Birte Wolfrum und Michael Sauer untersuchten anhand eines bereits veröffentlichten Aufgabenbeispiels zur antiken Geschichte (Xenophons Oikonomikos in zwei Textvarianten), wie Schüler*innen der 6. und 11. Schulstufe – 87 bzw. 42 Proband*innen – im Umgang mit Textquellen fachspezifischen Kompetenzanforderungen entsprechen können. Hier stand allerdings weniger der reflektierte Umgang mit einer Textquelle im Fokus der Untersuchung,46 sondern vielmehr das Textverstehen und die Ausprägungen fachspezifischer konzeptioneller Vorstellungen der Schüler*innen zu Perspektivität und Wandel, die entlang von Aufgabenstellungen zu einer Textquelle zutage traten. Dabei sollten die Schüler*innen der 6. Schulstufe in der ersten Stufe (Vorbereitung/Teilstufe des Textverstehens) ungebräuchliche Wörter aus dem Kontext des Textes erklären und die Textstruktur durch Gliedern erfassen, in der zweiten Stufe (Textverstehen) die Autorenaussagen und -begründungen paraphrasieren und in der dritten Stufe (Perspektivierung) eine heutige Perspektive unter dem Aspekt der Veränderung formulieren sowie eine historische Fremdperspektive übernehmen und ausformulieren. In der 11. Schulstufe sollte in Stufe 1 die Textaussage und Begründung durch den Autor wiedergegeben werden, in Stufe 2 der historische Kontext erläutert und in Stufe 3 ein problematisierender Gegenwartsbezug hergestellt werden.47 Auch wenn Sauer/Wolfrum festhalten, dass es bei manchen Aufgaben fraglich ist, ob sie „überhaupt adäquat zu lösen“48 sind, dass Arbeitsaufträge „nicht präzise genug formuliert“49 waren und geforderte Vorkenntnisse zu thematischen Aspekten (Lebensverhältnisse im antiken Sparta und Athen, antiker „Oikos“) bei den Proband*innen zur historischen Kontextualisierung fehlten,50 kommen sie zum Schluss, dass Perspektivierung in der Vergangenheit, Erläuterungen im historischen Kontext und problematisierende Gegenwartsbezüge nur sehr begrenzt gelängen. Offene Aufgabenstellungen, die komplexe Operationen fordern, müssten auch noch in der Sekundarstufe II detaillierter angeleitet und anspruchsvollere Denkoperationen entsprechend trainiert werden.51
Auf der Grundlage der Zielformulierung, dass Schüler*innen den Umgang mit Quellen selbstständig und methodisch reflektiert beherrschen lernen sollen, untersuchte Michael Sauer den Einsatz von Textquellen (neben Bildquellen) im Unterricht in Form von Unterrichtsbeobachtungen (128 Geschichtsstunden) aus der 5. bis zur 13. Schulstufe und mittels Fragebögen zur Quellenarbeit, die von 688 Schüler*innen und 51 Lehrer*innen beantwortet wurden.52 Die Ergebnisse belegen, dass Quellenarbeit, und hier v. a. die Arbeit mit Textquellen, sowohl in der Einschätzung der Lehrpersonen als auch in der beobachteten Praxis einen hohen Stellenwert einnimmt. In 82,4 % der beobachteten Unterrichtsstunden wurden Quellen eingesetzt (häufiger Textquellen – mit 87,7 % – als Bildquellen), die in 46,3 % der Fälle im Schulbuch präsentiert wurden (56,2 % als Kopie).53 Auch die Arbeitsaufträge für Textquellen wurden häufiger aus der Vorlage, u. a. dem Schulbuch, übernommen als für Bildquellen. Dies spiegelt sich auch in der Befragung wider, in der die Bedeutung der Textquellenarbeit insgesamt als hoch eingeschätzt wird. Nach Angaben der Lehrkräfte werden Textquellen zu 52,1 % jede Stunde eingesetzt.54 Sauer sieht v. a. in der methodischen Gestaltung des Textquelleneinsatzes Entwicklungspotenziale, wenn im Rahmen der Untersuchung festgestellt werden konnte, dass ein Drittel der Quellen unkritisch als reiner Informationstext eingesetzt wurde und – entgegen der Angaben von Schüler*innen – das ausdrückliche Einüben bzw. Training von Quellenarbeit sowie die methodische Reflexion derselben nur selten beobachtet werden konnten.55
Darüber hinaus spielen in der vorliegenden Arbeit viele weitere Aspekte von Schulbuchanalysen eine Rolle, die nicht dezidiert auf Textquellen abzielen. Zuvorderst sind die zahlreichen empirischen Untersuchungen von Arbeits- bzw. Lernaufgaben in Geschichtsschulbüchern (und im Geschichtsunterricht) zu nennen, die in den letzten Jahren an verschiedenen Hochschulstandorten entstanden.56 Die Untersuchungen zeigen dabei, dass der inhaltsorientierte Zugang in Schulbuchaufgaben nach wie vor überwiegt und reproduktive Leistungen, die auf die Festigung deklarativer Wissensbestände abzielen, im Mittelpunkt stehen bzw. Reflexionsprozesse eine untergeordnete Rolle spielen.57 Ohne auf all diese Studien hier im Detail einzugehen, sei darauf hingewiesen, dass auf ausgewählte Ergebnisse dieser Arbeiten im Kapitel VI.2 „Analysedimensionen und -kategorien: Das Untersuchungsinstrument“ und im Kapitel VII „Ergebnisse“ referiert wird.
Zu erwähnen sind auch eine an der Universität Münster entstandene und publizierte Masterarbeit zum Aspekt der Lernprogression in Geschichtsschulbüchern, die neun deutschen Geschichtsschulbüchern aus drei Reihen zu den Schulstufen 5 bis 9 unterschiedliche Ausprägungen an „Progressivität“ in den Bereichen „Darstellungsteil/Autorentexte“, „Materialteil“ und „Arbeitsaufträge“ attestiert,58 und eine jüngere Studie von Christoph Bramann und Christoph Kühberger zu Differenzierungsmöglichkeiten in Schulbüchern über Aufgaben und Materialien, in der trotz vermehrter Ansätze zu differenzierenden Zugängen in aktuelleren Geschichtsschulbüchern nur punktuelle Momente der Differenzierung und v. a. Defizite in der Gestaltung diversitätssensibler und unterstützender Lernhilfen in Form von durchdachten Scaffolding-Konzepten festgestellt werden.59 Auf beide Arbeiten wird vorliegenden Band im Kapitel VI.4 „Elemente fachspezifischer Lernprogression“ und im Kapitel VII „Ergebnisse“ Bezug genommen.
Abseits unterschiedlicher über den Umgang mit Textquellen hinausführenden Schulbuchanalysen sollen hier ebenso Studien zum Schulbuchverständnis und Arbeiten zu aus empirischen Forschungsergebnissen abgeleiteten Hinweisen für die Schulbuchkonstruktion erwähnt werden.60
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21 Vgl. Schönemann/Thünemann 2013, 7. Vgl. auch Fuchs/Bock 2018.
22 Vgl. die Meilensteine der Analyse-“Kriterienbündel“ nach Schönemann/Thünemann 2010, 41–43: Bodo von Borries 1980, Jörn Rüsen 1992, Alexandra Binnenkade und Peter Gautschi 2003, Alexander Schöner und Waltraud Schreiber 2006.
23 Vgl. Schreiber 2013a, 42.
24 Vgl. Kühberger 2014b.
25 Vgl. www.schulbuchaktion.at: „Die österreichische Schulbuchaktion ist eine familienpolitische und bildungspolitische Leistung. Als Leistung des Familienlastenausgleichs dient die Schulbuchaktion zur finanziellen Entlastung der Eltern und ist gleichzeitig ein wichtiger