Sieh nichts Böses. Kayla Gabriel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kayla Gabriel
Издательство: Bookwire
Серия: Alpha Wächter
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969695388
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Luft, die an ihrer Haut klebte, wies darauf hin, dass sie wieder in New Orleans war. Sie öffnete ganz langsam ihre Augen und sah sich demselben Mann gegenüber, den sie vorhin schon bemerkt hatte. Ihre Augen verloren sich in diesem tiefen smaragdgrünen Meer…

      Ohne zu wissen, was sie da eigentlich tat, warf sich Echo in die Arme des Fremden und brach in Tränen aus.

      Kapitel Drei

      Rhys

       Mittwoch, 10:00Uhr

      „Ha! Jetzt hab ich dich, du rotbärtiger Bastard!“

      Rhys Macaulay grunzte, während er das Heft seines Langschwertes fester packte. Seine Lippe zog sich zurück, sodass er die Zähne bleckte, als seine Finger den Bruchteil eines Zentimeters verrutschen. Seinem Sparringpartner entging das natürlich nicht. Gabriel kreiste nach links, wobei seine Sneakers bei jeder Bewegung auf dem Gummiboden des Fitnessraums des Herrenhauses quietschten. Rhys veränderte seinen Griff erneut, aber es war vergebens. Er und Gabriel übten bereits seit fast zwei Stunden und Rhys‘ Hände waren schweißnass.

      „Du trocknest deine Hände mit Magie, du englischer Scheißkerl“, beschuldigte Rhys ihn, dessen Wut seinen schottischen Akzent dermaßen verstärkte, dass er ihn selbst heraushören konnte.

      „Ich dachte, du hättest gesagt, im Kampf gäbe es keine Regeln“, konterte Gabriel, dessen vornehmer Londoner Akzent an Rhys‘ Nerven zerrte. „‘Streu ihnen Sand in die Augen‘, hast du gesagt, ‘Wenn sich die Gelegenheit ergibt, tritt einen Mann, solange er unten ist‘.“

      Rhys schnaubte über Gabriels Imitation seines schottischen Dialekts.

      „So klinge ich nicht“, widersprach Rhys.

      Gabriel wählte diesen Moment für seinen Angriff, indem er einen cleveren Schlag ausführte, um Rhys das Schwert aus der Hand zu schlagen, während er auf Rhys‘ ungeschützte Rippen zielte. Gabriel stoppte seinen Schwertschwung einen Zentimeter entfernt von Rhys‘ Haut, was an sich schon eine beeindruckende Leistung war. Rhys hatte sich in den ersten Monaten ihres Trainings zu genau diesem Zweck viel Mühe damit gegeben, Gabriel streng zu unterrichten. Es war vergebene Liebesmühe, jemanden zu trainieren, der nicht einmal die Kontrolle besaß, seinen Lehrer nicht zu verletzen.

      „Ich würde das als Sieg verbuchen, was meinst du?“ Gabriel bedachte Rhys mit einem selbstgefälligen Grinsen. Anschließend trat er einen Schritt zurück, senkte sein Schwert und fuhr sich durch seine dunklen, schweißnassen Locken. Gabriel hatte es weit gebracht, seit sie alle im Herrenhaus angekommen waren. Nach einigen Monaten intensiver täglicher Workouts war seine Figur sehr viel kompakter geworden. Er war jetzt fast so breit und muskulös wie Rhys, aber etwas schlanker, was Gabriel eine zusätzliche Dosis Anmut verlieh.

      „Halt verdammt nochmal den Rand, Schönling.“

      Rhys rollte mit den Augen und tat so, als würde er den Kampf beenden. In der Sekunde, in der Gabriels Aufmerksamkeit nachließ, stürzte sich Rhys auf ihn und schon befand sich sein Schwert nur eine Haaresbreite von Gabriels Hals entfernt. Er zwang Gabriel auf die Knie und dazu, sein Schwert fallen zu lassen, während seine Augen boshaft funkelten.

      „Ich gebe auf“, zischte Gabriel.

      Rhys zog sein Schwert zurück und grinste und nach einem Moment ließ Gabriel ein verärgertes Glucksen verlauten.

      „Du kannst es wirklich nicht ertragen zu verlieren, oder?“, fragte Gabriel und ergriff Rhys‘ dargebotene Hand.

      „Das ist es nicht, Gabriel. Ich will, dass du verstehst, dass außerhalb dieses sicheren kleinen Kokons“, erklärte Rhys und drehte einen Finger im Kreis, um auf das Herrenhaus hinzuweisen, „die Leute nicht fair kämpfen. Sie kämpfen schmutzig, weil sie dadurch gewinnen. Wenn sie dich auf irgendeine Weise bewegungsunfähig machen können, dann haben sie gewonnen. Sie spucken auf Ehre.“

      Gabriels Lippen kräuselten sich noch einmal und er zuckte mit den Schultern.

      „Bald“, prophezeite er Rhys und deutete mit einem Finger auf ihn. „Wir trainieren mittlerweile ein Jahr zusammen. Letzte Woche habe ich Aeric geschlagen und du bist der Nächste.“

      „In deinen Träumen, Junge“, sagte Rhys, lief zur Wand und hängte sein Übungsschwert an die dortige Halterung.

      Gabriel folgte seinem Beispiel und warf Rhys einen skeptischen Blick zu.

      „Ich bin nur vier Jahre jünger als du“, merkte Gabriel an.

      „Ja und unser Leben, bevor wir Wächter wurden, hätte nicht unterschiedlicher sein können“, entgegnete Rhys achselzuckend. „Ich wurde als der erstgeborene Sohn eines Highland-Clanführers großgezogen. Von jungen Jahren an lastete eine große Verantwortung auf mir. Mit sieben Jahren war ich täglich auf dem Trainingsplatz, mit zwölf Jahren trainierte ich andere, mit zweiundzwanzig Jahren kämpfte ich für den König. Ich wusste immer, dass ich…“

      Rhys brach mitten im Satz ab. Mein Volk regieren würde, hatte ihm auf der Zungenspitze gelegen, aber er konnte die Worte nicht aussprechen. Sein Kiefer verspannte sich, als er zum vielleicht tausendsten Mal im vergangenen Jahr darüber nachdachte, dass er in Wahrheit nie wieder irgendjemanden regieren würde. Er hatte dieses Recht in der Sekunde geopfert, in der er einen Deal mit Mere Marie eingegangen war.

      „Rhys… wir haben nicht mehr 1764“, erinnerte Gabriel ihn und warf ihm einen halb mitleidigen Blick zu, bei dem sich Rhys‘ Magen verknotete. „Wir befinden uns im Jahr 2015 und du musst dich an die Tatsache gewöhnen, dass du jetzt ein Wächter bist. Eine einfache Arbeitsbiene in Mere Maries kleinem Bienenstock, der New Orleans beschützt. Es ist ja auch nicht so, als wärst du der Einzige, den sie einige hundert Jahre in der Zeit nach vorne befördert hat, damit er Soldat spielt.“

      Rhys‘ Kiefer mahlte bei Gabriels lässigem Tonfall. Es stimmte wohl, dass Rhys seinen Clan aufgegeben und sein Recht zu Regieren gegen Mere Maries Versprechen eingetauscht hatte, dass sein Volk überleben und trotz zahlreicher Bedrohungen gedeihen würde. Das hieß aber nicht, dass Rhys sein ganzes vorheriges Leben vergessen oder so tun müsste, als würde er seine Entscheidung nicht betrauern. Rhys und Gabriel hatten exakt diese Diskussion im Verlauf des vergangenen Jahres mehrmals geführt, sowie die Macken und Schwächen des anderen kennengelernt, während sie daran gearbeitet hatten, zu einer geeinten Kampfeinheit zu werden.

      Der dritte Wächter in ihrem Team… tja, er war ein großartiger Kämpfer, aber er war auch um einiges weniger freundlich. Für Rhys war Aeric, der Wikingerkrieger, der irgendwie in ihrer Gruppe gelandet war, immer noch eine Art Rätsel.

      „Ich bin am Verhungern“, verkündete Gabriel, womit er Rhys aus seinen Gedanken riss. Rhys glaubte, dass Gabriel wahrscheinlich das Thema wechselte, um Rhys ungesunden Gedankengang zu unterbrechen. Rhys wusste, dass Gabriel dies wegen ihrer neuentdeckten Freundschaft tat. Die zwei Männer hatten im vergangenen Jahr zu einer Art stillschweigender Übereinkunft gefunden, anders als mit Aeric. Aeric war immer noch distanziert und blieb meist für sich.

      „Na schön“, sagte Rhys und wischte sich über die Stirn. „Ich habe gesehen, wie Duverjay einige Sandwiches zubereitet hat, als wir auf dem Weg hierher waren.“

      Gabriel und Rhys verließen den Fitnessraum und liefen nach draußen über die große Grünfläche, die den wenig genutzten Garten des Herrenhauses darstellte. Sie betraten das Haupthaus und passierten das Wohnzimmer, um stattdessen direkt in die Küche zu laufen, wo der Butler des Herrenhauses, Duverjay, mehrere Gatorades auf einer Schale mit Eiswürfeln drapierte. Der kleine Kreole war am ersten Tag nach Rhys Ankunft im Herrenhaus erschienen, bereit, sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern. Rhys war sich allerdings ziemlich sicher, dass Duverjay außerdem Mere Marie jede einzelne ihrer Bewegungen meldete.

      „Ah, Duverjay, du weißt wirklich immer, was ich möchte“, foppte Gabriel ihn. Duverjay zog eine Braue hoch, aber reagierte ansonsten nicht. Der Mann war ein Butler der klassischen Schule und würde genauso wenig auf Gabriels Geplänkel eingehen, wie er einen Arbeitstag in Flipflops beginnen würde.