Das hörte sich zwar sehr beruhigend an, was ihre Mutter da gesagt hatte, doch Bambi konnte sich damit nicht zufriedengeben.
»Mami, die Frau Hollenbrink hat es zu einer anderen Frau gesagt, die ich nicht kannte. Und die muss es doch wissen. Sie ist schließlich die Sprechstundenhilfe von Herrn Dr. Riedel und arbeitet seit vielen Jahren für ihn. Und Frau Hollenbrink hat ganz schön traurig geklungen.«
Bambi war ein sehr fantasievolles Kind, sie interpretierte sehr schnell Dinge in etwas hinein. Nicht nur das, manchmal ging die Fantasie auch mit ihrer Kleinen durch, und sie hatte Bambi deswegen schon mehrfach aufgefordert, Märchenbücher zu schreiben.
»Du kannst dich dennoch verhört haben, Bambi«, sagte Inge, weil sie sich auch einfach nicht vorstellen konnte, dass Dr. Riedel vom Sonnenwinkel wegziehen könnte. Die Riedels gehörten einfach dazu.
Werner Auerbach, der sich das bislang schweigend angehört hatte, räusperte sich.
»Bambi hat sich nicht verhört, Inge. Es trifft zu. Die Riedels werden uns verlassen, weil der Doktor ein Angebot bekommen hat, das er einfach nicht ablehnen kann.«
Inge konnte es nicht glauben.
Bambi konnte ihren Triumph nicht genießen, doch recht gehabt zu haben.
Inge Auerbach fasste sich als Erste.
»Werner, das glaube ich nicht«, sprach sie aus, was sie dachte. »Was kann so reizvoll sein, um alles hier einfach im Stich zu lassen? Die Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen.«
Der Professor trank etwas, stellte bedächtig sein Glas wieder ab, während seine Frau und Bambi wie auf Kohlen saßen. Das wollten sie jetzt aber wissen!
»Sein früherer Chef hat ihm eine florierende Privatklinik in Philadelphia vermacht. Das allerdings nur unter der Voraussetzung, dass er sie auch selbst weiterführt.«
Nach diesen Worten war es still, und es dauerte eine ganze Weile, ehe Bambi sagte: »Damit kommt unser Sonnenwinkel natürlich nicht mit.«
Recht hatte sie.
»Und wann soll es losgehen?«, wollte Inge wissen.
»Recht schnell«, war seine Antwort.
»Und was wird aus uns?«
»Für seine Nachfolge ist gesorgt.«
Inge Auerbach schaute ihren Mann an.
»Sag mal, Werner, woher weißt du das eigentlich alles?«, erkundigte sie sich.
»Vom Doktor höchstpersönlich, und ehe ihr mich mit weiteren Fragen löchert, es wird kein großes Verabschieden geben, das wollen sie wegen der Kinder nicht, die natürlich viel lieber hierbleiben würden. Der Doktor wird jeden seiner Patienten anschreiben und sich verabschieden und bei dieser Gelegenheit dann auch seine Nachfolgerin vorstellen und empfehlen.«
»Nachfolgerin?«, riefen Inge und Bambi wie aus einem Mund.
Diese Reaktion irritierte den Professor ein wenig. »Ja, Nachfolgerin. Ihr habt doch wohl keine Probleme mit einer Frau?«
Das hatten sie natürlich nicht. Doch jetzt waren sie neugierig und wollten natürlich mehr wissen.
Das verriet er nicht, obwohl er es wusste. Er sagte seinen beiden Grazien auch nicht, dass er die Frau Doktor sogar schon kennengelernt hatte.
»Sie ist eine großartige Ärztin, sie und Dr. Riedel haben zusammen studiert, danach niemals so ganz den Kontakt verloren.«
Für Bambi wurde es uninteressant, sie erkundigte sich höflich, ob sie aufstehen und gehen dürfe.
Dagegen hatte Inge überhaupt nichts, denn sie brannte darauf, von ihrem Mann mehr zu erfahren.
»Hat sie Familie?«, wollte sie wissen.
Ein Kopfschütteln war die Antwort.
»Wenigstens einen Ehemann?«
»Nein, Inge. Warum stellst du solche Fragen? Das alles hat doch nichts mit einer fachlichen Qualifikation zu tun.«
»Das nicht, mein Lieber. Aber wir wohnen hier, wie du weißt, nicht in einer Großstadt. Das kulturelle Angebot ist eher bescheiden. Eine alleinstehende Frau nimmt es doch nicht freiwillig auf sich, in … Nun ja, ich drücke es mal drastisch aus, in die … Pampa zu ziehen. Das ist was für Ehepaare, denen die Familienplanung noch bevorsteht, für Familien mit Kindern …, mal ganz ehrlich, mit dieser Frau Doktor scheint etwas nicht zu stimmen. Wie heißt sie überhaupt?«
Werner Auerbach liebte seine Frau wirklich über alles. Und sie war auch sehr klug, obwohl sie nicht studiert hatte. Sie besaß einen gesunden Menschenverstand, was manchmal mehr wert war als ein Prädikatexamen.
Nur wenn sie emotional bewegt war, und das war sie jetzt, plapperte sie, ohne nachzudenken.
Aber so war sie halt, und deswegen liebte er sie kein bisschen weniger.
»Liebes, um hier im Sonnenwinkel wohnen zu wollen, wohnen zu dürfen, dazu muss man sich keine Genehmigung einholen, und es setzt auch kein kollektives Verhalten voraus. Und das mit den Ehepaaren und Familien stimmt so auch nicht. Erinnere dich an die Opernsängerin, die wir mal in der Nachbarschaft hatten, die sich verzweifelt hierher geflüchtet hatte, weil sie Stimmprobleme hatte. Oder der Schriftsteller mit der Schreibblockade, der wohnte monatelang hier.«
Inge winkte ab. Wenn ihr Mann so drauf war, dann begann er zu dozieren. Und darauf hatte sie jetzt überhaupt keine Lust. Dazu war sie viel zu neugierig.
»Okay, Werner. Ich habe verstanden, du hast recht«, am liebsten hätte sie jetzt hinzugefügt: »wie immer«. Doch das stimmte nicht und würde auch nur einen unnötigen Streit heraufbeschwören. »Erzählst du mir, was du weißt?«
Natürlich tat er das, weil er vor seiner Frau keine Geheimnisse hatte, und sie würde es ohnehin erfahren. Warum also nicht sofort.
Er erzählte ihr, dass Dr. Roberta Steinfeld eine erfahrene Ärztin war, vor allem eine ganz hervorragende Diagonistikerin, die sich immer wieder weitergebildet hatte.
»Sie leitete zusammen mit ihrem Ehemann eine große Praxis, deren Erfolg in erster Linie ihr zu verdanken war. Als sie seine ewigen Seitensprünge nicht mehr aushalten konnte, ließ sie sich scheiden und verzichtete, weil sie keine schmutzige Wäsche waschen wollte, auf ihren Anteil an der Praxis und ging. Das Angebot von Dr. Riedel kam ihr gerade recht. Privat ist sie ziemlich am Boden, beruflich freut sie sich auf die neue Herausforderung.«
»Und wenn sie sich wieder gefangen hat, wird sie dann gehen?«
»Liebes, darüber müssen wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Es ist allein ihre Entscheidung. Lass sie doch einfach erst mal ankommen. Ich werde ihr auf jeden Fall unvoreingenommen gegenübertreten.«
»Ich doch auch, Werner. So haben wir es bisher immer gehalten. Wieso sollte sich da etwas geändert haben? Die von Riedings haben uns mit offenen Armen aufgenommen, ganz besonders Sandra. Das werde ich nie vergessen.«
Der Professor nickte zufrieden.
»Da jetzt alles geklärt ist: Was hältst du davon … sollen wir noch gemeinsam auf der Terrasse einen Espresso hinken, ehe ich wieder an meine Arbeit gehe?«
Dagegen hatte Inge nichts einzuwenden, im Gegenteil.
Während sie sich an der Espressomaschine zu schaffen machte, hörte sie ihren Mann rufen: »Für mich bitte einen Doppelten.«
Sie lächelte. Als wenn sie das nicht wüsste.
*
Dr. Roberta Steinfeld deutete auf zwei große Kartons, die angefüllt waren mit Bekleidungsstücken.
»Damit mach, was du willst, Nicki. Du kannst die Sachen behalten, du kannst sie verkaufen, verschenken, ins Frauenhaus bringen.«
Nikola