Die gebannte Stille hielt noch etwas, bis Elija das Wort ergriff. „Deine Bescheidenheit ist tugendhaft. Aber was geschehen ist, ist von zu großer Tragweite, als dass man es mit Glück betiteln könnte.“ Ihr Lächeln war so mütterlich sanft wie ihre Stimme.
Dantra war schon fast geneigt, ihr wider seiner Überzeugung zuzustimmen, als der Kapitän aufstand und mit tiefer Stimme erklärte: „Du hast geschafft, was niemand vor dir geschafft hat. Du hast getan, worauf wir, die freien Völker von Umbrarus, so lange gewartet haben. Du hast das Ende der Tyrannei besiegelt. Wir sind stolz auf dich. Wir kämpfen für dich. Und wir sterben für dich!“
„Aber gerade das will ich nicht!“ Dantras Ärger beruhte auf seiner Angst, all diese Menschen zu enttäuschen, wenn er versagte. „Ich weiß, dass Nomos und Akinna davon überzeugt sind, in mir den Richtigen für diese Aufgabe gefunden zu haben. Aber die Zweifel in mir selbst sind unüberwindbar. Ich habe es nicht einmal geschafft, Comal zu beschützen, wie soll ich dann ein ganzes Volk gegen ein Heer von Drachen beschützen?“
Die einfühlsame Stimme Elijas war es, die ihn wieder etwas beruhigte, und ihre Worte, die ihm viel von seiner Angst nahmen. „Es geht nicht darum, dass du die Drachen besiegst. Wenn man es genau nimmt, hast du deine Aufgabe schon erledigt. Denn den Menschen da draußen kann man über die Macht, etwas zu verändern, viel erzählen. Man kann sie beschwören und sie würden einem doch nicht folgen. Denn sie werden es nie glauben. Du aber hast es ihnen gezeigt. Du hast das Biest vielleicht nicht besiegt, aber du hast gezeigt, dass sie Schwächen haben. Dass sie nicht unbezwingbar sind. Dass es viele Opfer kosten wird, aber dass die Freiheit im vereinten Kampf gegen unsere Unterdrücker zu finden ist. Bürde dir also nicht so eine große Last auf deine Schultern. Selbst wenn der Tag kommt, an dem wir uns alle eingestehen müssen, dass du nicht derjenige warst, für den wir dich alle halten, so wird deine Tat in jedem Fall richtungsweisend sein. Und wenn wir den Sieg nicht mehr erleben, so können unsere Kinder und Enkelkinder doch aus unseren Fehlern für die Zukunft und für den Kampf gegen die Drachen lernen.“
Dies waren Worte, die in Dantra noch lange nachhallten. Die ihn nicht nur beruhigten, sondern auch zuversichtlich in die Zukunft sehen ließen. Nicht, dass er deshalb auch nur ein Stück von seinem Weg des Selbstzweifels abgerückt wäre, aber wenn seine Aufgabe nur darin bestand, Mut zum Widerstand zu zeigen, so war es wohl, wie Elija sagte, und er hatte bereits den größten Teil davon erfüllt. Und wenn er nicht einer der drei Auserwählten wäre und im Kampf sein Leben verlöre, so würde man wohl dennoch seinen Namen nicht mit Spott aussprechen, sondern ihn als Held in Erinnerung behalten. „Was will man mehr?“, dachte er und fühlte förmlich, wie der belastende Felsbrocken von seiner Seele rutschte.
Irretio und Pip lösten Tashtego und Flask an Deck ab, und während diese nun beherzt den Eintopf in sich hineinschaufelten, wiederholte Dantra auf ihr Bitten hin das im Felsenwald Geschehene. Anschließend zeigten sie ihm das Schiff und die Schlafkojen für die nächste Nacht.
Sie waren schon einige Zeit an Deck und die beiden Brüder erklärten Dantra gerade, wie man die Segel hisste, als zwei Glockenschläge ertönten. Tashtego und Flask schoben ihn daraufhin in Richtung der Luke, die unter Deck führte.
„Schnell, Dantra, schnell“, drängten sie ihn. Auch Akinna, die bei Irretio stand, eilte herbei.
„Was ist los?“, fragte Dantra, als sie unten waren, und sah dabei in zwei fast schon panische Gesichter, die ihn von der Luke fernhielten, indem sie durch diese hindurch zum Himmel starrten.
„Das war das Alarmsignal für einen Späher“, erklärte ihm Akinna.
„Ein Späher? Was für ein Späher?“
„Ein Drache, dessen Silhouette man am Himmel nicht nur vorbeihuschen sieht, sondern der wesentlich tiefer fliegt und dabei seine Kreise wie ein Raubvogel zieht.“
Dantra sah sie skeptisch an. „Meinst du, sie suchen nach uns?“
„Ich denke schon“, bestätigte Akinna knapp.
„Aber warum erst jetzt? Es ist doch schon drei Tage her, dass wir im Felsenwald waren. Warum haben wir nicht schon viel früher einen Späher entdeckt?“
Akinnas Antwort blieb zunächst aus. Das Knacken der Holzbohlen über ihnen verdeutlichte die Schritte von Irretio. Kurz darauf knallte die Lukenklappe zu. Nur noch die zwei Petroleumlampen, die in diesem Teil des Ganges an der Wand angebracht waren, erhellten ihre Gesichter.
„Nun“, begann Akinna, „wie gesagt, du bist der erste Mensch, dem es gelungen ist, einen Drachen in die Flucht zu schlagen. Ich denke, selbst solch mächtige magische Geschöpfe wie die Drachen mussten über diese Tatsache erst einmal nachdenken und ihr weiteres Vorgehen abstimmen. Ab jetzt bleiben wir besser unter Deck.“
Anfangs war Dantra nicht besonders davon angetan, die nächsten zwei Tage mit Petroleumlicht zu verbringen, anstatt die Sonnenstrahlen zu genießen. Im Nachhinein jedoch kam ihm die Zeit überhaupt nicht lange vor. Ganz im Gegenteil. Er machte dabei eine Erfahrung, die ihm noch lange ein Gefühl der Sicherheit, Wärme und Geborgenheit schenken sollte. Er dachte eine Weile über das richtige Wort für dieses Gefühl nach, am Ende jedoch lag es klar vor ihm: Familie. Er hatte nie eine gehabt. Zumindest keine, die aus Vater, Mutter und Geschwistern bestand. Eine, in der Harmonie nicht nur ein leeres Wort, sondern eine aus tiefstem Herzen entstandene Lebenseinstellung war.
So war es auch keine Überraschung für Dantra, dass ihm regelrecht schwer ums Herz wurde, als sie bereits am zweiten Tag ihrer Schiffsreise am späten Nachmittag von Bord gingen. Die Zeit auf dem Fluss hatte ihm eine innere Ruhe beschert, die er seit dem Aufenthalt bei E’Cellbra nicht mehr gespürt hatte. So wurden also widerwillig Hände geschüttelt, einander traurige Blicke zugeworfen und Lebewohl gesagt.
Schon nach einigen Schritten moserte Dantra los. „Warum konnten wir nicht noch eine Nacht an Bord bleiben? Heute kommen wir ohnehin nicht mehr weit.“ Seine Laune hatte, im Gegensatz zur Balaena zwei, keine Handbreit Wasser mehr unterm Kiel. Er war frustriert und im höchsten Maße gereizt.
„Glaubst du, ich verlasse gerne meine Freunde früher als nötig?“ Akinnas menschlicher Teil war nicht weniger niedergeschlagen als der Dantras. Dennoch versuchte sie, ruhig und verständnisvoll zu klingen. „Aber sie wegen ihrer angenehmen Gesellschaft und einer bequemen Nachtunterkunft in Gefahr bringen, kann doch wohl nicht in deinem Sinne sein, oder?“
„Wie gefährlich könnte es sein, hier eine Nacht vor Anker zu liegen? Die Balaena zwei ist bestens gegen eventuelle Angriffe geschützt. Und ich hätte ihnen gerne meine Dankbarkeit gezeigt, indem ich ihrem Schiff den Ruf verliehen hätte, es besser nicht anzugreifen, wenn einem das eigene Leben lieb ist.“
Akinna war stehen geblieben und sah Dantra einfühlsam an. „Ich versteh dich ja. Ein weiterer Abend mit dieser herzensguten Familie kommt einem wie ein Geschenk vor. Aber ein voll beladendes Frachtschiff, das nicht unter der Drachenflagge fährt und eine ganze Nacht im Nirgendwo am Ufer vor Anker liegt, ist mehr als verdächtig. Und selbst wenn das nur von Banditen bemerkt wird, der Ruf, von dem du gerade gesprochen hast, wäre gleichzeitig ein Todesurteil. Die Drachen würden erfahren, was für eine Kraft von dem Schiff ausginge. Sie würden natürlich sofort wissen, dass du an Bord bist oder warst.
In jedem Fall würde ein Drachenangriff folgen. Und was das bedeutet, brauche ich dir ja nicht zu erklären, oder? Also glaube mir, es ist für uns alle besser, dass wir die nächste Nacht in einem unbequemen, kalten Loch verbringen. Und das allem Verlangen nach innerer Zufriedenheit zum Trotze.“
An Dantras Schweigen und seinem resignierten Blick erkannte Akinna, dass er ihren Worten, wenn auch nur