Auf der Treppe gerät sie ins Taumeln. Die beiden stützen sie. Sie führen sie in ein kühles, spärlich möbliertes Zimmer. Ein niedriger, gedrungener Schrank steht darin, darauf die Porzellanbüste eines Mädchens mit hellen Haaren, die mit einem blauen Band zusammengehalten sind, außerdem ein Eisenbett und ein ramponierter Korbsessel, einstmals weiß, jetzt scheckig. Flocken abgeplatzter Farbe liegen auf dem Boden, die Möbel schuppen sich. Unter dem Fenster liegen Äpfel auf ausgebreiteten Zeitungen, sie sind noch kaum runzlig, obwohl es schon Ende Februar ist. Die Luft ist glatt und feucht wie die Schalen der Äpfel. Sie erwärmt sich langsam durch die Elektroheizung.
Die beiden reden noch etwas, während sie den Schrank öffnen (lauter alte, schlüpfrige, unbezogene Decken liegen darin), die Vorhänge zuziehen, den Krug zurechtrücken, das Tischtuch auf dem Tisch richten. Sie hört nicht mehr zu. Langsam, vorsichtig legt sie sich aufs Bett, als wäre sie eine kostbare Porzellanfigur, die man nur in der Verpackung aufbewahren kann, in liegender Stellung. Kurz darauf kommt die kleine Frau wieder und bringt ein Handtuch und ein verwaschenes Flanellnachthemd.
»Das Badezimmer ist unten«, flüstert sie und verschwimmt in der Dunkelheit, um bald wieder zu flüstern, rascheln und knirschen, wobei sie mit dem Mann abgerissene Sätze wechselt, während sie irgendwelche vergessenen Stühle rücken, Lichtschalter knipsen, in der Tür den Schlüssel umdrehen.
Sie liegt auf dem Rücken, schließt die Augen. Jetzt sollte sie ihre Schlaftabletten nehmen. Sie sollte sich Wachsstöpsel in die Ohren stecken, sich auf die Seite legen und darauf warten, dass die Pillen wirken, aus denen der Schlaf in die klamme Stille keimt. Aber sie hat weder Pillen noch Ohrenstöpsel. Sie legt die Hand auf die Brust und prüft, wie immer, ob ihr Herz schlägt. Ihr Körper ist hart, widersetzt sich dem Druck der Hand. »Hart wie Holz«, hört sie und sieht sich selbst, wie sie den Abhang hinabläuft, etwa dreizehn Jahre alt, in einem Cretonnekleid mit Mohnblumenmuster, das die Mutter später, als es verschlissen war, zu Staubtüchern zerriss. Sie ist unterwegs, um sich in der Ruine am Fluss mit anderen Mädchen zu treffen. Die Namen wollen ihr nicht einfallen, war eine Bożena dabei? Eine Jadzia?
Irgendjemand hatte es aufgebracht, aber niemand wusste mehr, wer, es musste sehr lange her gewesen sein. Danach gaben es die älteren Mädchen an die jüngeren weiter. Es klappte immer.
Alle knien sich im Kreis auf die Erde und schweigen, bis das Schweigen schließlich natürlich wird und nichts Besonderes mehr ist, so lange, bis man gar nicht mehr sprechen will. Danach zeigt jedes Mädchen mit der Hand eine Zahl. Sie zählen ab. Diejenige, die ausgezählt ist, legt sich in den Kreis und schließt die Augen.
Dann beginnen die anderen, sie mit den Fingerspitzen zu berühren, zuerst nur mit den Fingerkuppen, dann immer stärker, und dabei sagen sie immer wieder die Worte: »Hart wie Holz, kalt wie Eis, leicht wie Federn.« Immer wieder von vorne, bis die Hände ganz auf dem Körper liegen. Und sie drücken den liegenden Körper an den Boden und sagen dabei immer dieselben Worte: wie Holz, wie Eis, wie Federn, und dann, unvermittelt, ganz von selbst wissen sie jedes Mal genau, wann der Zeitpunkt für diese Worte gekommen ist:
Wie Holz so hart,
Wie Federn so leicht,
Wir tragen deinen Sarg,
Königstöchterlein.
Wie Eis so kalt,
So hart wie Holz,
Wir vergraben deinen Sarg
In ewiger Gruft.
So hart wie Holz,
Wie Federn so leicht,
In der Erde das Loch
Ist nun dein Heim.
Auf den Spitzen ihrer Zeigefinger heben die Mädchen den steifen, vor Verblüffung totenstarren Körper hoch, mühelos wie einen hohlen Stängel, eine Figur aus Bimsstein, eine Schaumstoffgestalt.
Nein, nein, es ist nie besser innerhalb des Kreises, besser ist es zu bewegen, als bewegt zu werden, besser zu zaubern, als sich in die Gewalt eines Zauberspruchs zu begeben, besser, lebendig zu sein als tot, auch wenn man sich nur tot stellt. Was wäre passiert, wenn einmal eine von ihnen nicht aus der Trance erwacht wäre, wenn sie so stocksteif und bewusstlos geblieben wäre, mit geschlossenen Augen, weder tot noch lebendig? Wenn sie von dieser Reise nicht zurückgekehrt, für die anderen nur ein Ding geblieben wäre wie ein geknickter Zweig, ein Stein im Bach? Doch jede kommt zurück. Setzt sich auf und blinzelt mit den Augen, weit weg.
Das sieht komisch aus, die anderen brechen in Lachen aus, und damit ist es vorüber. Diejenige, die in der Mitte des Kreises gewesen ist, geht als Letzte nach Hause ins Dorf, sie hat das unbestimmte Gefühl, ausgenutzt worden zu sein, wie ein zufälliger Zuschauer im Publikum, der von einem Hypnotiseur auf die Bühne geholt und veranlasst wird, Ungehöriges zu tun. Sie trödelt hinterher, noch schmollend, aber bevor sie gemeinsam ins Dorf gelangen, ist alles wieder in Ordnung, man überwindet sich und vergisst.
Aber sie wurde nie ausgezählt, deshalb wusste sie nicht, wie es war, wenn man in der Mitte lag und sein Gewicht verlor. Sie stellte es sich vor wie einen Schlaf. Schlaf ist selten nur ein dunkles Nichts, meistens tut sich allerhand im Schlaf, aber anderes als im Wachen. Unglaubliche Dinge werden ganz natürlich, und die Zeit hüpft und schlägt Purzelbäume. Vielleicht hat man dann ein Wissen, das zu nichts nutze ist, das niemand braucht. Vielleicht verhält sich der von außen aus dem Kreis betrachtete Körper, der sich auf den Fingerspitzen weniger Mädchen tragen lässt, vollkommen normal und steht in keinem Widerspruch zu irgendetwas. Es ist wie mit diesem Leichenatem, unmöglich und trotzdem irgendwie sinnvoll. Sie fühlt jetzt wieder das Gewicht auf den Fingern, dieses Gewicht, das seiner selbst zu spotten scheint, Schwere und Leichtigkeit zugleich.
Am Morgen erwacht sie schlagartig, plötzlich – sie öffnet die Augen und sieht das graue Licht, in dem die Nähte und Falten der Decke zu einer einförmigen, matt glänzenden Oberfläche verschwimmen.
Sie hört eine Tür zuschlagen, das Dröhnen eines mühsam anspringenden Dieselmotors. Der Anlasser röchelt lange, dann verstummt er. Das wiederholt sich mehrere Male, schließlich – zu ihrer Erleichterung – springt der Motor an, und das Brummen entfernt sich langsam.
Nach dem Aufwachen horcht sie immer auf ihren Herzschlag, ob alles in Ordnung ist, ob es schlägt und wie es schlägt. Sie tastet ihren Körper ab, ob er nicht durch irgendeinen Zufall über Nacht auseinandergebrochen ist, aber jetzt, so unbeweglich auf dem Rücken liegend, fühlt sie sich so wohl, dass sie nicht einmal die Hand hebt, um sie auf die Brust zu legen. Der Anblick der gleichförmigen Oberfläche der Zimmerdecke beruhigt sie, ihre Hände schlafen noch auf dem rauen, gestärkten Laken. Sie erinnert sich wieder.
Sie heißt Ida Marzec. Vierundfünfzig Jahre alt. Gemeldet in Warschau, Adam-Plug-Straße 89, Wohnung 21. Sozialversicherungsnummer 50012926704. Gott sei Dank.
Die Tür quietscht leise, und sie hört kurze klackende Schritte, wie das