»Nichts«, rief Busch über die Schulter. »Wir wissen nichts«, seine Stimme überschlug sich. »Wir wissen nur, dass da draußen zwei Busse voll mit Menschen stehen.«
»Voll?«
»Sieht – so – aus.« Buschs Worte kamen stoßweise, während er immer zwei Stufen auf einmal nahm.
Sie rannten durch die Eingangshalle auf das Hauptportal zu. Zahlreiche Kollegen waren dort bereits versammelt. Sito wagte kaum zu atmen.
***
Die Busse standen nebeneinander wie dampfende Tiere, lauernd. Der Motor aus, die Menschen darin starr. Sito und Busch liefen langsam nach draußen. Sito hatte ein Megafon in der Hand und bat die Menschen, mit erhobenen Händen auszusteigen. Nichts passierte. Er sah zu Busch, dessen Mundwinkel zuckten. Er rieb sich mit der linken Hand über das Gesicht, seine Stirn legte sich in Falten.
»Was sollen wir machen?«, fragte Sito leise. »Kommen Sie mit erhobenen Händen langsam aus dem Bus«, rief er noch einmal durch das Megafon, sah zu Jäger, der seine linke Hand mit der rechten festhielt.
»Wenn es nun trojanische Pferde sind?«, murmelte Busch, und Sito wusste sofort, worauf er hinauswollte.
»Wir holen uns den Feind ins Haus.«
Plötzlich kam Bewegung in den ersten Bus. Die Tür wurde geöffnet, und der Busfahrer erhob sich, ein Smartphone in der Hand. »Nicht schießen«, rief er nach draußen, seine Stimme überschlug sich fast.
Sito sah, dass er durchgeschwitzt war, die Ränder unter den Armen reichten bis zum Hosenansatz. Die Haare klebten am Kopf. Die verfügbaren Polizisten hatten sich um die Busse postiert.
»Wir dürfen aussteigen«, sagte der Busfahrer und wedelte mit dem Smartphone.
»Kommen Sie langsam heraus«, rief Sito und sah, dass alle um ihn herum in Alarmbereitschaft waren, die Polizisten hielten die Waffen schussbereit.
Die Menschen im Bus standen alle, sie drängten zu den Türen. Der Busfahrer hob seine Hände, trat langsam aus dem Bus und stieg die Treppen nach unten. Sein Gang war wacklig, als gehörten seine Beine nicht zu seinem Körper. Als er unten ankam, sackte er in sich zusammen. Hinter ihm kamen die anderen Insassen. Auch sie wirkten allesamt apathisch. Ängstlich sahen sie sich um und betraten vorsichtig die Treppen aus dem Bus ins Freie.
»Irgendetwas stimmt da nicht«, raunte Sito zu Busch und gab den Einsatzkräften ein Zeichen, dass sie vorrücken sollten.
Allmählich kamen immer mehr Menschen aus dem Bus, es wurde unübersichtlich. Sito versuchte, den Überblick zu behalten, beobachtete die Personen, versuchte, sich einzuprägen, wie sie reagierten auf die gewonnene Freiheit. Busch lief langsam auf die Gruppe zu. Einer hatte dem Busfahrer zwar aufgeholfen, aber andere waren ebenfalls gestürzt. Gerade stieg der letzte sichtbare Fahrgast aus dem Bus.
»Was ist mit dem zweiten Bus?«, sagte Sito laut vor sich hin. »Was ist mit dem zweiten?«, wiederholte er. Die Gruppe wurde umringt von Polizisten und zum Gebäude geführt. »Was ist mit dem zweiten Bus?«, schrie Sito. Er beobachtete die Szene, starrte zum zweiten Bus, der nach wie vor einfach nur dastand. Die Menschen klopften gegen die Scheiben, als würden sie um Hilfe rufen, sie hielten sich die Hände vors Gesicht, und Sito meinte, einige weinen zu sehen.
Busch kam zu ihm. »Was ist da los?«
Beide starrten sie gebannt auf die Tür, doch nichts regte sich. Der Busfahrer hatte den Kopf sinken lassen. Sitos Blick wanderte zurück zum ersten Bus. Er rief sich den Busfahrer in Erinnerung, wie er, das Smartphone noch am Ohr, die Tür öffnete. »Wir dürfen aussteigen«, wiederholte er leise, was der Busfahrer gesagt hatte. »Wir dürfen aussteigen.« In Bruchteilen einer Sekunde traf es Sito wie ein Blitz.
»Weg von dem Bus!«, schrie er durchs Megafon. Busch reagierte sofort. Er trieb die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung an, sich schneller zum Gebäude zu bewegen, seine Kollegen folgten ihnen, und plötzlich waren rund hundert Menschen auf der Flucht in Richtung Präsidium. Sie gingen in Deckung und warteten. Sito hatte sich mit Busch hinter einem Wagen verschanzt und beobachtete die düstere Szenerie. Die Menschen in dem zweiten Bus sahen aus den Fenstern, einige klopften noch immer. Gedämpfte Hilferufe drangen nach außen. Sekunden verrannen, nichts passierte. Sekunden, Atemzüge, Schluchzen im Hintergrund, nichts passierte.
Sito sah sich um, suchte nach dem Fahrer aus dem ersten Bus und rannte zu ihm. Er packte den noch immer völlig apathisch wirkenden Mann am Arm und schüttelte ihn sacht, aber eindringlich.
»Was ist da los?«, fragte er.
Der Mund des Busfahrers stand offen, und der Atem kam stoßweise. »Eine – Bombe«, sagte er.
»Was?«
»Die Bombe ist im zweiten Bus. Wir wussten es nicht, als wir losfuhren.« Er sackte erneut in sich zusammen.
***
Sie waren gerade mit Blaulicht an den wartenden Autos über die B 33 gefahren. Im Vorbeifliegen hatte er den Bodensee auf der einen Seite, das Kloster Hegne auf der anderen gesehen. Ein Studienfreund hatte mal ein WG-Zimmer in Hegne gehabt, daher kannte er den Ort. Auf Höhe der Reichenau kam plötzlich die Meldung, dass sie es fortan nicht mehr nur mit der Geiselnahme an der Universität zu tun haben würden, sondern auch mit einer Geiselnahme und Bombendrohung direkt auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums.
Konstantin Hagen sah seinen Kollegen an, der ihm vor einer Stunde noch Mut gemacht hatte, dass sie auch diesen Tag heil überstehen würden, und sah dessen erstaunten Blick. »Zwei Geiselnahmen an einem Tag und in einer Stadt? Spinnen die?«
»Ist heute der Tag der Bekloppten?«, fragte ein anderer.
Über Funk sprachen sie mit ihrem Einsatzleiter Georg Moller und beschlossen, dass sie sich direkt fahrzeugweise aufteilten, die Einsatzleitung auf dem Präsidium sollte Konstantin Hagen übernehmen. Sein Nachbar stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite und nickte ihm zu. »Das rockst du«, sagte er ihm. Schon flogen die Hände in die Mitte, jeder legte seine auf eine andere, und sie stimmten sich ein: »Einer für alle, alle für einen«, klang es wie aus einem Munde durch den Bus. Nur Konstantin fühlte einen Kloß im Hals.
Im Grunde hatten sie eine exzellente Quote, meist lösten sie Geiselnahmen und andere Konflikte, ohne von der Schusswaffe Gebrauch machen zu müssen. Sie verhandelten, sie stürmten, sie waren ihren Gegnern taktisch überlegen. Weshalb also machte Hagen sich an diesem Tag Sorgen? Lag es daran, dass er beim Aufwachen das Gefühl gehabt hatte, eine tiefschwarze Decke läge über seinem Gesicht? So ein merkwürdiger Schleier vor den Augen, den er nicht sofort auf die noch währende Dunkelheit in seinem Zimmer schob, sondern erst auf sein Augenlicht. Er würde seine Freundin heute nicht mehr treffen. Er wäre gleich wieder unterwegs, um Frieden zu stiften, und würde auch davon niemandem erzählen können.
Sie erreichten den Parkplatz des Präsidiums. Das große herrschaftliche Gebäude ragte vor ihnen auf, davor der rote Bus. Sie fuhren vor den Seiteneingang, Hagen gab das Zeichen für die Sturmmasken, die sie ab sofort tragen würden, bis sie in einem abgeschlossenen internen Bereich waren, und gemeinsam verließen die zwölf Männer das Einsatzfahrzeug. Vom Uni-Bus aus konnte man sie nicht sehen. Hagen wusste, dass der Aufmarsch des SEK schnell Panik auslösen konnte, und noch hatten sie keine Ahnung, wie die Bombe gezündet werden würde. Womöglich also waren auch Geiselnehmer mit an Bord. Im Besprechungszimmer nahm er seine Sturmmaske wieder ab und spürte sofort den angenehmen Luftzug an seinem Gesicht. Ab jetzt wartete er auf die neuen Informationen der Hauptkommissare vor Ort.
***
Das Gebiet um das Polizeipräsidium war weiträumig abgesperrt. Die Menschen aus dem ersten Bus befanden sich inzwischen in verschiedenen Räumen im Präsidium und wurden von einem Kriseninterventionsteam der umliegenden Krankenhäuser betreut. Rosa rannte zwischen der Küche und den Räumen hin und her und versorgte die Geretteten, so gut es ging. Die meisten waren umgehend zu Befragungen bereit. Nach einer