Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Torsten W. Burisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960742890
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sahen sich erneut an und waren schnell einer Meinung. An einem Handschlag sollte es nicht scheitern. Wieder nickten sie Mortuus zu. Diese legte den Dolch in ihren Schoß und reichte Akinna ihre linke sowie Dantra ihre rechte Hand. Als sie beide die ihnen dargebotene Hand ergriffen hatten, erklärte Mortuus: „So, nun nehmt ihr euch noch an die Hand.“

      Sie taten wie ihnen aufgetragen und in dem Moment, in dem sie sich anfassten, spürten beide ein seltsames Ziehen. Es war wie ein unsichtbares Seil, das sie aneinander und an Mortuus festhielt, allerdings von innen.

      „Nicht, dass ich euch nicht glauben würde“, sprach die Magierhexe, „aber eine kleine Sicherheit möchte ich mir dennoch lieber verschaffen. Nennt es einfach ein freundschaftliches Band zwischen uns.“ Ein Vertrauen schaffendes Lächeln ihrerseits blieb wirkungslos. „Wie dem auch sei. Ich werde in jedem Fall erfahren, wie eure Mission ausgegangen ist. Aber ich möchte es so schnell wie möglich erfahren und es kann mir keiner so schnell Bericht erstatten wie die, deren Sieg es zu berichten gilt. Solltet ihr also für den Fall, dass ihr erfolgreich seid, erst noch die eine oder andere Siegesfeier planen, bevor ihr mir die Nachricht überbringt, wäre das ein eindeutiger Vertrauensbruch. Und das würde ich sofort, sobald ihr mein Reich betretet, wissen.“ Sie las in ihren Augen, dass sie begriffen hatten, was sie ihnen gerade freundlich, aber bestimmt erklärt hatte. „Und nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihr in eurer Siegeseuphorie glaubt, gar nicht mehr zu mir zurückkommen zu müssen“, ihre Miene, ihr Ton, ihre ganze Körperhaltung nahm erneut den bekannten bedrohlichen Ausdruck an, „werdet ihr auch außerhalb meiner Machtgrenzen meine Rache auf euch ziehen. In Form von ... Verwesung!“

      Dantra wie auch Akinna stockte der Atem. Die Hände der Magierhexe wurden in kürzester Zeit alt, hager und faltig. Ohne eine Möglichkeit, Mortuus loszulassen, mussten sie mit ansehen, wie ihre Hände so schnell alterten, als würde man sie über offenes Feuer halten. Sich dessen wohl bewusst, dass dies nur ein böser Zauber war, etwas, das die Hexe jederzeit rückgängig machen konnte, überfiel die beiden Gefährten dennoch panisches Entsetzen. Wenngleich Mortuus mit ihrer Art, ihnen den Ernst der Lage begreiflich zu machen, bereits sichtlichen Erfolg hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen. Denn nun faulten die Hände der Hexe wie die eines Toten. Das Fleisch wurde suppig, weich und roch nach Kadaver. Ihre Knochen schimmerten immer deutlicher hindurch und die ersten Maden, die sich windend durch die Fäulnis schlängelten, erschienen. Der Ekel vor dem, was sie sahen, vor dem, was sie in ihren Händen hielten, wurde nur noch durch die Furcht übertroffen, genau dasselbe an ihren eigenen Gliedern beobachten zu müssen.

      „Habt ihr verstanden, wie es euch ergehen wird, wenn ihr eurem Versprechen den Rücken kehrt?“, zischte Mortuus durch ihre Zähne. „Oder muss ich noch deutlicher werden?“

      Dantra und Akinna schüttelten mit weit aufgerissenen Augen ihre Köpfe, wobei Dantra diese Geste noch mit einem zittrigen „Wir haben verstanden, ganz bestimmt! Wir haben es verstanden!“ verdeutlichte.

      „So denn.“ Die Hexe ließ die beiden los und im selben Augenblick waren ihre Hände wieder in ihrem natürlichen Zustand.

      Als wollten sie sich von deren Unversehrtheit überzeugen, ertasteten Dantra und Akinna ihre jeweils zurückgewonnene Hand mit der anderen.

      Schweigend und beiläufig, als würde sie Akinna ein Taschentuch reichen, übergab die Magierhexe ihr den Dolch. „Ich habe beschlossen, euch bei der Erfüllung eures Versprechens und bei der Erfüllung eurer Bestimmung zu helfen.“ Die Art, wie Mortuus mit den beiden Gefährten redete, hätte nicht facettenreicher sein können. Nach freundschaftlich, belehrend und drohend war es jetzt jene, die fast alle, die auf einem Thron saßen, an den Tag legten: aus Hochmut Güte walten lassend. Dantra und Akinna bezogen die soeben gemachte Aussage auf das großzügige Überlassen des Dolches. Doch was Mortuus meinte, war etwas ganz anderes.

      „Die Grenzen meines Reiches verlaufen nicht ganz so ...“ Ihr Blick verlor sich kurz nachdenklich irgendwo im Dunkel. „... sagen wir geradlinig, wie ihr glaubt. Während es auf eurer Karte so aussieht, als wären meine Ländereien wie dunkle Flecken über das ganze Land verteilt, handelt es sich in Wirklichkeit um ein in sich geschlossenes Prachtreich.“ Ein entzücktes Lächeln, welches so gar nicht zu diesem vom Tod regierten Land passen wollte, begleitete ihre Selbstverherrlichung.

      „Dantra!“ Erschrocken zuckte er zusammen. Alles, was sie bisher gesagt, erklärt oder angemahnt hatte, in allem war eine undefinierbare Kälte gelegen. Egal, wie sehr sie sich auch darum bemüht hatte, Vertrauen zu schaffen, diese Kälte war nicht zu übertünchen. Sie hielt ihre Worte so fest umschlossen wie die Totenstarre eine Leiche. Aber jetzt, in dem Moment, als die Hexe zum ersten Mal seinen Namen aussprach, sicher in dem Bemühen, freundlich zu klingen, hatte er das Gefühl, er würde zu Eis gefrieren.

      Der Schock, dass sie ihn unendlichen Qualen aussetzen konnte nur mit der Erwähnung seines Namens, zerrte an seinen Wahrnehmungen. Wie durch das prasselnde Nass eines Wasserfalls hörte er undeutliche, flüsternde Rufe, während sein Blick nach Halt suchte. Erst ein leichter Schlag auf seinen Arm holte ihn zurück aus seiner Angstdämmerung.

      „Was?“ Er hatte das Gefühl, als wäre er durch einen Strudel aus dieser beängstigenden Lage herausgesogen worden, und nachdem er ihn ordentlich durchgeschüttelt hatte, war er wieder zurück in diese unbehagliche Situation gespuckt worden.

      „Jetzt gib sie ihr schon“, forderte Akinna ihn auf.

      „Was? Was soll ich ihr geben?“

      „Deine Karte“, erklärte Mortuus wieder bemüht freundlich. „Ich fragte, ob du mir einmal deine Karte geben könntest.“

      „Ach so.“ Dantra sammelte sich und kramte die Karte aus seiner Innentasche. „Hier, bitte.“

      „Willst du sie mir nicht öffnen?“ Selbst ihr Lächeln schien Dantra nun wie eine Aufforderung, den Freitod zu wählen.

      „Natürlich“, stammelte er und öffnete das Siegel.

      Mortuus nahm sie ihm ab und faltete sie auseinander. „Seht“, sie hielt ihnen den Plan entgegen, „das ist mein Reich. Das ist Sonork.“

      Wo vorher Umbrarus abgebildet gewesen war, mit all seinen Bergen, Flüssen und Wäldern, war nun nur noch ein großer schwarzer Fleck zu sehen, durchzogen von dicken und dünnen Linien. Die Legende oben rechts in der Ecke bestand nur noch aus zwei Erklärungen. Die dicken Linien bedeuteten Grenzen. Die dünnen kennzeichneten Wege. Die Rose, die sonst unten rechts im Kompass zu sehen war, war nun durch das skurrile Zeichen ersetzt, das auf der Rückenlehne des Throns schillerte. Einzig das Zaubererwappen, das sich links oben befand, war unverändert geblieben. Der Rest der Karte, wo vorher Inseln im Blau des Meeres eingezeichnet gewesen waren, schien nun durchsichtig zu sein, als könne man die Papyrusrolle zwar noch wie gewohnt halten, aber nicht mehr sehen. Die erschienenen Abbildungen sahen aus, als würden sie frei in der Luft hängen.

      „Die dicken roten Linien verdeutlichen die Aufteilung Sonorks. Das bedeutet, wo in eurer Welt eine nicht einsehbare, große Entfernung zwischen zwei schwarzen Baumwäldern liegt, ist es hier nur ein Schritt über eine rote Linie.“

      „Das bedeutet also“, Akinnas zweifelnder Blick war auf die Karte gerichtet, „man überwindet eine Entfernung von einem Tagesmarsch oder mehr mit nur einem Schritt?“

      „Ganz genau“, lobte Mortuus sie.

      „Das ist zwar sehr interessant“, sagte Dantra fasziniert, „aber wie kann uns das bei der Erfüllung unseres Versprechens helfen?“

      „Nun“, Mortuus gab Dantra die Karte zurück und setzte sich vor Stolz strotzend aufrecht hin, „ihr könnt mein Reich jederzeit nutzen, um größere Entfernungen zu überwinden. Denn die roten Linien gibt es nicht nur, um die Grenzen von Umbrarus zu verdeutlichen, man kann dort auch Sonork verlassen.“

      „Wie?“, fragten Dantra und Akinna wie aus einem Munde.

      „Die roten Linien beschreiben eine Art im Boden eingelassene Flüssigkeit. Wenn man Sonork verlassen will, muss man etwas von dieser Flüssigkeit irgendwo auf die Haut auftragen.