»Wieso wissen Sie, dass er Türke ist?«, reagierte Margot Kitzler als Erste. »Das glaube ich nicht. Die haben doch alle so große Nasen und einen Schnurrbart.«
»Meine letzte Freundin hieß mit Nachnamen Yilmaz und die war Türkin.«
»Du hast eine türkische Freundin?«, fragte Walter stirnrunzelnd.
»Was dagegen?«
»Ich hoffe, nicht so eine mit Kopftuch.«
»Am Ende müssen Sie die noch heiraten!«, stellte Frau Professor Rosenblatt das Schlimmste in Aussicht.
»Wenn Sie selbst zum Islam übertreten, dürfen Sie sich vier Frauen nehmen!«, sah Margot Kitzler die Sache positiv.
»Setzen Sie doch dem Buben nicht so einen Floh ins Ohr! Ich füttere doch nicht zu meinem eigenen Sohn noch vier Ehefrauen durch!«
Frau Professor Rosenblatt schnaubte und Margot Kitzler kicherte erheitert bei dieser Vorstellung.
»Sie hat vor kurzem geheiratet«, beruhigte Tommy seinen Vater. »Einen Kurden.«
»Die ist eh verheiratet? Wieso sagst du uns das erst jetzt?«
»Wenn du zugehört hättest, dann hättest du mitbekommen, dass ich von meiner letzten Freundin gesprochen habe.«
»Sei nicht frech zu deinem Vater!«, drohte Walter. Nach einer Nachdenkpause fragte er: »Wieso ist die überhaupt mit einem Kurden verheiratet? Ich dachte, die führen Krieg gegeneinander.«
»Die Liebe überwindet eben alle Hürden …«
»Na, zum Glück war ihre Liebe zu dir nicht allzu groß!« Walter konnte sich schon etwas entspannter im Stuhl zurücklehnen. Die Entspannung war jedoch nur von kurzer Dauer.
»Meine jetzige Freundin stammt aus Nigeria«, verkündete Tommy und schleckte genüsslich den Nachspeisenlöffel ab. »Aus Lagos. Wahrscheinlich werde ich ein paar Wochen dort Urlaub machen.«
»Nur über meine Leiche!«
»Bist du auf deine alten Tage ein Rassist geworden, Papa?«
»Ich, ein Rassist? So was lasse ich mir von dir Grünschnabel sicher nicht vorwerfen!« Entrüstet blickte er seine Frau an. »Jetzt sag doch auch endlich was, Beate!«
»Du hast Tofu zwischen den Zähnen.«
Über Tommys Gesicht huschte ein spitzbübisches Lächeln. »Das mit Nigeria war ein Witz, Papa!«
»Ein Witz? Ich finde das gar nicht lustig!«
»Entspann dich, Walter«, entschloss sich Beate, wieder am Gespräch teilzunehmen.
»Drei Wochen mit euch hier eingesperrt und ich bin ein nervliches Wrack!«
Margot Kitzler griff über den Tisch und legte beruhigend ihre Hand auf die von Walter. »Seien Sie ein wenig lockerer«, munterte sie ihn auf. »Wenn Sie erst mal eine Woche hier sind, werden Sie alles viel entspannter sehen.«
Beate lächelte Margot Kitzler freundlich zu. »Frau Kitzler hat vollkommen recht, Walter. Du musst lernen, ein wenig abzuschalten. Wir sind auf Wohlfühlurlaub.«
»Wie soll ich mich wohlfühlen, wenn es alle auf mich abgesehen haben!«
»Ich habe mich am Anfang auch über vieles aufgeregt«, gab Frau Kitzler zu. »Und schauen Sie mich nach zwei Wochen an – ich bin die Gelassenheit in Person! Selbst die Frau Professor kann mich nicht mehr aus der Ruhe bringen.«
»Ihr habt ja recht«, lenkte Walter ein. »Ich reg mich viel zu leicht über alles auf. Herr Ober!« Er winkte dem aufmerksamen Kellner. »Eine Runde Biowein für uns alle!«
Überrascht schaute Beate ihren Mann an. Was war denn plötzlich in den gefahren? So großzügig kannte sie ihn gar nicht.
Während Walter schnell die Kosten im Kopf überschlug, rechnete sich Beate die Kalorien aus. Ach was, sagte sie sich, wenn ihr Mann schon einmal gut drauf war, sollte sie ihn gewähren lassen. Wer weiß, wann er wieder in Spendierlaune sein würde. Das letzte Mal, dass er eine Tischrunde ausgegeben hatte, war, als Tommy zur Welt kam. Das war vor fünfundzwanzig Jahren!
Als der Wein auf dem Tisch stand und Walter nach einem kleinen Schock die Rechnung unterschrieben hatte, hob er sein Glas. »Auf unser Wohl!«
Sie prosteten sich zu.
Opa, der an seinem dritten Glas nuckelte und immer besser gelaunt war, krähte: »Ohne Wein und ohne Weiber, hol der Teufel uns‘re Leiber.«
Walter tätschelte die Hand seines Vaters. »Lass gut sein, Papa.«
Frau Professor Rosenblatt hob eine Augenbraue und meinte: »Mit den Weibern wird’s wohl nix mehr werden, Herr Schneider.«
Die Neuen
»Linda und Wilhelm Busch! Einen schönen guten Abend!«, knarrte eine laute Stimme durch den Saal.
»Was ist los?«
Am Nachbartisch hatte sich ein neu angekommenes Ehepaar niedergelassen. Beide waren Mitte sechzig, der Mann trug einen steirischen Trachtenanzug und einen roten Haarpelz auf dem Kopf, wie ein Orang-Utan. Dazu passten die überlangen Arme. Er war groß und quadratisch und sein Kopf schien ihm direkt aus den Schultern zu wachsen. Seine Frau war dick, platinblond, und gab sich alle Mühe nett zu sein. Allerdings hatte sie ein Gesicht so voller Sommersprossen, dass man glauben könnte, sie war von einer Schrotladung brauner Farbe im Gesicht getroffen worden. Sie trug ein Dirndl, welches einen Einblick in ihren Ausschnitt erlaubte, dass dem Mann aus der Teebar beinahe die Augen aus dem Kopf fielen.
Das Paar schien gut gelaunt und nickte motiviert in die Runde.
»Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät zum Abendessen!«, rief Herr Busch.
»Schaut euch die an«, ätzte Walter leise, »die wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt.«
Beim herbeieilenden Kellner, der die Neuankömmlinge herzlich begrüßte und gleichzeitig versicherte, dass der Speisesaal bis zwanzig Uhr geöffnet hatte, bestellte Herr Busch als erstes ein Bier.
»Ein großes Helles, bitte!«, verlangte er mit laut scheppernder Stimme und grinste leutselig in den Speisesaal hinein.
Augenblicklich hörte im Saal das leise Gemurmel auf, die Gespräche stockten und die Temperatur sank um mindestens fünfzehn Grad. Köpfe drehten sich in seine Richtung und Leichenbittermienen maßen ihn empört. Am empörtesten aber schaute Walter drein, obwohl er sich klammheimlich über den neuen Gast freute, denn jetzt war er mit seinen Sonderwünschen nicht mehr allein.
Beate nickte dem Ehepaar jetzt entschuldigend zu, so als sei sie an der Ernährung im Hotel schuld, und Frau Professor Rosenblatt presste empört die Lippen zusammen.
Nur Opa krähte: »Hopf und Malz, Gott erhalt‘s!«
Der Kellner verkündete: »Wir servieren Wasser zum Essen.«
Herrn Buschs Lippen formten das Wort Wasser, als habe man ihm Arsen angeboten. Man konnte buchstäblich sehen, wie die kleinen grauen Zellen in seinem Kopf Amok liefen.
»Sie können Biowein haben«, versuchte es der Mann aus der Teebar.
Walter beugte sich über Beate zum Nachbartisch hinüber und bemühte sich erst gar nicht, seine Schadenfreude zu verbergen: »Vier Euro achtzig das Glas!«
Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, stand Biowein eindeutig nicht auf Herrn Buschs Prioritätenliste.
»Heute haben Sie zwei Menüs zur Auswahl«, führte der erfahrene Kellner geduldig aus. »Kichererbsen und Grünkornbrätling auf Cremespinat. Oder Ofenkartoffel mit Kohlsprösschen in Kurkuma-Rahmsause.«
Die