„Humbug“, tadelte Dantra sie und fummelte in seiner Jacke herum. „Ich habe Erfahrung mit der Dunkelheit. Ich habe eine magische Kraft und“, er zog ein kleines Jutesäckchen aus dem Innenfutter, „ich habe das hier!“
Akinna sah ihn erstaunt an. „Was ist das?“
„Das ist Fliederpulver. Ich habe es von E’Cellbra bekommen. Sie sagte damals, falls ich noch einmal in den dunklen Wald hineingehen müsse, weil ich verfolgt würde oder so, sollte ich es mit Wasser vermischen und mir auf die Kleidung reiben. Ich hätte nie gedacht, dass ich es wirklich mal brauche. Daher hatte ich bis eben völlig vergessen, dass ich es dabeihabe“, fügte er entschuldigend hinzu.
„Meinst du, es reicht für uns beide?“, fragte Akinna und roch an dem Inhalt.
„Ich denke schon. Es war ja ursprünglich für Tami und mich gedacht. Also wird es wohl genug sein. Meinst du, wir sollten zusammen reingehen?“
„Vier Augen sehen mehr und vier Hände kämpfen besser. Ich denke, es wäre das Beste.“
„Na gut“, pflichtete er ihr bei. „Aber das mit den vier Augen werden wir erst noch sehen. Gut möglich, dass es nur drei sind.“
Mitleid umhüllte ihren Blick. „Wie auch immer“, sagte sie. „Lass uns anfangen.“
Dantra kratzte den Dreck aus einem zerbrochenen Tonkrug, den er in einer der Ecken gefunden hatte und dessen Boden noch heil war. Danach kippte er etwas Wasser aus seinem Trinkschlauch hinein, öffnete den Beutel und schüttete den Inhalt ins Gefäß. Nachdem er die Flüssigkeit mit einem kleinen Stock verrührt hatte, sagte er: „Ich denke, das war es. Jetzt müssen wir das Zeug nur noch auf unsere Kleidung kriegen.“
Akinna trat mit einem kleinen Mistelzweig an ihn heran. „Damit müsste es gehen“, meinte sie, tauchte die Blätter in die Tinktur und ließ diese mit schwingenden Handbewegungen auf Dantras Kleidung niederregnen. Erst vorn, dann auf dem Rücken. Anschließend übernahm Dantra den Zweig und tat selbiges bei ihr.
Nun standen sie da. Kampfbereit und zögernd. Akinna hatte die Waffen, die sie Inius abgenommen hatte, hinter einigen Sträuchern verschwinden lassen, um nicht so viel Ballast mit sich zu tragen. Dantra hatte es ihr gleichgetan, das schwere Schwert Comals vom Rücken genommen und es zusammen mit seiner Ausrüstung zu den anderen Waffen gelegt. Er hielt nun sein Elbenschwert in der Hand, sie schussbereit ihren Bogen.
„Wie fühlt es sich an, wenn man dort drin ist?“, fragte Akinna, ohne ihren Blick vom Schatten abzuwenden.
„Kalt“, erwiderte Dantra. „Von innen heraus eisig kalt.“
Akinna spannte die Sehne ihres Bogens so weit, dass sie die eiserne Metallspitze mit den bogenhaltenden Fingern berührte. Sogleich begann sie, glänzend zu leuchten, wie es auch Dantras Schwert immer tat, wenn sie es in die Hand nahm. Langsam schob sie die wie mit Diamantenstaub überzogene Spitze ins Dunkel des schwarzen Baumwalds. Der Glanz erstarb. Es war, als würde er aufgesaugt und niedergerungen werden wie ein verletzter Käfer von einer ausgehungerten Ameisenkolonie.
Sie nahm den Bogen runter und holte den Lumenkristall aus ihrem Umhang. Sie rieb ihn zwischen ihren Händen und legte ihn auf ein Stück Baumrinde. Als er aufleuchtete, schob sie ihn, wie vorher schon die Pfeilspitze, ganz langsam ins Dunkel. Auch dieses Leuchten erlosch so schnell, wie der Schall eines Angstschreis verhallte. Sie zog den Kristall zurück und musste mit Bedauern feststellen, dass die Hälfte, die in den Schatten getaucht war, nicht wieder aufleuchtete.
Auch nicht, nachdem sie den Stein erneut zwischen ihren Händen gerieben hatte. Ihr Bedauern schlug in Angst um. Aber nur kurz. Danach entbrannte die Wut. Sie hasste es, wenn sie die unnützen Gefühle der Menschen, zu denen die Angst gehörte, überkamen. Und sie war stinksauer, dass der Schatten ihren Kristall zerstört hatte.
„Jetzt reicht es mir“, entfuhr es Akinna zornig. „Wir gehen da hinein. Und auf wen oder was wir auch immer stoßen, wir treten ihm mächtig in den Arsch.“
„Goracks.“
„Bitte?“
„Goracks. Wir treffen dort drin auf Goracks. Und sosehr ich es mag, wenn du deine gute Kinderstube mal vergisst und stattdessen sagst, was du denkst, um denen in den Arsch zu treten, sind es zu viele.“
Sie stutzte. „Mir egal, ich gehe jetzt da rein und hole den Dolch.“
Dantra blieb keine Zeit, um noch einmal über ihr Vorhaben nachzudenken, denn Akinna hatte die Grenze zum dunklen Baumwald mit einem Schritt passiert und im Gegensatz zu ihm, als er das erste Mal hineinging, kam sie auch nicht vom Schrecken der Beklemmung getrieben sofort wieder heraus.
Der moderige Geruch, das unbehagliche Gefühl und vor allem der Eindruck, das wenige Schlechte in ihm wie sein Jähzorn oder der Hass auf einige Menschen würde alles Gute niederrennen, waren wieder da. Alles war da und erinnerte ihn unwillkürlich an seinen Todeskampf. Sein aussichtsloser Widerstand gegen die unmenschliche Qualen bringenden Goracks.
Er fasste sich an sein schmerzendes Auge. Unter seinen Fingern spürte er eine breite und tiefe Narbe, die sich über sein halbes Gesicht zog. Dass er mit einem Auge nichts sehen konnte, bemerkte er kaum, da es in der Finsternis ohnehin kaum etwas zu sehen gab. Sein ganzer Körper schrie vor Schmerzen auf. Überall, wo sie ihn seinerzeit gebissen hatten, war er nun von Narben übersät. Aber dort, wo sie sich bereits tiefer hineingenagt hatten, waren die Verletzungen nicht mehr heilbar. So wie seine Finger nicht nachwuchsen, so war es auch bei diesen Wunden. Und sie waren es, die ihm nun die meisten Probleme bereiteten. Mit dem linken Bein konnte er kaum auftreten und sein rechter Arm war ohne jedes Gefühl, sodass ihm sein Schwert aus der Hand fiel. Dantra hob es mit der linken Hand auf und versuchte, es mit den verbliebenen drei Fingern, so gut es ging, zu halten.
Als er wieder nach vorn sah, stand Akinna vor ihm. Sie hatte sich vorgenommen, seinen Verletzungen, wie schwer der Anblick auch immer sein mochte, keine Bedeutung zukommen zu lassen. Dieses Vorhaben war allerdings gar nicht so leicht.
Nachdem sie mehr als einmal schlucken hatte müssen, fragte sie besorgt: „Willst du nicht doch lieber draußen warten?“
„Auch wenn ich mich fühle wie ausgekotzt“, erwiderte er trotzig, „fürs Arschtreten reicht es allemal.“ Er versuchte sich dabei so aufrecht wie möglich hinzustellen und einen schmerzfreien Gesichtsausdruck aufzusetzen. Ihr Blick allerdings blieb mitleidig. „Nichts kann mich dazu bringen, dich in dieser Hölle alleine zu lassen“, fügte er mit fester Stimme hinzu.
Sie nickte kurz und eine Spur Dankbarkeit ließ ein Lächeln über ihr Gesicht huschen.
Bis sie das andere Ende des Raumes erreicht hatten, ließ sich kein Gorack blicken. Nicht lange und sie hatten die ehemalige Feuerstelle gefunden. Akinna tastete die Rückwand ab. Kurz darauf hörte Dantra, der in der Dunkelheit versuchte, die Umgebung im Auge zu behalten, das dumpfe Kratzen von aufeinanderreibenden Steinflächen.
„Hier ist es“, sagte Akinna mit erleichterter Zuversicht, die aber sogleich weichen sollte. Denn das Durchsuchen des Verstecks blieb erfolglos. Es war leer. „Verdammter Mist!“, fluchte sie. „Hier ist rein gar nichts drin!“
„Und jetzt?“, fragte Dantra.
„Das Versteck war verschlossen“, erklärte sie und suchte dabei mit den Augen den Boden vor sich ab. „Es ist also unwahrscheinlich, dass der Dolch aus irgendeinem Grund herausgefallen ist und nun hier herumliegt.“
„Lass uns erst einmal wieder von diesem Gedanken fesselnden Ort verschwinden, bevor wir weitere Überlegungen anstellen“, drängelte Dantra.
Sie gingen in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach wenigen Schritten erkannten sie schon den hellen Schleier des ersehnten Sonnenlichts. Allerdings nur teilweise. Es schien, als würde an einigen Stellen etwas Dunkles das schwache Licht aufhalten. Sie sahen sich kurz fragend an und gingen dann kampfbereit weiter. Das lichtbrechende Dunkel formte sich zu Schatten und mit jedem weiteren Schritt formten sich