Lockdown 2020. Rolf Gössner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rolf Gössner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783853718810
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nur für die WHO, sondern etwa auch für die Welternährungsorganisation FAO, das Kinderhilfswerk UNICEF, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder den Europarat. Im Falle der WHO setzten 1993 die USA unter George Bush zunächst durch, dass die Pflichtbeiträge der Mitgliedsstaaten eingefroren wurden: Das schon in den 1980er-Jahren eingeführte reale Nullwachstum wurde durch ein nominelles Nullwachstum ersetzt.70 Inflations- oder Währungsschwankungen wurden nicht mehr ausgeglichen und der Haushalt sinkt damit alljährlich real, also inflationsbereinigt.

      Heimlicher WHO-Chef Bill Gates?

      Der Zwei-Jahres-Etat der WHO für die Jahre 2018 und 2019 betrug 5,9 Milliarden US-Dollar, also pro Jahr knapp drei Milliarden Dollar. Damit hatte die weltweit tätige UNO-Gesundheitsorganisation pro Jahr nur wenig mehr Geld zur Verfügung, als beispielsweise die Berliner Charité (zwei Milliarden Euro Gesamteinnahmen in 2019). Allein die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) gibt nach eigenen Angaben pro Jahr vier Milliarden Dollar aus – deutlich mehr als die WHO –, wovon in den Jahren 2016 und 2017 wiederum 629 Millionen an die WHO gingen. Damit war sie zweitgrößte Einzelspenderin. Mit dem Austritt der USA wird die Stiftung zum größten Einzelfinancier der WHO werden – mehr als jeder Staat der Erde.

      Dabei ist es vom demokratischen Standpunkt unerheblich, ob man Bill Gates wohltätige oder bösartige Motive unterstellt. Die Kritik am Feudalismus als System gründet sich ja auch nicht an der Haltung dieses oder jenes Königs. Dass ein einzelner Mensch Kraft seines akkumulierten Kapitals einen solchen Einfluss auf die Weltgesundheit hat, ist mit demokratischen Prinzipien völlig unvereinbar. Es ist auch ein direktes Ergebnis der in der neoliberalen Ära beschleunigten und immer wieder beklagten Vermögenskonzentration. Das Problem dieses obszönen Reichtums liegt ja nicht nur darin, dass der Reichtum der einen die Armut der anderen bedingt, wie Brecht es einmal formulierte und wo die Kritik mancher Linker stehen bleibt, sondern auch darin, dass der Reichtum verwendet werden kann, die Gesellschaft nach den eigenen Vorstellungen und Interessen zu formen. Und genau das können wir bei der Weltgesundheit beobachten.

      Fast alle großen Unternehmen unterhalten Stiftungen, die natürlich zunächst für einen guten Zweck gegründet werden. Dabei geht es jedoch primär darum, Politik und Gesellschaft im Interesse der Stiftungsgründer zu beeinflussen. Das Stiftungskapital der Gates-Foundation von knapp 50 Milliarden Euro ist in Konzernen wie Coca-Cola, Walmart, Monsanto (seit 2018 Teil von Bayer), aber auch in der Rüstungs- und Pharmabranche investiert. So entstehen zwangsläufig Interessenskonflikte. Denn die Profitinteressen dieser Konzerne widersprechen gesundheitspolitischen Zielen fundamental. So macht die Stiftung auf der einen Seite Gewinne mit Produkten, die Krankheiten wie Diabetes verursachen, an deren Folgen weltweit rund vier Millionen Menschen pro Jahr sterben. Oder – Beispiel Nestlé – mit Ersatzprodukten für Muttermilch, die Müttern als vermeintlich bessere Alternative zum Stillen verkauft werden. Diese Gewinne werden dann teilweise in die Förderung von Gesundheit investiert.

      Dabei werden vor allem technische und konkret messbare Lösungen bevorzugt, beispielsweise Impfkampagnen oder die Verteilung von Moskitonetzen. Dies ist zwar an sich nicht schlecht, führt jedoch dazu, dass andere wichtige Bereiche wie eine Stärkung der Primärversorgung und ein Fokus auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Krankheiten wahrscheinlicher machen, vernachlässigt werden.

      Schweinegrippen-Skandal

      Der aktuelle Umgang mit der Corona-Pandemie ist auch deshalb so schwierig, weil die WHO bei der letzten Pandemie-Ausrufung vor Corona völlig daneben lag. Die im Vergleich zur jährlichen Grippewelle relativ milde H1N1-Influenza aus den Jahren 2009 und 2010 (sogenannte Schweinegrippe) wurde von der WHO am 11. Juni 2009 zur Pandemie mit der höchsten der damals gültigen Pandemiestufen (Stufe sechs) erklärt. In der Folge sind in fast allen Mitgliedsstaaten vorbereitete Pandemie-Pläne in Kraft getreten bis hin zu milliardenschweren Verträgen mit Impfstoffherstellern, durch die sich die Staaten (in Deutschland die Bundesländer) zur Abnahme großer Mengen von Impfstoffen verpflichteten.

      Der Bericht kritisiert die Intransparenz der Kriterien-Änderung bei der WHO scharf. In der von der Versammlung mit nur einer Gegenstimme angenommenen Resolution heißt es in Punkt 2: »Die Versammlung stellt fest, dass gravierende Mängel in Bezug auf die Transparenz der Entscheidungsabläufe im Zusammenhang mit der Pandemie festgestellt wurden, die Bedenken hinsichtlich eines möglichen Einflusses der Arzneimittelindustrie auf einige der wichtigsten Entscheidungen im Zusammenhang mit der Pandemie hervorgerufen haben. Die Versammlung befürchtet, dass dieser Mangel an Transparenz und an Rechenschaftspflicht dazu führen wird, dass das Vertrauen in die Empfehlungen der wichtigsten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen schwindet.«