Dem strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund entspricht im Zivilrecht die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), ist somit in derartigen Fällen das Gegenstück des Notstandes. Nach § 677 BGB kann für jemand ein »Geschäft« geführt werden ohne dessen Auftrag, sofern es dessen vermuteten Willen entspricht:
Wer ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein, hat das Geschäft so zu führen, wie das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert.
Der »Andere« ist bei einer Gefährdung des Kindeswohls das Kind. Selbst gegen den Willen des Betroffenen (also auch der Eltern) kann man bei »öffentlichem Interesse« tätig werden (§ 678 BGB). Wie bereits dargestellt30 ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern entspricht darüber hinaus dem Schutzauftrag des Staates und seiner Institutionen31, weshalb Informationen trotz der Schweigepflicht an Jugendämter, Polizei etc. weitergegeben werden, wenn dies zum Schutz des Kindes erforderlich ist.
Nach § 4 KKG ist es »Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert«, also Pflegefachkräften ausdrücklich gestattet, das Jugendamt zu informieren, sofern gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vorliegen und eine Erörterung mit den Personensorgeberechtigten (also meistens den Eltern) erfolglos oder direkt zum Schutz des Kindes notwendig ist (§ 4 Abs. 3 KKG).
Jugendliche (also ab dem 14. Lebensjahr) entscheiden selbst über die Schweigepflicht.
Eine Schweigepflicht und damit ein Zeugnisverweigerungsrecht bestehen nicht, sofern die jeweilige Pflegekraft nach § 138 StGB zur Strafanzeige verpflichtet ist:
(1) Wer von dem Vorhaben oder der Ausführung
1. einer Vorbereitung eines Angriffskrieges […],
2. eines Hochverrats […],
3. eines Landesverrats oder einer Gefährdung der äußeren Sicherheit […],
4. einer Geld- oder Wertpapierfälschung […] oder einer Fälschung von Vordrucken für Euroschecks oder Euroscheckkarten […],
5. eines Mordes (§ 211) oder Totschlags (§ 212) oder eines Völkermordes (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Kriegsverbrechens (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches),
6. einer Straftat gegen die persönliche Freiheit […] soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder 239b,
7. eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung […] oder
8. einer gemeingefährlichen Straftat in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 310, 313, 314 oder 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3 oder der §§ 316a oder 316c
zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, zu einer Zeit, zu der die Ausführung noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt, der Behörde unverzüglich Anzeige zu erstatten. § 129b Abs. 1 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
Bei einer Anzeige in den im Gesetz genannten Fällen können Pflegekräfte selbstverständlich nicht wegen Verletzung ihrer Schweigepflicht zur Verantwortung gezogen werden.
Um den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten, sollte folgendes beachtet werden:
• Es sollte die größtmögliche Diskretion gewahrt werden.
• Die Datenerfassung muss auf das erforderliche Maß begrenzt werden.
• Weitergabe und Speicherung von Daten müssen zweckgebunden sein.
• Soweit möglich sollten Daten vor der Weitergabe anonymisiert werden.
Bei der Beachtung dieser Leitlinien wird der Anspruch des zu pflegenden Menschen auf den Schutz seiner Privatsphäre und somit seines Persönlichkeitsrechts erfüllt.
Im Heim und Krankenhaus hat selbstverständlich die Leitungsebene nicht nur die Pflicht, die Privatsphäre der Bewohner bzw. Patienten zu schützen, sondern zusätzlich die Daten der Mitarbeiter.
1 Näheres zur Zwangsbehandlung: (
2 (
3 Vertiefung u. a. bei der Patientenverfügung: (
4 Näheres in: (
5 BVerfG, Beschl. v. 24.07.2018, Az.: 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16
6 BVerfG a. a. O. und BGH, Beschl. v. 20.06. 2012, Az.: XII ZB 99/12, XII ZB 130/12 und XII ZB 99/12
7 Erläuterung »Beweislast« unter: (
8 Zur medizinrechtlichen Rechtsprechung auch: Kienzle (2017), dort Kapitel 2.5.1.1
9 Genaueres unter: (