräumen, bevor mein Vater kommt«, sagte Kai mit unbewegter Miene. »Und putzen.«

      »Gute Idee.« Arthur verzog das Gesicht. Es war ein ekelhafter Anblick, vor allem der verklebte Tisch. Mit Schaudern erkannte er die Reste des Thunfischsandwichs, das er am Flughafen gekauft hatte.

      »Ich geh nur eben pissen, dann können wir loslegen.« Kai gähnte. Arthur wollte ihn gerade fragen, ob er wüsste, wo das Bad war, als er aufstand. Anscheinend wusste er es.

      Oder … Schockiert sah Arthur zu, wie Kai sich vor einen der großen Blumenkübel stellte und die Hose öffnete. Ein Plätschern erklang. Arthur sah sprachlos zu, wie der schmale Rücken sich entspannte.

      Dieser Typ war ein Barbar! Ein Geschöpf des Waldes, vollkommen unberührt von der Zivilisation und den Regeln des Anstands und sowas wie … Scham.

      Arthur zögerte. Dann stand er auf, stellte sich an den nächstbesten Blumentopf, öffnete seinen Gürtel und zog seinen Reißverschluss herunter. Es war seltsam befreiend.

      Sie schafften es, trotz ihrer hämmernden Schädel, die Spuren des Besäufnisses zu beseitigen. Kai schaffte es. Arthur, der noch nie geputzt hatte, stellte sich total dämlich an. Aber als sie fertig waren, blitzte der Mosaikboden und die Flecken auf den Liegen waren fast verschwunden.

      »Glaubst du, das merkt noch einer?« Kai legte den Kopf schief.

      »Hoffentlich nicht.« Arthur räusperte sich. »Ich hoffe, meinen Eltern fällt nichts auf.«

      »Du hast doch gesagt, die hängen eh nur an ihren Handys und bemerken nicht, was um sie herum passiert.«

      »Was?« Arthur zuckte zusammen. »Das hab ich erzählt?«

      Kai nickte. Seine Luchsaugen waren so intensiv, dass Arthur es kaum schaffte, den Blick zu halten.

      »Du hast gesagt, du wärst ganz alleine.« Kais Stimme schien nach dem Kampftrinken noch rauer. »Soll ich hierbleiben? Ein paar Tage?«

      Kais Hand öffnete und schloss sich, als wollte er sich an irgendetwas festhalten. Arthur verharrte. Mist, er war so erbärmlich. Er durfte auf keinen Fall zeigen, wie einsam er war, obwohl er sich nichts mehr wünschte, als dass Kai hierblieb. Andererseits hatte er sich gestern eh schon blamiert. Kai wusste, dass er eine peinliche Jungfrau war. Und er wollte trotzdem hierbleiben.

      »Ja«, brachte er hervor. »Wenn dir das nicht zu langweilig ist.«

      Kai schüttelte den Kopf.

      »Nie. Ich … Zeigst du mir nochmal die Bücherei?«

      »Klar, warum?«

      »Ich hab gelogen.« Kai grinste schief. »Ich mag Bücher. Bin eine totale Leseratte, nur … na ja …«

      »Meine Freunde sagen, dass Lesen langweilig ist«, platzte Arthur heraus. »Dass das nur bescheuerte Streber und alte Leute machen, aber ich … ich mag das.«

      »Ich auch.« Kai schien richtig aufgeregt. »Am meisten mag ich Krimis. Gangstergeschichten. Mit Schießereien und so. Und so richtig dicke Fantasyschinken mit zehn Bänden.«

      »Die haben wir bestimmt. Komm mit!« Arthur wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte ins Haus. Kai folgte ihm.

      Als der rostige Transporter vorfuhr, saßen sie auf einem kleinen Balkon im ersten Stock. Lesend, die Rücken gegen die Gitterstäbe gelehnt. Neben ihnen lagen stapelweise Bücher und ein halbleerer Teller mit Butterbroten. Immer wieder musste Arthur von seinem tschechischen Historienkrimi aufschauen, um Wörter nachzuschlagen. Und jedes Mal gönnte er sich einen Blick auf Kai, dessen sonnengebräunte Haut im Licht schimmerte. Kais Gesicht war so konzentriert, dass er es bestimmt nicht bemerkte.

      5. Kai

      Arthur sah ihn an und Kai war ganz kribbelig vor Freude. Er wusste nicht, wieso. Aber er spürte den dunklen Blick auf sich.

      Er würde hierbleiben. Ein paar Tage lang. Ein paar Tage in diesem gigantischen, wunderschönen Haus mit der unendlichen Bibliothek und vor allem: mit Arthur. Es kam ihm wie ein Wunder vor.

      Die Villa Blau wirkte verwunschen, wie eine Märchenvilla. Mit all den Schlingpflanzen, dem Efeu, das in den sonnendurchfluteten Innenhof wuchs, mit den verschnörkelten, schmiedeeisernen Gittern, den leise flüsternden Baumwipfeln in der Ferne … Fast unwirklich. Erst das röhrende Keuchen des alten Transporters brachte die Realität zurück. Er seufzte leise.

      »Das ist mein Vater«, sagte er und stand schweren Herzens auf. »Ich muss ihm helfen.«

      »Oh. Ich kann auch helfen.«

      »Das wird er nicht zulassen.« Kai lächelte. »Ich würd mich natürlich freuen. Äh, dass mir jemand Arbeit abnimmt.«

      »Junge!«, hörte er seinen Alten rufen. Kai atmete ein. Er hoffte, dass man ihm die letzte Nacht nicht ansah. Hoffte es sehr.

      »Ich … fahr mittags mit ihm heim und packe ein paar Sachen«, sagte er zögernd. Nicht, dass Arthur es sich anders überlegt hatte. Aber der lächelte.

      »Gut. Ich sage der Haushälterin, dass sie für Zwei kochen soll.«

      »Was? Nein!« Meinte er das ernst? »Ich muss doch nicht bekocht werden! Und die Haushälterin ist Frau Montag, die kann mich nicht leiden!«

      »Was? Wieso kann sie dich nicht leiden?« Arthur wirkte ernsthaft erstaunt. Tat irgendwie gut.

      »Nichts, kein Grund, ich …« Mist, war die Wirklichkeit dabei, ihn wieder einzuholen? Arthur sah ihn von unten her an.

      »Weißt du«, sagte der bedächtig. Eine Stimme wie Samt hatte der Kerl. »Ich hab dir gestern fast über die Füße gekotzt und … na ja, du weißt, dass ich noch nie … dass ich überhaupt keine Erfahrung mit nichts hab und dass ich ein langweiliger Bücherwurm bin und nicht mal meine Eltern sich besonders für mich interessieren. Vor mir musst du echt keine Geheimnisse haben. Du hast mich in der Hand.« Ein scheues Lächeln.

      »Du mich doch auch.« Auf mehr als eine Art. Kai verzog das Gesicht. »Ist auch keine große Sache. Sowas hält sich auf dem Dorf halt ewig. Hab gehört, woanders wär das nicht so. Gelesen.« Er räusperte sich. »Na, ich bin mit ihrem Sohn in der Grundschule gewesen. Markus. Und irgendwann gab’s ’ne Läuseplage und es gab einen Infoabend für Eltern und