Die Konsolidierung der fränkisch-bayerischen Herrschaft an der Donau unterhalb der Enns konkurrierte zunehmend mit den Expansionsbestrebungen des mährischen Fürstentums (in der Literatur oft missverständlich »Großmähren« genannt), dessen Zentren in Mikulčice und Staré Město in Südmähren (wo es jeweils eindrucksvolle Grabungsbefunde eines hochrangigen Herrschaftszentrums gibt) und im slowakischen Nitra lagen. Die politischen Beziehungen zum fränkischen Herrschaftsraum fluktuierten seit den 830er Jahren zwischen Unterwerfung, politischer Partnerschaft und Krieg. Die Mährer hatten den Slawenfürsten Priwina aus Nitra vertrieben, der in fränkische Dienste trat und für den ca. 840 ein Fürstentum mit dem Zentrum in Mosapurc am Südwestufer des Plattensees eingerichtet wurde; später ging es auf Priwinas Sohn Chozil über. Bedeutsam wurde eine Episode in der Auseinandersetzung zwischen Franken und Mährern, als der Mährerfürst Rastislav und sein späterer Nachfolger Zwentibald/Svatopluk in Byzanz um Lehrer und einen Bischof baten, um nicht, mit allen politischen Implikationen, der fränkischen Kirche unterstellt zu bleiben. 863 kamen daraufhin die Brüder Konstantin-Kyrill und Method nach Mähren und brachten eine von ihnen entwickelte slawische Schrift, die Glagolica, mit. Es kam zu einer längeren Auseinandersetzung mit der fränkisch-bayerischen Kirche. In diesem Streit erhielt Method auch Unterstützung aus Rom (wo Konstantin starb) und von Fürst Chozil am Plattensee. Im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen wurde Method 870 gefangen genommen und auf einer Regensburger Synode wegen Eindringens in eine fremde Diözese verurteilt; erst nach scharfer päpstlicher Intervention kam er 873 frei und verbrachte später noch einige Jahre bis zu seinem Tod 885 bei den Mährern. Das Werk der »Slawenapostel« wirkte durch slawische Schrift und Liturgie traditionsbildend, hat sich in ihrem mitteleuropäischen Wirkungsgebiet aber nicht durchgesetzt. Das Verhältnis der Bayern zu den Mährern blieb konfliktreich; doch gab es daneben auch friedliche Handelsverbindungen, wie es die in den ersten Jahren des 10. Jahrhunderts entstandene »Zollordnung von Raffelstetten« (bei St. Florian, Oberösterreich) bezeugt, die den Donauhandel regulierte.
Die Konflikte Ludwigs mit Karlmann und beider mit den Mährern rissen bis zu Ludwigs Tod 876 nicht ab; bald darauf starb auch Karlmann. Die Kontrolle über das Ostland an der Donau bis zur Raab lag seit 871 beim Traungauer Grafen Ar(i)bo, der sie trotz der zunehmend schwierigen politischen Lage bis nach 907 behielt; er wird in den Quellen bereits »Grenzgraf« oder Markgraf genannt. Karlmanns Sohn Arnulf »von Kärnten« kommandierte in Karantanien (damals das heutige Kärnten und die Steiermark mit einigen Randgebieten); dort hatte die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts einen beachtlichen Ausbau der Infrastruktur gebracht, das Land war auch weniger durch Kriegsereignisse beeinträchtigt als das Gebiet an der Donau. Immerhin reichten die Ressourcen des Ostens aus, dass Arnulf 887 »mit einer starken Schar von Bayern und Slawen« ostfränkischer König werden konnte. In Karantanien folgte ihm mittelbar (Mark-)Graf Luitpold, der von dieser Basis aus nach Bayern ausgriff und Ahnherr der Bayernherzöge des 10. Jahrhunderts wurde.
Innere Konflikte, Kämpfe gegen die Mährer, Abzug von Ressourcen für ehrgeizigere politische Ziele: Das im Aufbau befindliche Gebiet in den Ostalpen und an der Donau blieb verwundbar. Das sollte sich zeigen, als sich Ende des 9. Jahrhunderts die Ungarn (oder Magyaren) ausbreiteten. Sie waren ein gemischter Verband von Reiterkriegern aus den südrussischen Steppen, die dort im 9. Jahrhundert unter chasarischer Oberherrschaft lebten. Vor den Vorstößen der Petschenegen, aber auch mit Billigung aus Byzanz verlagerten sie ihren Schwerpunkt langsam nach Westen. Schon im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts scheinen die Mährer ungarische Hilfstruppen eingesetzt zu haben, worüber sich der Salzburger Erzbischof Theotmar (reg. 873–907) beim Papst brieflich beschwerte, als ihm vorgeworfen wurde, er habe selber mit den Ungarn paktiert. 881 berichten Salzburger Annalen von einem Kampf mit den Ungarn bei Wien. 892 setzte König Arnulf seinerseits ungarische Hilfstruppen gegen die Mährer ein. 894 plünderten Ungarn »ganz Pannonien«, bald griffen sie die Mährer an, deren Reich sie schließlich vernichteten. 899 brachen sie zu einem ersten Plünderungszug nach Oberitalien auf. 902 luden die Bayern den obersten Herrscher der Ungarn, Cussal/Kurszán, an der Fischa zu einem Gastmahl ein, wo sie ihn verräterisch umbrachten. Das nützte seinem Rivalen Árpád, der nun die Herrschaft ergriff, die noch lange bei der Árpádendynastie blieb. Gegen die zunehmenden ungarischen Plünderungszüge gingen die Bayern 907 in die Offensive. Doch ihr Heer wurde vermutlich bei Pressburg/Bratislava vernichtet, Markgraf Luitpold, Erzbischof Theotmar und viele andere Bischöfe und Adelige fielen. Die Verdichtung der bayerischen Herrschaft an der niederösterreichischen Donau und in Karantanien wurde unterbrochen, das Gebiet war zur Grenzzone und zum Durchzugsgebiet für ungarische Heere geworden. Doch wurde, anders als 300 Jahre zuvor, nicht die gesamte Infrastruktur zerstört. Die bayerische Kolonisation der Slawengebiete Ostösterreichs und der teils romanischen Alpengebiete des Westens wurde nach einigen schwierigen Jahrzehnten im 10. Jahrhundert fortgesetzt.
Die Länder und das Reich (907–1278)
Von Christian Lackner
Epochenüberblick
In dem ethnisch, kulturell und sprachlich vielfältigen südöstlichen Randgebiet des Regnum Teutonicum entstanden im Verlauf des hohen Mittelalters auf der Grundlage älterer Raumordnungen, doch von diesen deutlich abgesetzt, neue territoriale Gebilde, die Länder, die über viele Jahrhunderte die politische Landkarte prägen sollten. Untrennbar verknüpft ist deren Genese mit demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren, kurz der gemeineuropäischen hochmittelalterlichen Wachstumsphase, deren Dynamik Binnenkolonisation und Urbanisierung vorantrieb. Die Geschichte dieses ostalpinen Raumes im Hochmittelalter kann nur aus dem Ineinandergreifen zentraler und regionaler Kräfte verstanden werden. Meist waren schon im frühen Mittelalter politische Gebilde vorhanden, die jetzt ausgebaut oder zu neuen Einheiten zusammengefügt wurden. Die Art und Weise, wie dies geschah, war fast bei jedem Land anders, und die Entwicklung verlief bei den einzelnen Ländern auch zeitlich nicht synchron. Im Falle von Österreich und der Steiermark nahm der Landwerdungsprozess von einer ottonischen Mark seinen Ausgang, trat im 12. Jahrhundert in die entscheidende Phase und war zu Ausgang des Jahrhunderts bereits weitgehend abgeschlossen. Die Erhebung zu einem Herzogtum (Österreich 1156, Steiermark 1180) legitimierte hier jeweils die faktisch eingetretene Entwicklung. Dass der mit der Grenzsicherung betraute Markgraf eine stärkere Position als Grafen im Binnenland besaß, hat die frühe Ausformung der Länder Österreich und Steiermark wahrscheinlich ebenso begünstigt wie der Umstand, dass beide Gebiete weithin Kolonisationsland mit hohem Wachstumspotential darstellten. Vorteilhaft wirkte zudem die durch Babenberger (976–1246) bzw. Otakare (ca. 1050–1192) gegebene dynastische Kontinuität.
Einen gänzlich anderen Verlauf nahm die Entwicklung in Kärnten. Schon 976 als Herzogtum eingerichtet, wurde Kärnten erst lange nach Österreich und der Steiermark zu einem Land, wobei dieses spätmittelalterliche Land Kärnten nur einen Bruchteil des älteren Herzogtums umfasste. Aus der Zusammenfügung verschiedener Grafschafts- und Vogteirechte erwuchsen Tirol und Salzburg. Bei ähnlicher Ausgangslage – Ottonen und Salier hatten wichtige Grafschafts- und Herrschaftsrechte in die Hände von Bischöfen (Brixen, Trient bzw. Salzburg) gelegt – setzte sich in Tirol ein weltliches Dynastengeschlecht, die Grafen von Görz-Tirol, als Landesfürsten durch, während Salzburg zu einem großen geistlichen Territorium wurde.
Schon frühzeitig wurde im Ostalpenraum