So trennte er sich zum ersten Mal von der Familie, bereit, aufzubrechen, um sie zu retten – und um all jene Lügen zu strafen, die sagten, er würde es nie schaffen.
Er würde beweisen, dass sie sich irrten, dass keine Reise ins Ungewisse unmöglich ist, solange man das Ziel kennt.
Und er wusste, wohin er die Argo führen musste: ins ferne Kolchis, auf der Suche nach dem Goldenen Vlies, dem magischen Widderfell, von dem alle schon gehört hatten, das aber noch keiner gesehen hatte.
Noch kannte er die Route nicht, die er nehmen musste, doch das war egal.
Das andere, was für ein Schiff zugerüstet werden muss, liegt ja alles wohl geordnet bereit für uns, die wir uns nun aufmachen. Also wollen wir darob die Schifffahrt nicht lange aufschieben.
Und Jason machte sich als Erster ans Werk, befestigte die Segel am Mast, umgürtete das Schiff mit einem Tau und legte dieses auf einen Felsen von Iolkos, der längst blank gespült war.
Die Freunde taten es ihm gleich.
Und abwechselnd […] stemmten [sie] zugleich Brust und Hände dagegen. Und hinein schritt also Tiphys, damit er die jungen Männer antreibe, im richtigen Moment zu ziehen.
Die Argo war bereit und mit ihr die Argonauten.
Und zum ersten Mal in der Geschichte des Menschen sollte ein Schiff ins Meer gleiten.
Zeit auszulaufen
Wenn alles wie am Schnürchen klappt, wenn alles bereit ist und die Fracht auf dem Rettungsboot gut verteilt ist, gibt es keinen Grund mehr, einen Rettungsring zu tragen. Werfen Sie ihn auf den Boden des Bootes und vergessen Sie ihn.
Laufen Sie aus.
Aber als die glänzende Eos* mit schimmernden Augen die steilen Kuppen des Pelion erblickte und die Klippen unter heiterem Himmel im Wind bespült wurden, weil die Salzflut in Bewegung ivar, da nun erwachte Tiphys.
Und sofort trieb er die Gefährten an, das Schiff zu besteigen. Es war Zeit auszulaufen.
Gewaltige Schreie erhoben sich im Hafen, und auch die Argo jubelte: Denn in sie war ein göttlicher sprechender Stamm aus der Dodonischen Eiche eingefügt, den Athene in der Mitte des Vorderstevens eingepasst hatte, um den jungen Männern die Einsamkeit der Schifffahrt erträglicher zu machen.
Die Argonauten nahmen ihren Platz an den Rudern ein. In der Mitte saß der mächtige Herakles, neben sich hatte er seine Keule gelegt. Und unter seinem Gewicht tauchte der Rumpf des Schiffes etwas tiefer ein.
Der Stapellauf eines Schiffes ist ein einzigartiger Augenblick: Sobald das Schiff zum ersten Mal das Salzwasser berührt, die Anker gelichtet sind, hat es seine Jungfräulichkeit verloren und wird auf immer zur See fahren.
Veränderungen müssen gebührend gefeiert werden, alles andere wäre Verrat oder Gleichgültigkeit.
Die Argo wurde dank ihnen erwachsen, erfüllte ihre Aufgabe, und die jungen Männer feierten ihren Übergang vom Land ins Meer. Manche träufelten reinen Wein ins Wasser, andere sangen zum Klang von Orpheus’ Leier.
Endlich stach die Argo in See.
Und durch den Schaum quoll hier und dort die schwarze Salzflut herauf, schrecklich wogend durch die Kraft der starken, mächtigen Männer. Und es blitzte unter der Sonne, einer Flamme gleich, das Gerät des fahrenden Schiffes. Und lange Wege zogen sich stets weißhin, wie ein Pfad, der sich durch eine grüne Ebene hindurch abzeichnet.
Auch die Götter schauten an jenem Tag vom Himmel auf das Schiff, das davor noch nie das Meer befahren hatte, und auf die halbgöttlichen Männer, die es mit eigenen Händen steuerten. Und auch die Nymphen staunten und seufzten fasziniert.
Ein hell sausender Fahrtwind fiel in das Segel und Argo nahm rasch Fahrt auf.
Alle Argonauten schauten kühn nach vorne, in Richtung der Häfen, die sie noch nicht sahen und nicht kannten, trunken vor Mut und vor Lust auf das Unbekannte.
Nur Jason, ihr Anführer, gestattete sich einen Augenblick der Trauer. In der Antike galt Weinen nicht als Schwäche, sondern als menschliche, wenn nicht gar heroische Geste.
Angst und Heimweh übermannten ihn: Würde er je nach Hause zurückkehren?
Aber Iason wandte unter Tränen seine Augen von seinem Vaterland ab.
Oft sind Tränen das beste Mittel, um sich auf das Neue vorzubereiten.
Egal ob Freuden- oder Schmerzenstränen, sie retten uns oft das Leben. Denn Tränen verschleiern den Blick und verhüllen so einen Augenblick lang den Anblick dessen, was man für immer verliert. Die Augen sehen nicht mehr den Verlust und verhindern so die Gefahr des Bedauerns, die Versuchung zu verzichten.
Doch wenn die Augen wieder trocken sind und man sie wieder aufschlägt, erblicken sie das, was man ohne Aufschub vollbracht hat, was vor einem liegt wie ein noch nie gesehenes Gemälde.
Wir sollten uns gestatten, öfter zu weinen: Weinen hilft, sich nicht umzublicken, es hilft, mit geschlossenen Augen ins eigene Innere zu blicken und dann mit geöffneten Augen nach vorne zu schauen.
Der Drang zur Veränderung, die Kraft zu entscheiden, der Mut zu lieben, die ehrenhafte Treue, vor allem zu sich selbst, die Fähigkeit, von sich zu sprechen: All das erlaubt dem Menschen in jeder Epoche, das Leben voll auszukosten und in Würde zu leben.
Tag für Tag, bis zum letzten, empfinden wir diesen Schauer.
Wir sollten jubeln, denn das ist der einzige unwiderlegbare Beweis, dass wir am Leben sind.
Und dass wir auf der Welt sind, um etwas Großes zu vollbringen, dessen Maßstab einzig und allein wir selbst sind.
Diese Aufregung empfinden wir seit unserer Kindheit, seit dem ersten Schultag, den wir nie ganz vergessen haben. Bei der Erinnerung daran empfinden wir unendliche Zärtlichkeit für das körnige Bild, auf dem wir sorgfältig frisiert auf der Schwelle stehen, bereit, vielfältigste Gefühle zu entdecken und sie alle gleichzeitig zu empfinden.
Man will unbedingt wissen, welche Bank man zugewiesen bekommt, man ist neugierig auf die Klassenkameraden, man hat Angst vor der Lehrerin, man ist für ein paar Stunden vom wachsamen Blick der Eltern befreit, man fürchtet sich vor dem Urteil der anderen, hofft, einen Freund zu finden – den besten Freund für den Rest des Lebens.
Wenn wir so zum ersten Mal allein in der Welt stehen, ergreift uns ein Schauder. Dieses Schaudern werden wir bei allen anderen unvorhergesehenen und überraschenden ersten Malen immer wieder empfinden – von dem Moment, wo wir das erste Mal das Klassenzimmer der ländlichen Volksschule betreten, bis zur Einschreibung an der Universität der großen Stadt, wenn wir nach vielen Bewerbungsgesprächen endlich in einem Büro arbeiten, bis wir uns plötzlich in jemanden verlieben, den wir erst einmal am Abend gesehen haben und unbedingt wiedersehen wollen.
Das ist die trunken machende Aufgabe, die man uns gegeben hat und die nur wir lösen können: uns selbst kennenzulernen und dafür zu sorgen, dass die anderen uns kennenlernen.
Doch je älter wir werden, desto komplizierter werden die Dinge, die Beziehungen werden komplexer, die Verantwortung wächst, die Wünsche werden größer, die Leidenschaften außergewöhnlicher – wir sind nicht mehr wie alle anderen in unserer Umgebung, wir haben Entscheidungen für uns getroffen und festgestellt, dass jeder von uns auf seine Weise seltsam ist.
Und so weisen wir aus Angst den Instinkt zurück, der uns jeden Tag – als wäre er der erste – infrage stellt, er ist nämlich immer der erste.
Wir hören lieber nicht auf ihn, tun so,