»Nun warte doch erst mal ab, was Tylor und Axel uns zu erzählen haben.« Sie grinste ihn an und zog zwei weitere Stühle unter der Abdeckplane hervor.
Nachdem sich alle gesetzt hatten, räusperte Axel sich umständlich. »Es geht, wie gesagt, um meine Schwester Tricia. Sie versteckt sich momentan in einem billigen, unauffälligen Motel unter falschem Namen, weil sie Probleme mit ihrem Arbeitgeber hat.«
»Wäre da nicht ein Gang zur Gewerkschaft angebrachter?«, warf Michael sarkastisch ein.
Axel schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Sie verstehen nicht, ihr Boss ist ein Gangster.«
»Natürlich.«
»Sie wusste das doch nicht, als sie bei ihm angefangen hat.« Axel schluckte hart. »Also, vor etwa einem halben Jahr hat sie bei so einer Hausservice-Firma angefangen. Sie wissen schon, Reinigungsarbeiten, Garten- und Poolpflege, sogar Partyservice und so. Vorher war sie Sachbearbeiterin in einer Versicherung, aber die hat Pleite gemacht und danach hat Tricia nicht gleich eine neue Stelle gefunden. Da kamen die Geldprobleme, also hat sie den Job angenommen, um über die Runden zu kommen.«
»Da ist sie bestimmt nicht die Einzige, der es momentan so geht.« Brianna schlug lässig die Beine übereinander.
Axel nickte. »Ja, die Zeiten sind schlecht. Am Anfang ging alles ganz gut, aber dann hatte Tricias Waschmaschine einen Defekt, wissen Sie? Sie brauchte eine neue, konnte sich aber keine leisten. Ihr Boss, Milan Hovkowicz, hat ihr einen kleinen Kredit gegeben.«
»Oh, oh.« Brianna kräuselte die Lippen.
»Nein, nein, das war noch nicht schlimm. Sie konnte ihm das Geld nach ein paar Wochen zurückzahlen. Aber dann ging ihr Auto kaputt. Ich habe alles versucht, aber eine Reparatur wäre teurer gewesen als ein neuer Gebrauchter. Geld dafür war natürlich nicht da. Und ich konnte ihr auch nicht viel leihen, weil mein Ältester gerade mit einer Gastritis im Krankenhaus war und die Kleine neue Zahnspangen brauchte. Es war wie verhext! Milan hat ihr dann noch mal Geld geliehen, aber sie kann es ihm nicht zurückzahlen, denn jetzt wurde sie auch noch aus ihrer Wohnung geworfen und musste sich eine neue suchen. Die ist teurer und der Umzug hat auch gekostet, weil sie eine komplett neue Küche und Möbel brauchte. Die alten Sachen gehörten fast alle zur Wohnung, die konnte sie nicht mitnehmen.«
»Und jetzt verlangt dieser Milan sein Geld zurück?« Michael verschränkte die Arme vor der Brust. »Können Sie keine Ratenzahlung vereinbaren?«
»Das haben sie schon, aber Milan ist ... wie gesagt, wir wussten es anfangs nicht.« Axel fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf. »Er hat Tricia unter Druck gesetzt. Er hat gesagt, dass sie ihre Schulden schneller abstottern kann, wenn sie für ihn Sachen aus den Häusern stiehlt, in denen sie arbeitet, und sie dann am nächsten Tag wieder zurücklegt, damit niemand was merkt.«
Nun hob Michael doch interessiert den Kopf. »Was für Sachen?«
Axel zuckte die Achseln. »Dokumente. Alles, was wichtig aussieht oder mit Geld zu tun hat. Manchmal hat er ihr ganz genaue Anweisungen gegeben, ein andermal nur gesagt, sie soll mitnehmen, was sie findet.«
»Warum ist sie nicht zur Polizei gegangen?«, fragte Luke.
»Weil sie Angst hatte! Milan hat sie massiv bedroht und gesagt, er tut ihr was an oder unseren Eltern oder meiner Familie. Anfangs hat sie sich geweigert, bei der Sache mitzumachen, aber er hat ihr ein Paar ganz wertvolle Ohrringe von einer Kundin untergeschoben und behauptet, er wird sie als Diebin anzeigen, wenn sie nicht mitmacht. Und danach ist es immer schlimmer geworden. Sie traut sich nun gar nicht mehr, zur Polizei zu gehen, denn das ist nicht nur für uns gefährlich, sondern sie steht auch selbst als Mittäterin da. Sie hat jetzt schon so viele Dokumente gestohlen. Ganz bestimmt kommt sie dafür ins Gefängnis. Wir wissen ja nicht genau, was Milan mit den Informationen macht.«
»Erpressung vermutlich oder er verkauft die Daten weiter, wenn es sich lohnt.« Michael ließ die Arme sinken und richtete sich auf. »Ich vermute, dass zu Milans Kunden hauptsächlich reiche Leute gehören.«
»Banker, Anwälte, Richter«, bestätigte Axel.
Brianna warf Michael einen auffordernden Seitenblick zu.
Er schwieg jedoch zunächst und ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, schon wieder einen Job anzunehmen. Wichtiger war es, seine Situation aufzuklären.
»Michael!« Briannas Stimme klang ungeduldig.
»Bitte, Mr. Cavenaugh, können Sie meiner Schwester helfen? Es ist bald Weihnachten und sie traut sich nicht einmal zu uns, weil sie fürchtet, dass Milan sie erwischt.«
Michael seufzte innerlich. »Sie sagten, sie versteckt sich. Ich gehe also davon aus, dass sie das Arbeitsverhältnis einseitig für beendet erklärt hat.«
»Beim letzten Mal wurde sie fast erwischt. Das hat ihr den Rest gegeben. Sie kam zu mir, sagte, sie muss untertauchen, und bat mich, ihr irgendwie zu helfen. Ich weiß aber nicht, wie. Als Tylor dann meinte, er wüsste jemanden, der vielleicht eine Lösung weiß ... Wir können Sie zwar nicht bezahlen, aber Tylor hat einen Vorschlag.« Hoffnungsvoll blickte Axel seinen Chef an.
Michael sah von ihm zu Tylor. »Was für ein Vorschlag?«
»Nun ja, Michael, ich habe bemerkt, dass Sie kein Auto besitzen. Wie es der Zufall will, hätte ich eines für Sie, das Ihnen bestimmt gefallen wird. Der Besitzer war ein alter Mann, der den Wagen regelmäßig bei uns zur Inspektion vorbeibrachte. Inzwischen ist er verstorben, und er hat mir den Wagen vererbt. Eine silberne Corvette C5 Coupé mit abnehmbarem Dachmittelteil, Erstzulassung Mai 1997. Topgepflegt und wunderschön. Sie gehört Ihnen, wenn Sie Axel helfen.«
»Eine Corvette, ja?« Brianna stieß Michael unsanft mit der Schuhspitze gegen das Schienbein. »Das klingt ja wunderbar. Michael braucht wirklich einen fahrbaren Untersatz.«
Michael war nicht ganz so begeistert. Ein eigener Wagen bedeutete Besitz. Besitz würde ihm Fesseln anlegen. Wobei ein Auto noch das geringste Problem war, denn es ließ sich relativ leicht wieder abstoßen. Dennoch verursachte ihm der Gedanke leichtes Bauchgrimmen. Andererseits konnte er Typen wie Milan Hovkowicz nicht ausstehen, die unschuldige Menschen in ihre illegalen Geschäfte hineinzogen und auch noch mit dem Tod bedrohten. Diese Tricia hätte vielleicht gleich zur Polizei gehen und Schutz verlangen müssen. Dass sie es aus Angst nicht getan hatte, bedeutete nicht, dass man sie nun mit ihren Schwierigkeiten alleinlassen durfte.
Er nickte Axel zu. »Also gut, wir helfen Ihnen.«
Axel stieß erleichtert die Luft aus und sackte regelrecht in sich zusammen. »Danke, vielen, vielen Dank!«
»Warten Sie mit Ihrem Dank, bis wir Erfolg hatten«, bremste Michael ihn. »Erst mal müssen wir mehr über diesen Milan und seine Geschäfte erfahren. Außerdem wäre es gut, wenn wir mit Tricia reden könnten.«
»Klar, das lässt sich einrichten.«
»Arrangieren Sie ein Treffen in ihrem Motel, aber halten Sie selbst sich von dort fern. Wenn Milan Ihre Schwester sucht und klug ist, wird er früher oder später ihre Familie beschatten. So gesehen ist es bereits gefährlich, dass Sie hierhergekommen sind.«
»O Gott, glauben Sie?« Axels Augen weiteten sich vor Schreck.
»Seit wann versteckt Tricia sich?«
»Seit vergangenem Sonntag.«
»Wann hätte sie zur Arbeit erscheinen müssen?«
»Heute. Sie arbeitet oft am Wochenende und hat dafür zwei Tage in der Woche frei.«
»Gut, dann hatte Milan noch nicht viel Zeit zu reagieren.« Michael erhob sich. »Gehen Sie wieder an Ihre Arbeit, Axel, und hinterher ganz normal nach Hause. Lassen Sie Tylor wissen, wann wir uns mit Ihrer Schwester treffen können, und tun Sie ansonsten so, als sei alles ganz normal.«
»Ja, selbstverständlich, das mache ich.« Eifrig nickte Axel. »Danke noch mal!«
»Gehen